vom Schicksal. "Er komme und sage mir es noch einmal," sagt Gräfin Orsina. Ich bin wie ich war, und nie, nie! sol- len Sie mich verändert finden; und fänden Sie mich im Toll- hause eine papierne Krone auf dem Haupte, erschrecken Sie nicht, Sie finden die Freundin wieder. Die Freundin alles Guten, die Liebe, das Streben darnach; ganz aufgelöst, zer- stört, nicht wieder müßten Sie mich finden, um mich anders zu finden.
Geglückt ist mir nichts, seit ich Sie nicht sah. Ich bin noch in derselben Lage. Im Gegentheil, drei Freundinnen, worin ich die Humboldt mitzähle, sind mir entkommen, zu denen ich flüchten wollte; die eine heirathet einen schwedischen Baron, meine Freundin in Prag hat eine ernste Verbindung, die ihr jede Empfindung und Zeit einnimmt. Ich bin oft ohne Unterstützung, aber nicht allein; Sie wissen, wie ich aus dem Menschen spinne: aber ohne Freund, kurz, ohne jemand, der mich ganz erräth. Lindner war mir so lieb! Ich hatte mich so schnell an ihn gewöhnt; ich muß ihn wieder ver- lieren! ich treib' ihn sogar. Er hat eine Verbindung. -- Veit, jetzt sollten Sie mich sehen! jetzt weiß ich erst wahr zu sein! und das ist noch gar nichts gegen die Idee, die ich davon habe. Das quält mich oft; es gehört Geschicklichkeit, Ver- stand dazu, wahr zu sein. "Nur die Galeerensklaven kennen sich." Goethe und das Leben ist mir noch immer Eins; ich arbeite mich in beide hinein.
Sein Sie gutes Muths; wir sehen uns gewiß, wir leben gewiß noch mit einander. Wer nur gelassen ist, und dem's nur auf ein paar Jahre nicht ankömmt! Uns, mir, muß die
vom Schickſal. „Er komme und ſage mir es noch einmal,“ ſagt Gräfin Orſina. Ich bin wie ich war, und nie, nie! ſol- len Sie mich verändert finden; und fänden Sie mich im Toll- hauſe eine papierne Krone auf dem Haupte, erſchrecken Sie nicht, Sie finden die Freundin wieder. Die Freundin alles Guten, die Liebe, das Streben darnach; ganz aufgelöſt, zer- ſtört, nicht wieder müßten Sie mich finden, um mich anders zu finden.
Geglückt iſt mir nichts, ſeit ich Sie nicht ſah. Ich bin noch in derſelben Lage. Im Gegentheil, drei Freundinnen, worin ich die Humboldt mitzähle, ſind mir entkommen, zu denen ich flüchten wollte; die eine heirathet einen ſchwediſchen Baron, meine Freundin in Prag hat eine ernſte Verbindung, die ihr jede Empfindung und Zeit einnimmt. Ich bin oft ohne Unterſtützung, aber nicht allein; Sie wiſſen, wie ich aus dem Menſchen ſpinne: aber ohne Freund, kurz, ohne jemand, der mich ganz erräth. Lindner war mir ſo lieb! Ich hatte mich ſo ſchnell an ihn gewöhnt; ich muß ihn wieder ver- lieren! ich treib’ ihn ſogar. Er hat eine Verbindung. — Veit, jetzt ſollten Sie mich ſehen! jetzt weiß ich erſt wahr zu ſein! und das iſt noch gar nichts gegen die Idee, die ich davon habe. Das quält mich oft; es gehört Geſchicklichkeit, Ver- ſtand dazu, wahr zu ſein. „Nur die Galeerenſklaven kennen ſich.“ Goethe und das Leben iſt mir noch immer Eins; ich arbeite mich in beide hinein.
Sein Sie gutes Muths; wir ſehen uns gewiß, wir leben gewiß noch mit einander. Wer nur gelaſſen iſt, und dem’s nur auf ein paar Jahre nicht ankömmt! Uns, mir, muß die
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vom Schickſal. „Er komme und ſage mir es noch einmal,“
ſagt Gräfin Orſina. Ich bin wie ich war, und nie, nie! ſol-
len Sie mich verändert finden; und fänden Sie mich im Toll-
hauſe eine papierne Krone auf dem Haupte, erſchrecken Sie
nicht, Sie finden die Freundin wieder. Die Freundin alles
Guten, die Liebe, das Streben darnach; ganz aufgelöſt, zer-
ſtört, nicht wieder müßten Sie mich finden, um mich anders
zu finden.
Geglückt iſt mir nichts, ſeit ich Sie nicht ſah. Ich bin
noch in derſelben Lage. Im Gegentheil, drei Freundinnen,
worin ich die Humboldt mitzähle, ſind mir entkommen, zu
denen ich flüchten wollte; die eine heirathet einen ſchwediſchen
Baron, meine Freundin in Prag hat eine ernſte Verbindung,
die ihr jede Empfindung und Zeit einnimmt. Ich bin oft
ohne Unterſtützung, aber nicht allein; Sie wiſſen, wie ich aus
dem Menſchen ſpinne: aber ohne Freund, kurz, ohne jemand,
der mich ganz erräth. Lindner war mir ſo lieb! Ich hatte
mich ſo ſchnell an ihn gewöhnt; ich muß ihn wieder ver-
lieren! ich treib’ ihn ſogar. Er hat eine Verbindung. — Veit,
jetzt ſollten Sie mich ſehen! jetzt weiß ich erſt wahr zu ſein!
und das iſt noch gar nichts gegen die Idee, die ich davon
habe. Das quält mich oft; es gehört Geſchicklichkeit, Ver-
ſtand dazu, wahr zu ſein. „Nur die Galeerenſklaven kennen
ſich.“ Goethe und das Leben iſt mir noch immer Eins; ich
arbeite mich in beide hinein.
Sein Sie gutes Muths; wir ſehen uns gewiß, wir leben
gewiß noch mit einander. Wer nur gelaſſen iſt, und dem’s
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/188>, abgerufen am 22.12.2024.
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