ohne ihr Verschulden, oft unvortheilhafter erschien, als die Gesinnung und Bereitwilligkeit der Einwohner ver¬ diente, und daß die Möglichkeit großer Kraftwirkungen in der Ungunst solcher Umstände fast erlöschen mußte. Statt im Bewußtsein ihrer wiedergekehrten, und von den Russen anerkannten Selbstständigkeit frei und kräf¬ tig zu handeln, wagte der Senat kaum, die Verant¬ wortlichkeit dafür zu übernehmen, daß er das Befoh¬ lene ausgeführt hatte; statt mit Dänemark, mit Eng¬ land und Preußen unverzüglich eigne, zur Befestigung der vaterstädtischen Sache nothwendige Verbindungen anzuknüpfen, brachte er nach langem Zaudern kaum die Abgeordneten an den Kaiser Alexander auf den Weg. Man könnte noch vieles anführen, was eben so ver¬ säumt worden ist, wenn nicht an diesem schon genug wäre. Der Senat war und blieb in allen Stücken hin¬ ter den Forderungen zurück, welche der Drang der Zeit ihm auferlegte, und daher fanden die mannigfachen, schönen Kräfte nirgends Einheit und Zusammenhang. Eine Frist von sechs Monaten hätte in lebendiger Ent¬ wickelung das Zerstreute sammeln und ordnen, das Verwahrloste aufnehmen können, und nach und nach wäre die gewünschte Einheit entstanden; diese Zeit wurde den Hamburgern nicht gewährt. Hierin lag etwas Ver¬ hängnißvolles. Nach der großen Schuld, die hier auf die Umstände fällt, kann man nur die geringere Schuld noch den Menschen zurechnen.
ohne ihr Verſchulden, oft unvortheilhafter erſchien, als die Geſinnung und Bereitwilligkeit der Einwohner ver¬ diente, und daß die Moͤglichkeit großer Kraftwirkungen in der Ungunſt ſolcher Umſtaͤnde faſt erloͤſchen mußte. Statt im Bewußtſein ihrer wiedergekehrten, und von den Ruſſen anerkannten Selbſtſtaͤndigkeit frei und kraͤf¬ tig zu handeln, wagte der Senat kaum, die Verant¬ wortlichkeit dafuͤr zu uͤbernehmen, daß er das Befoh¬ lene ausgefuͤhrt hatte; ſtatt mit Daͤnemark, mit Eng¬ land und Preußen unverzuͤglich eigne, zur Befeſtigung der vaterſtaͤdtiſchen Sache nothwendige Verbindungen anzuknuͤpfen, brachte er nach langem Zaudern kaum die Abgeordneten an den Kaiſer Alexander auf den Weg. Man koͤnnte noch vieles anfuͤhren, was eben ſo ver¬ ſaͤumt worden iſt, wenn nicht an dieſem ſchon genug waͤre. Der Senat war und blieb in allen Stuͤcken hin¬ ter den Forderungen zuruͤck, welche der Drang der Zeit ihm auferlegte, und daher fanden die mannigfachen, ſchoͤnen Kraͤfte nirgends Einheit und Zuſammenhang. Eine Friſt von ſechs Monaten haͤtte in lebendiger Ent¬ wickelung das Zerſtreute ſammeln und ordnen, das Verwahrloſte aufnehmen koͤnnen, und nach und nach waͤre die gewuͤnſchte Einheit entſtanden; dieſe Zeit wurde den Hamburgern nicht gewaͤhrt. Hierin lag etwas Ver¬ haͤngnißvolles. Nach der großen Schuld, die hier auf die Umſtaͤnde faͤllt, kann man nur die geringere Schuld noch den Menſchen zurechnen.
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ohne ihr Verſchulden, oft unvortheilhafter erſchien, als
die Geſinnung und Bereitwilligkeit der Einwohner ver¬
diente, und daß die Moͤglichkeit großer Kraftwirkungen
in der Ungunſt ſolcher Umſtaͤnde faſt erloͤſchen mußte.
Statt im Bewußtſein ihrer wiedergekehrten, und von
den Ruſſen anerkannten Selbſtſtaͤndigkeit frei und kraͤf¬
tig zu handeln, wagte der Senat kaum, die Verant¬
wortlichkeit dafuͤr zu uͤbernehmen, daß er das Befoh¬
lene ausgefuͤhrt hatte; ſtatt mit Daͤnemark, mit Eng¬
land und Preußen unverzuͤglich eigne, zur Befeſtigung
der vaterſtaͤdtiſchen Sache nothwendige Verbindungen
anzuknuͤpfen, brachte er nach langem Zaudern kaum die
Abgeordneten an den Kaiſer Alexander auf den Weg.
Man koͤnnte noch vieles anfuͤhren, was eben ſo ver¬
ſaͤumt worden iſt, wenn nicht an dieſem ſchon genug
waͤre. Der Senat war und blieb in allen Stuͤcken hin¬
ter den Forderungen zuruͤck, welche der Drang der Zeit
ihm auferlegte, und daher fanden die mannigfachen,
ſchoͤnen Kraͤfte nirgends Einheit und Zuſammenhang.
Eine Friſt von ſechs Monaten haͤtte in lebendiger Ent¬
wickelung das Zerſtreute ſammeln und ordnen, das
Verwahrloſte aufnehmen koͤnnen, und nach und nach
waͤre die gewuͤnſchte Einheit entſtanden; dieſe Zeit wurde
den Hamburgern nicht gewaͤhrt. Hierin lag etwas Ver¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/288>, abgerufen am 24.11.2024.
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