arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie bis auf meinen schwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun- gen jetzt! Ich habe ergründet, was es ist. -- -- So lauf' ich, wie Sie mich schon gehämmert kennen, mit geschlagenem Herzen in dieser Stadt umher; wo nichts ist, wie Sie auch wissen, als was ich Ihnen beschrieb: ärmer in allem, als ich sonst war (mit physisch krankem Herzen). Nun nicht mehr, Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt' ich's mir oft. Die Einsamkeit ist nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen Sinne ist der stärkste, ich sehe es nun wohl (kurz vor meinem Ende beinah) mein Herz; soll das schweigen und ohne Gegen- stand sein, so entsteht die Kerkerangst bei mir (der wahre Tod ist Kleinigkeit, der ist ein Aufhören einer Natur in die andere hinein -- er sei nun wie und was er wolle --), verdumpfen thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben zieht in die Angst hinein, über diesen Zustand! Ich seh' es ja, darf ich hoffen Sie zu sehen, sind Sie hier, wäre Pauline hier, die mich tausendfach erheitert, die ich vielfältig lieben kann: die ganze verstäubte Stadt wäre mir belebt; und voll wären meine Tage, ich vermißte nichts; obgleich ich alle sterb- liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An- rede an mich, paßt also nicht auf mich, mein lieber lieber Freund. Mein Geist und Gefühl sind andere Helden! Ich kann mir "die Herrlichkeit des wahren Lebens" nur "schaffen" an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber "der Gott in mir" wird mich "aufrichten"! Denn ich schaffe
arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie bis auf meinen ſchwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun- gen jetzt! Ich habe ergründet, was es iſt. — — So lauf’ ich, wie Sie mich ſchon gehämmert kennen, mit geſchlagenem Herzen in dieſer Stadt umher; wo nichts iſt, wie Sie auch wiſſen, als was ich Ihnen beſchrieb: ärmer in allem, als ich ſonſt war (mit phyſiſch krankem Herzen). Nun nicht mehr, Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt’ ich’s mir oft. Die Einſamkeit iſt nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen Sinne iſt der ſtärkſte, ich ſehe es nun wohl (kurz vor meinem Ende beinah) mein Herz; ſoll das ſchweigen und ohne Gegen- ſtand ſein, ſo entſteht die Kerkerangſt bei mir (der wahre Tod iſt Kleinigkeit, der iſt ein Aufhören einer Natur in die andere hinein — er ſei nun wie und was er wolle —), verdumpfen thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben zieht in die Angſt hinein, über dieſen Zuſtand! Ich ſeh’ es ja, darf ich hoffen Sie zu ſehen, ſind Sie hier, wäre Pauline hier, die mich tauſendfach erheitert, die ich vielfältig lieben kann: die ganze verſtäubte Stadt wäre mir belebt; und voll wären meine Tage, ich vermißte nichts; obgleich ich alle ſterb- liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An- rede an mich, paßt alſo nicht auf mich, mein lieber lieber Freund. Mein Geiſt und Gefühl ſind andere Helden! Ich kann mir „die Herrlichkeit des wahren Lebens“ nur „ſchaffen“ an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber „der Gott in mir“ wird mich „aufrichten“! Denn ich ſchaffe
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arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie
bis auf meinen ſchwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß
ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte
es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun-
gen jetzt! Ich habe ergründet, was es iſt. — — So lauf’
ich, wie Sie mich ſchon gehämmert kennen, mit geſchlagenem
Herzen in dieſer Stadt umher; wo nichts iſt, wie Sie auch
wiſſen, als was ich Ihnen beſchrieb: ärmer in allem, als ich
ſonſt war (mit phyſiſch krankem Herzen). Nun nicht mehr,
Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt’ ich’s mir oft. Die
Einſamkeit iſt nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen
Sinne iſt der ſtärkſte, ich ſehe es nun wohl (kurz vor meinem
Ende beinah) mein Herz; ſoll das ſchweigen und ohne Gegen-
ſtand ſein, ſo entſteht die Kerkerangſt bei mir (der wahre Tod
iſt Kleinigkeit, der iſt ein Aufhören einer Natur in die andere
hinein — er ſei nun wie und was er wolle —), verdumpfen
thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben
zieht in die Angſt hinein, über dieſen Zuſtand! Ich ſeh’ es
ja, darf ich hoffen Sie zu ſehen, ſind Sie hier, wäre Pauline
hier, die mich tauſendfach erheitert, die ich vielfältig lieben
kann: die ganze verſtäubte Stadt wäre mir belebt; und voll
wären meine Tage, ich vermißte nichts; obgleich ich alle ſterb-
liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An-
rede an mich, paßt alſo nicht auf mich, mein lieber lieber
Freund. Mein Geiſt und Gefühl ſind andere Helden! Ich
kann mir „die Herrlichkeit des wahren Lebens“ nur „ſchaffen“
an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber
„der Gott in mir“ wird mich „aufrichten“! Denn ich ſchaffe
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/552>, abgerufen am 23.12.2024.
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