Sie nach Berlin, so treten Sie bei mir ab, wenn es Sie nicht genirt. --
Vorgestern suchte mich Wolf wieder, ohne mich zu finden: gestern schrieb ich ihm kein schlechtes gehörig kurzes Billet, wo- rin ich ihm Frau von Crayen als Lockung oder Warnung aufstellte, je nachdem er's nehmen wollte; er ließ mich fragen, wann sie käme; 7 war die Stunde; er kam um 6 und blieb eine, er hatte schweren Wein getrunken, und wollte sich der Gesellschaft nicht aussetzen. Er scheint oft kommen zu wollen, er merkt, daß meine Zunge das Vortreffliche schmeckt, das mag ihm selten bei unschuldigen Frauenbildern geschehen; und schien sehr dankbar für meinen Zettel; ich hatte seine Vorrede be- wundert, und es ihm mit leisen, erfassenden Worten gesagt, wünschend, eine neue Elegie möchte ihm für uns Alle danken, weil es nur der Eine könnte. Harscher und Neumann kamen später auch. Harscher ganz unbefangen, alert, unschuldig.
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Sonnabend Abend gegen 7 Uhr. Hellster Mondschein in meine Stube hinein, den 26. Oktober 1811.
Theuerster lieber Freund, welche Worte aus Ihrem Briefe soll ich erst aufnehmen, sie stürmen alle auf mich ein, und be- wegen, rühren, und beruhigen mir das Herz; als ich ihn zuerst las, waren mir das die liebsten, heilendsten, treffendsten, wie ein goldglänzender, entzündender Pfeil: das Ende Ihres gan- zen Briefs: "Gleich Antwort. Ihre Briefe sind mir unent- behrlich." Ich bekam aber den am Donnerstag geschriebenen
Sie nach Berlin, ſo treten Sie bei mir ab, wenn es Sie nicht genirt. —
Vorgeſtern ſuchte mich Wolf wieder, ohne mich zu finden: geſtern ſchrieb ich ihm kein ſchlechtes gehörig kurzes Billet, wo- rin ich ihm Frau von Crayen als Lockung oder Warnung aufſtellte, je nachdem er’s nehmen wollte; er ließ mich fragen, wann ſie käme; 7 war die Stunde; er kam um 6 und blieb eine, er hatte ſchweren Wein getrunken, und wollte ſich der Geſellſchaft nicht ausſetzen. Er ſcheint oft kommen zu wollen, er merkt, daß meine Zunge das Vortreffliche ſchmeckt, das mag ihm ſelten bei unſchuldigen Frauenbildern geſchehen; und ſchien ſehr dankbar für meinen Zettel; ich hatte ſeine Vorrede be- wundert, und es ihm mit leiſen, erfaſſenden Worten geſagt, wünſchend, eine neue Elegie möchte ihm für uns Alle danken, weil es nur der Eine könnte. Harſcher und Neumann kamen ſpäter auch. Harſcher ganz unbefangen, alert, unſchuldig.
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Sonnabend Abend gegen 7 Uhr. Hellſter Mondſchein in meine Stube hinein, den 26. Oktober 1811.
Theuerſter lieber Freund, welche Worte aus Ihrem Briefe ſoll ich erſt aufnehmen, ſie ſtürmen alle auf mich ein, und be- wegen, rühren, und beruhigen mir das Herz; als ich ihn zuerſt las, waren mir das die liebſten, heilendſten, treffendſten, wie ein goldglänzender, entzündender Pfeil: das Ende Ihres gan- zen Briefs: „Gleich Antwort. Ihre Briefe ſind mir unent- behrlich.“ Ich bekam aber den am Donnerstag geſchriebenen
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[536/0550]
Sie nach Berlin, ſo treten Sie bei mir ab, wenn es Sie nicht
genirt. —
Vorgeſtern ſuchte mich Wolf wieder, ohne mich zu finden:
geſtern ſchrieb ich ihm kein ſchlechtes gehörig kurzes Billet, wo-
rin ich ihm Frau von Crayen als Lockung oder Warnung
aufſtellte, je nachdem er’s nehmen wollte; er ließ mich fragen,
wann ſie käme; 7 war die Stunde; er kam um 6 und blieb
eine, er hatte ſchweren Wein getrunken, und wollte ſich der
Geſellſchaft nicht ausſetzen. Er ſcheint oft kommen zu wollen,
er merkt, daß meine Zunge das Vortreffliche ſchmeckt, das mag
ihm ſelten bei unſchuldigen Frauenbildern geſchehen; und ſchien
ſehr dankbar für meinen Zettel; ich hatte ſeine Vorrede be-
wundert, und es ihm mit leiſen, erfaſſenden Worten geſagt,
wünſchend, eine neue Elegie möchte ihm für uns Alle danken,
weil es nur der Eine könnte. Harſcher und Neumann kamen
ſpäter auch. Harſcher ganz unbefangen, alert, unſchuldig.
An Alexander von der Marwitz, in Potsdam.
Sonnabend Abend gegen 7 Uhr. Hellſter Mondſchein
in meine Stube hinein, den 26. Oktober 1811.
Theuerſter lieber Freund, welche Worte aus Ihrem Briefe
ſoll ich erſt aufnehmen, ſie ſtürmen alle auf mich ein, und be-
wegen, rühren, und beruhigen mir das Herz; als ich ihn zuerſt
las, waren mir das die liebſten, heilendſten, treffendſten, wie
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 536. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/550>, abgerufen am 23.12.2024.
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