letzten Befehle erbat; Stein hieß ihn einen Augenblick warten, trat an ein Pult, und schrieb stehend in Eile und Eifer noch an den Fürsten von Wittgenstein einen Brief, den jener empfing, und dann abreiste. Die Sache blieb so gut wie vergessen, als plötzlich die Nachricht kam, Koppe sei von den Franzosen aufge¬ fangen und seiner Briefschaften beraubt worden. In der Unruhe und Besorgniß, welche dies erregte, be¬ kannte der Graf von der Golz, Minister der auswär¬ tigen Angelegenheiten, er sei in großer Angst wegen einiger Briefe, in denen er sich über Napoleon scher¬ zend ausgelassen. "Das war recht dumm von Ihnen!" fuhr ihn Stein sogleich an; und sodann befragt, was er selber dann für Briefe geschrieben, versetzte er gutes Muthes: "O was ich geschrieben habe, das dürfen die Franzosen alles lesen!" Bald nachher las er seinen Brief an den Fürsten von Wittgenstein im Moniteur abgedruckt, und mußte nun den Inhalt, auf den er sich vorher kaum hatte besinnen mögen, allerdings für verfänglich und unbedacht erkennen. Bei dem lautge¬ wordenen Unwillen Napoleon's konnte Stein nicht füg¬ lich preußischer Minister bleiben. Er reichte daher seine Entlassung ein, dachte indeß auch jetzt so wenig an Gefahr, daß er vorläufig nach Berlin zu reisen wagte. Hier aber las er unerwartet im Moniteur ein Decret Napoleon's aus Madrid, durch welches le nomme Stein, als Aufruhrstifter gegen die Franzosen, vogelfrei
letzten Befehle erbat; Stein hieß ihn einen Augenblick warten, trat an ein Pult, und ſchrieb ſtehend in Eile und Eifer noch an den Fuͤrſten von Wittgenſtein einen Brief, den jener empfing, und dann abreiſte. Die Sache blieb ſo gut wie vergeſſen, als ploͤtzlich die Nachricht kam, Koppe ſei von den Franzoſen aufge¬ fangen und ſeiner Briefſchaften beraubt worden. In der Unruhe und Beſorgniß, welche dies erregte, be¬ kannte der Graf von der Golz, Miniſter der auswaͤr¬ tigen Angelegenheiten, er ſei in großer Angſt wegen einiger Briefe, in denen er ſich uͤber Napoleon ſcher¬ zend ausgelaſſen. „Das war recht dumm von Ihnen!“ fuhr ihn Stein ſogleich an; und ſodann befragt, was er ſelber dann fuͤr Briefe geſchrieben, verſetzte er gutes Muthes: „O was ich geſchrieben habe, das duͤrfen die Franzoſen alles leſen!“ Bald nachher las er ſeinen Brief an den Fuͤrſten von Wittgenſtein im Moniteur abgedruckt, und mußte nun den Inhalt, auf den er ſich vorher kaum hatte beſinnen moͤgen, allerdings fuͤr verfaͤnglich und unbedacht erkennen. Bei dem lautge¬ wordenen Unwillen Napoleon's konnte Stein nicht fuͤg¬ lich preußiſcher Miniſter bleiben. Er reichte daher ſeine Entlaſſung ein, dachte indeß auch jetzt ſo wenig an Gefahr, daß er vorlaͤufig nach Berlin zu reiſen wagte. Hier aber las er unerwartet im Moniteur ein Decret Napoleon's aus Madrid, durch welches le nommé Stein, als Aufruhrſtifter gegen die Franzoſen, vogelfrei
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letzten Befehle erbat; Stein hieß ihn einen Augenblick
warten, trat an ein Pult, und ſchrieb ſtehend in Eile
und Eifer noch an den Fuͤrſten von Wittgenſtein einen
Brief, den jener empfing, und dann abreiſte. Die
Sache blieb ſo gut wie vergeſſen, als ploͤtzlich die
Nachricht kam, Koppe ſei von den Franzoſen aufge¬
fangen und ſeiner Briefſchaften beraubt worden. In
der Unruhe und Beſorgniß, welche dies erregte, be¬
kannte der Graf von der Golz, Miniſter der auswaͤr¬
tigen Angelegenheiten, er ſei in großer Angſt wegen
einiger Briefe, in denen er ſich uͤber Napoleon ſcher¬
zend ausgelaſſen. „Das war recht dumm von Ihnen!“
fuhr ihn Stein ſogleich an; und ſodann befragt, was
er ſelber dann fuͤr Briefe geſchrieben, verſetzte er gutes
Muthes: „O was ich geſchrieben habe, das duͤrfen die
Franzoſen alles leſen!“ Bald nachher las er ſeinen
Brief an den Fuͤrſten von Wittgenſtein im Moniteur
abgedruckt, und mußte nun den Inhalt, auf den er
ſich vorher kaum hatte beſinnen moͤgen, allerdings fuͤr
verfaͤnglich und unbedacht erkennen. Bei dem lautge¬
wordenen Unwillen Napoleon's konnte Stein nicht fuͤg¬
lich preußiſcher Miniſter bleiben. Er reichte daher ſeine
Entlaſſung ein, dachte indeß auch jetzt ſo wenig an
Gefahr, daß er vorlaͤufig nach Berlin zu reiſen wagte.
Hier aber las er unerwartet im Moniteur ein Decret
Napoleon's aus Madrid, durch welches le nommé
Stein, als Aufruhrſtifter gegen die Franzoſen, vogelfrei
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/183>, abgerufen am 21.11.2024.
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