mit Goethe entsprang, dessen Wahrheit und Dichtung eben erschienen war, und mich neu mit ihm erfüllt hatte. Den Zerstreuungen der Geselligkeit, des Thea¬ terbesuchs, der Spazirfahrten konnte ich nicht entgehen, und mußte mich damit trösten, auch diese Vergnügun¬ gen manchen ernsten Gewinn tragen zu sehen.
Beethoven, der von Töplitz in Begleitung seines und meines Freundes Oliva nach Wien zurückreiste, hielt sich nicht lange in Prag auf; dagegen kam Cle¬ mens Brentano in der Absicht, den ganzen Winter hier zu verleben, und gönnte mir täglich seine zwar überaus erfreuende, aber, wie ich zu meinem Schaden erfahren sollte, auch gefährliche Gesellschaft; gefährlich, insofern sie das tiefste Vertrauen hervorlockte, ohne diesem doch Sicherheit zu gewähren. Ich machte Be¬ kanntschaft mit der Gräfin von Pachta, der Jugend¬ freundin Rahel's, und mit dem Professor Meinert. Auch den berühmten Altmeister der slavischen Sprach¬ forschung, Abbe Dobrowsky, lernte ich näher kennen. Dagegen hatte es wenig Anreiz, die böhmischen Großen in ihren Häusern aufzusuchen, weit belohnender war es sie in dem gastfreien Hause des Schauspieldirectors Liebich zu treffen, wo außer der Blüthe der eigentli¬ chen Theaterwelt, in welcher besonders die Damen, Auguste Brede und Julie Löwe, beide durch Schönheit und Talent und die erstere auch durch eine seltene Geistesbildung hervorragend, zu bemerken waren, auch
mit Goethe entſprang, deſſen Wahrheit und Dichtung eben erſchienen war, und mich neu mit ihm erfuͤllt hatte. Den Zerſtreuungen der Geſelligkeit, des Thea¬ terbeſuchs, der Spazirfahrten konnte ich nicht entgehen, und mußte mich damit troͤſten, auch dieſe Vergnuͤgun¬ gen manchen ernſten Gewinn tragen zu ſehen.
Beethoven, der von Toͤplitz in Begleitung ſeines und meines Freundes Oliva nach Wien zuruͤckreiſte, hielt ſich nicht lange in Prag auf; dagegen kam Cle¬ mens Brentano in der Abſicht, den ganzen Winter hier zu verleben, und goͤnnte mir taͤglich ſeine zwar uͤberaus erfreuende, aber, wie ich zu meinem Schaden erfahren ſollte, auch gefaͤhrliche Geſellſchaft; gefaͤhrlich, inſofern ſie das tiefſte Vertrauen hervorlockte, ohne dieſem doch Sicherheit zu gewaͤhren. Ich machte Be¬ kanntſchaft mit der Graͤfin von Pachta, der Jugend¬ freundin Rahel's, und mit dem Profeſſor Meinert. Auch den beruͤhmten Altmeiſter der ſlaviſchen Sprach¬ forſchung, Abbé Dobrowsky, lernte ich naͤher kennen. Dagegen hatte es wenig Anreiz, die boͤhmiſchen Großen in ihren Haͤuſern aufzuſuchen, weit belohnender war es ſie in dem gaſtfreien Hauſe des Schauſpieldirectors Liebich zu treffen, wo außer der Bluͤthe der eigentli¬ chen Theaterwelt, in welcher beſonders die Damen, Auguſte Brede und Julie Loͤwe, beide durch Schoͤnheit und Talent und die erſtere auch durch eine ſeltene Geiſtesbildung hervorragend, zu bemerken waren, auch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0206"n="194"/>
mit Goethe entſprang, deſſen Wahrheit und Dichtung<lb/>
eben erſchienen war, und mich neu mit ihm erfuͤllt<lb/>
hatte. Den Zerſtreuungen der Geſelligkeit, des Thea¬<lb/>
terbeſuchs, der Spazirfahrten konnte ich nicht entgehen,<lb/>
und mußte mich damit troͤſten, auch dieſe Vergnuͤgun¬<lb/>
gen manchen ernſten Gewinn tragen zu ſehen.</p><lb/><p>Beethoven, der von Toͤplitz in Begleitung ſeines<lb/>
und meines Freundes Oliva nach Wien zuruͤckreiſte,<lb/>
hielt ſich nicht lange in Prag auf; dagegen kam Cle¬<lb/>
mens Brentano in der Abſicht, den ganzen Winter<lb/>
hier zu verleben, und goͤnnte mir taͤglich ſeine zwar<lb/>
uͤberaus erfreuende, aber, wie ich zu meinem Schaden<lb/>
erfahren ſollte, auch gefaͤhrliche Geſellſchaft; gefaͤhrlich,<lb/>
inſofern ſie das tiefſte Vertrauen hervorlockte, ohne<lb/>
dieſem doch Sicherheit zu gewaͤhren. Ich machte Be¬<lb/>
kanntſchaft mit der Graͤfin von Pachta, der Jugend¬<lb/>
freundin Rahel's, und mit dem Profeſſor Meinert.<lb/>
Auch den beruͤhmten Altmeiſter der ſlaviſchen Sprach¬<lb/>
forſchung, Abb<hirendition="#aq">é</hi> Dobrowsky, lernte ich naͤher kennen.<lb/>
Dagegen hatte es wenig Anreiz, die boͤhmiſchen Großen<lb/>
in ihren Haͤuſern aufzuſuchen, weit belohnender war<lb/>
es ſie in dem gaſtfreien Hauſe des Schauſpieldirectors<lb/>
Liebich zu treffen, wo außer der Bluͤthe der eigentli¬<lb/>
chen Theaterwelt, in welcher beſonders die Damen,<lb/>
Auguſte Brede und Julie Loͤwe, beide durch Schoͤnheit<lb/>
und Talent und die erſtere auch durch eine ſeltene<lb/>
Geiſtesbildung hervorragend, zu bemerken waren, auch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[194/0206]
mit Goethe entſprang, deſſen Wahrheit und Dichtung
eben erſchienen war, und mich neu mit ihm erfuͤllt
hatte. Den Zerſtreuungen der Geſelligkeit, des Thea¬
terbeſuchs, der Spazirfahrten konnte ich nicht entgehen,
und mußte mich damit troͤſten, auch dieſe Vergnuͤgun¬
gen manchen ernſten Gewinn tragen zu ſehen.
Beethoven, der von Toͤplitz in Begleitung ſeines
und meines Freundes Oliva nach Wien zuruͤckreiſte,
hielt ſich nicht lange in Prag auf; dagegen kam Cle¬
mens Brentano in der Abſicht, den ganzen Winter
hier zu verleben, und goͤnnte mir taͤglich ſeine zwar
uͤberaus erfreuende, aber, wie ich zu meinem Schaden
erfahren ſollte, auch gefaͤhrliche Geſellſchaft; gefaͤhrlich,
inſofern ſie das tiefſte Vertrauen hervorlockte, ohne
dieſem doch Sicherheit zu gewaͤhren. Ich machte Be¬
kanntſchaft mit der Graͤfin von Pachta, der Jugend¬
freundin Rahel's, und mit dem Profeſſor Meinert.
Auch den beruͤhmten Altmeiſter der ſlaviſchen Sprach¬
forſchung, Abbé Dobrowsky, lernte ich naͤher kennen.
Dagegen hatte es wenig Anreiz, die boͤhmiſchen Großen
in ihren Haͤuſern aufzuſuchen, weit belohnender war
es ſie in dem gaſtfreien Hauſe des Schauſpieldirectors
Liebich zu treffen, wo außer der Bluͤthe der eigentli¬
chen Theaterwelt, in welcher beſonders die Damen,
Auguſte Brede und Julie Loͤwe, beide durch Schoͤnheit
und Talent und die erſtere auch durch eine ſeltene
Geiſtesbildung hervorragend, zu bemerken waren, auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 194. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/206>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.