Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Brief (wenn er auch erst Freitag abgegangen wäre; wie
schrecklich langsam gehen die Briefe! Meine auch?) erst heute,
als man bald Licht anzünden mußte (mit einem von Barne-
kow zugleich), als ich ihn ohne Schlüssel sah, und so schwer,
so wußte ich, er mußte viel für mich enthalten; aber ganz
Liebes kommt einem immer unverhofft. Vieles, liebster Freund,
habe ich viel einfacher gesagt, als es ausgesehen haben muß.
Nämlich grade das, was Sie anführen. -- Freilich seh' ich
Ihnen in die Augen! Aber zu meiner größten Ehre eher, als
Sie mir es sagten; unbefangen mit voller Liebe. In die Au-
gen, wo ich alle Menschlichkeit finde; wahren Trost, Sicher-
heit, Ersatz. Ich erlasse Ihnen viele Worte des ächtesten strö-
mendsten Wohlwollens; sie strömen besser als alle Vorwürfe!
-- Aber Sie sollen frei davon sein; und ich will sie allein,
selbst bekämpfen, diese Fluth! Ich sagte es ganz ehrlich:
"Zwingen Sie sich nun nicht mehr, mir zu schreiben." Nun,
da ich so lange, trotz Ihrem Versprechen "gleich zu schreiben",
hatte warten müssen. Zwingen Sie sich nun nicht, da ich
dies ausgehalten habe, wo es mir so nothwendig war, Sie
es so einsahen. Die übrigen Stimmungen, in denen man nicht
schreibt, sollte dies heißen, kenne ich. Und dies selbe sollte es
auch heißen, wenn ich die Briefe gleich zurückforderte, ohne
ein Wort von Ihnen. Böse, Marwitz, war ich nicht; denn,
haben Sie nicht den offenbaren Vorwurf gelesen? Wie er
aus meinem Herzen kam; ganz wie er mich nur drin schmerzte.
Sie sahen, fühlten mein Bedürfniß, so daß Sie selbst es mir
zum Trost versprachen, und der Brief kam nicht! Dies sagte
ich Ihnen klar: und haben wir nicht längst verabredet, daß

Brief (wenn er auch erſt Freitag abgegangen wäre; wie
ſchrecklich langſam gehen die Briefe! Meine auch?) erſt heute,
als man bald Licht anzünden mußte (mit einem von Barne-
kow zugleich), als ich ihn ohne Schlüſſel ſah, und ſo ſchwer,
ſo wußte ich, er mußte viel für mich enthalten; aber ganz
Liebes kommt einem immer unverhofft. Vieles, liebſter Freund,
habe ich viel einfacher geſagt, als es ausgeſehen haben muß.
Nämlich grade das, was Sie anführen. — Freilich ſeh’ ich
Ihnen in die Augen! Aber zu meiner größten Ehre eher, als
Sie mir es ſagten; unbefangen mit voller Liebe. In die Au-
gen, wo ich alle Menſchlichkeit finde; wahren Troſt, Sicher-
heit, Erſatz. Ich erlaſſe Ihnen viele Worte des ächteſten ſtrö-
mendſten Wohlwollens; ſie ſtrömen beſſer als alle Vorwürfe!
— Aber Sie ſollen frei davon ſein; und ich will ſie allein,
ſelbſt bekämpfen, dieſe Fluth! Ich ſagte es ganz ehrlich:
„Zwingen Sie ſich nun nicht mehr, mir zu ſchreiben.“ Nun,
da ich ſo lange, trotz Ihrem Verſprechen „gleich zu ſchreiben“,
hatte warten müſſen. Zwingen Sie ſich nun nicht, da ich
dies ausgehalten habe, wo es mir ſo nothwendig war, Sie
es ſo einſahen. Die übrigen Stimmungen, in denen man nicht
ſchreibt, ſollte dies heißen, kenne ich. Und dies ſelbe ſollte es
auch heißen, wenn ich die Briefe gleich zurückforderte, ohne
ein Wort von Ihnen. Böſe, Marwitz, war ich nicht; denn,
haben Sie nicht den offenbaren Vorwurf geleſen? Wie er
aus meinem Herzen kam; ganz wie er mich nur drin ſchmerzte.
Sie ſahen, fühlten mein Bedürfniß, ſo daß Sie ſelbſt es mir
zum Troſt verſprachen, und der Brief kam nicht! Dies ſagte
ich Ihnen klar: und haben wir nicht längſt verabredet, daß

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0551" n="537"/>
Brief (wenn er auch er&#x017F;t Freitag abgegangen wäre; wie<lb/>
&#x017F;chrecklich lang&#x017F;am gehen die Briefe! Meine auch?) er&#x017F;t heute,<lb/>
als man bald Licht anzünden mußte (mit einem von Barne-<lb/>
kow zugleich), als ich ihn ohne Schlü&#x017F;&#x017F;el &#x017F;ah, und &#x017F;o &#x017F;chwer,<lb/>
&#x017F;o wußte ich, er mußte viel für mich enthalten; aber ganz<lb/>
Liebes kommt einem immer unverhofft. Vieles, lieb&#x017F;ter Freund,<lb/>
habe ich viel einfacher ge&#x017F;agt, als es ausge&#x017F;ehen haben muß.<lb/>
Nämlich grade das, was Sie anführen. &#x2014; Freilich &#x017F;eh&#x2019; ich<lb/>
Ihnen in die Augen! Aber zu meiner größten Ehre eher, als<lb/>
Sie mir es &#x017F;agten; unbefangen mit voller Liebe. In die Au-<lb/>
gen, wo ich alle Men&#x017F;chlichkeit finde; wahren Tro&#x017F;t, Sicher-<lb/>
heit, Er&#x017F;atz. Ich erla&#x017F;&#x017F;e Ihnen viele Worte des ächte&#x017F;ten &#x017F;trö-<lb/>
mend&#x017F;ten Wohlwollens; &#x017F;ie &#x017F;trömen be&#x017F;&#x017F;er als alle Vorwürfe!<lb/>
&#x2014; Aber Sie &#x017F;ollen frei davon &#x017F;ein; und ich will &#x017F;ie allein,<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t bekämpfen, die&#x017F;e Fluth! Ich &#x017F;agte es ganz ehrlich:<lb/>
&#x201E;Zwingen Sie &#x017F;ich nun nicht mehr, mir zu &#x017F;chreiben.&#x201C; <hi rendition="#g">Nun</hi>,<lb/>
da ich &#x017F;o lange, trotz Ihrem Ver&#x017F;prechen &#x201E;gleich zu &#x017F;chreiben&#x201C;,<lb/>
hatte warten mü&#x017F;&#x017F;en. Zwingen Sie &#x017F;ich <hi rendition="#g">nun</hi> nicht, da ich<lb/>
dies ausgehalten habe, wo es mir &#x017F;o nothwendig war, Sie<lb/>
es &#x017F;o ein&#x017F;ahen. Die übrigen Stimmungen, in denen man nicht<lb/>
&#x017F;chreibt, &#x017F;ollte dies heißen, kenne ich. Und dies &#x017F;elbe &#x017F;ollte es<lb/>
auch heißen, wenn ich die Briefe <hi rendition="#g">gleich</hi> zurückforderte, ohne<lb/>
ein Wort von Ihnen. Bö&#x017F;e, Marwitz, war ich nicht; denn,<lb/>
haben Sie nicht den offenbaren Vorwurf gele&#x017F;en? Wie er<lb/>
aus meinem Herzen kam; ganz wie er mich nur drin &#x017F;chmerzte.<lb/>
Sie &#x017F;ahen, fühlten mein Bedürfniß, &#x017F;o daß Sie &#x017F;elb&#x017F;t es mir<lb/>
zum Tro&#x017F;t ver&#x017F;prachen, und der Brief kam <hi rendition="#g">nicht! Dies</hi> &#x017F;agte<lb/>
ich Ihnen klar: und haben wir nicht läng&#x017F;t verabredet, daß<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[537/0551] Brief (wenn er auch erſt Freitag abgegangen wäre; wie ſchrecklich langſam gehen die Briefe! Meine auch?) erſt heute, als man bald Licht anzünden mußte (mit einem von Barne- kow zugleich), als ich ihn ohne Schlüſſel ſah, und ſo ſchwer, ſo wußte ich, er mußte viel für mich enthalten; aber ganz Liebes kommt einem immer unverhofft. Vieles, liebſter Freund, habe ich viel einfacher geſagt, als es ausgeſehen haben muß. Nämlich grade das, was Sie anführen. — Freilich ſeh’ ich Ihnen in die Augen! Aber zu meiner größten Ehre eher, als Sie mir es ſagten; unbefangen mit voller Liebe. In die Au- gen, wo ich alle Menſchlichkeit finde; wahren Troſt, Sicher- heit, Erſatz. Ich erlaſſe Ihnen viele Worte des ächteſten ſtrö- mendſten Wohlwollens; ſie ſtrömen beſſer als alle Vorwürfe! — Aber Sie ſollen frei davon ſein; und ich will ſie allein, ſelbſt bekämpfen, dieſe Fluth! Ich ſagte es ganz ehrlich: „Zwingen Sie ſich nun nicht mehr, mir zu ſchreiben.“ Nun, da ich ſo lange, trotz Ihrem Verſprechen „gleich zu ſchreiben“, hatte warten müſſen. Zwingen Sie ſich nun nicht, da ich dies ausgehalten habe, wo es mir ſo nothwendig war, Sie es ſo einſahen. Die übrigen Stimmungen, in denen man nicht ſchreibt, ſollte dies heißen, kenne ich. Und dies ſelbe ſollte es auch heißen, wenn ich die Briefe gleich zurückforderte, ohne ein Wort von Ihnen. Böſe, Marwitz, war ich nicht; denn, haben Sie nicht den offenbaren Vorwurf geleſen? Wie er aus meinem Herzen kam; ganz wie er mich nur drin ſchmerzte. Sie ſahen, fühlten mein Bedürfniß, ſo daß Sie ſelbſt es mir zum Troſt verſprachen, und der Brief kam nicht! Dies ſagte ich Ihnen klar: und haben wir nicht längſt verabredet, daß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/551
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 537. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/551>, abgerufen am 23.12.2024.