lesen. Wir wissen, daß Sie ohne uns nicht recht glücklich sein können. Wir sind's auch nicht. Lindner hat mir Ihren letzten Brief vorgelesen! -- ist es nicht so gut, als ob Sie ihn mir geschrieben haben? Es gefiel mir, daß Sie mir nicht schrieben. Schreiben soll man sich auch! Ich war gewiß von Ihnen. Waren Sie's denn von mir auch? Nein. Sie ken- nen die ganze Seele nicht, die lieber in ihre Vernichtung, in die schrecklichste Existenz willigen würde, als darein, daß es ihr möglich sein sollte, ehrenvolle Dinge -- so muß ich sie nennen -- zu vergessen. Ich bin wie ich war, Veit. Sie können mir grade in die Augen sehen, und Sie werden sie besser finden. Lindner sagt's auch. Ich bin auch besser. Über- zeugter von dem, was in mir war: überzeugt, daß es unum- stößlich ist, und zufrieden damit. Ich putze es aus, ich pflege es, ich liebe es. Schmerz? -- ist zufällig, könnte auch eben so gut Freude sein. Darum ertrag' ich ihn mit Thränen, aber willig; nicht allein, ich kann nicht, ich mag auch nicht mehr tauschen. Er macht mich nicht mehr mißvergnügt, er macht mich klar und macht mich stark. Und vieles schmerzt auch nicht mehr. Sie würden zufrieden mit mir sein in jedem Be- tracht. Die ganze Scala meiner Seele giebt reine Töne an, obgleich man schrecklich! mit den Saiten umgegangen ist, Glauben Sie, schrecklich; sogar zum Erzählen wär's schreck- lich Man ist entweder dem Wahnwitz, oder dem Tod, oder der Genesung ausgesetzt; mir sind die beiden ersten nicht wi- derfahren. Ich bin besser, kann ich auch nicht sagen; ich bin jenseits, möcht' ich sagen. Verstehn Sie? Vom Schicksal be- schimpft, aber nicht mehr beschimpfbar. Unglück ist Schimpf
leſen. Wir wiſſen, daß Sie ohne uns nicht recht glücklich ſein können. Wir ſind’s auch nicht. Lindner hat mir Ihren letzten Brief vorgeleſen! — iſt es nicht ſo gut, als ob Sie ihn mir geſchrieben haben? Es gefiel mir, daß Sie mir nicht ſchrieben. Schreiben ſoll man ſich auch! Ich war gewiß von Ihnen. Waren Sie’s denn von mir auch? Nein. Sie ken- nen die ganze Seele nicht, die lieber in ihre Vernichtung, in die ſchrecklichſte Exiſtenz willigen würde, als darein, daß es ihr möglich ſein ſollte, ehrenvolle Dinge — ſo muß ich ſie nennen — zu vergeſſen. Ich bin wie ich war, Veit. Sie können mir grade in die Augen ſehen, und Sie werden ſie beſſer finden. Lindner ſagt’s auch. Ich bin auch beſſer. Über- zeugter von dem, was in mir war: überzeugt, daß es unum- ſtößlich iſt, und zufrieden damit. Ich putze es aus, ich pflege es, ich liebe es. Schmerz? — iſt zufällig, könnte auch eben ſo gut Freude ſein. Darum ertrag’ ich ihn mit Thränen, aber willig; nicht allein, ich kann nicht, ich mag auch nicht mehr tauſchen. Er macht mich nicht mehr mißvergnügt, er macht mich klar und macht mich ſtark. Und vieles ſchmerzt auch nicht mehr. Sie würden zufrieden mit mir ſein in jedem Be- tracht. Die ganze Scala meiner Seele giebt reine Töne an, obgleich man ſchrecklich! mit den Saiten umgegangen iſt, Glauben Sie, ſchrecklich; ſogar zum Erzählen wär’s ſchreck- lich Man iſt entweder dem Wahnwitz, oder dem Tod, oder der Geneſung ausgeſetzt; mir ſind die beiden erſten nicht wi- derfahren. Ich bin beſſer, kann ich auch nicht ſagen; ich bin jenſeits, möcht’ ich ſagen. Verſtehn Sie? Vom Schickſal be- ſchimpft, aber nicht mehr beſchimpfbar. Unglück iſt Schimpf
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leſen. Wir wiſſen, daß Sie ohne uns nicht recht glücklich
ſein können. Wir ſind’s auch nicht. Lindner hat mir Ihren
letzten Brief vorgeleſen! — iſt es nicht ſo gut, als ob Sie
ihn mir geſchrieben haben? Es gefiel mir, daß Sie mir nicht
ſchrieben. Schreiben ſoll man ſich auch! Ich war gewiß von
Ihnen. Waren Sie’s denn von mir auch? Nein. Sie ken-
nen die ganze Seele nicht, die lieber in ihre Vernichtung, in
die ſchrecklichſte Exiſtenz willigen würde, als darein, daß es
ihr möglich ſein ſollte, ehrenvolle Dinge — ſo muß ich ſie
nennen — zu vergeſſen. Ich bin wie ich war, Veit. Sie
können mir grade in die Augen ſehen, und Sie werden ſie
beſſer finden. Lindner ſagt’s auch. Ich bin auch beſſer. Über-
zeugter von dem, was in mir war: überzeugt, daß es unum-
ſtößlich iſt, und zufrieden damit. Ich putze es aus, ich pflege
es, ich liebe es. Schmerz? — iſt zufällig, könnte auch eben
ſo gut Freude ſein. Darum ertrag’ ich ihn mit Thränen, aber
willig; nicht allein, ich kann nicht, ich mag auch nicht mehr
tauſchen. Er macht mich nicht mehr mißvergnügt, er macht
mich klar und macht mich ſtark. Und vieles ſchmerzt auch
nicht mehr. Sie würden zufrieden mit mir ſein in jedem Be-
tracht. Die ganze Scala meiner Seele giebt reine Töne an,
obgleich man ſchrecklich! mit den Saiten umgegangen iſt,
Glauben Sie, ſchrecklich; ſogar zum Erzählen wär’s ſchreck-
lich Man iſt entweder dem Wahnwitz, oder dem Tod, oder
der Geneſung ausgeſetzt; mir ſind die beiden erſten nicht wi-
derfahren. Ich bin beſſer, kann ich auch nicht ſagen; ich bin
jenſeits, möcht’ ich ſagen. Verſtehn Sie? Vom Schickſal be-
ſchimpft, aber nicht mehr beſchimpfbar. Unglück iſt Schimpf
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/187>, abgerufen am 22.12.2024.
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