Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie
bis auf meinen schwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß
ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte
es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun-
gen jetzt! Ich habe ergründet, was es ist. -- -- So lauf'
ich, wie Sie mich schon gehämmert kennen, mit geschlagenem
Herzen in dieser Stadt umher; wo nichts ist, wie Sie auch
wissen, als was ich Ihnen beschrieb: ärmer in allem, als ich
sonst war (mit physisch krankem Herzen). Nun nicht mehr,
Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt' ich's mir oft. Die
Einsamkeit ist nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen
Sinne ist der stärkste, ich sehe es nun wohl (kurz vor meinem
Ende beinah) mein Herz; soll das schweigen und ohne Gegen-
stand sein, so entsteht die Kerkerangst bei mir (der wahre Tod
ist Kleinigkeit, der ist ein Aufhören einer Natur in die andere
hinein -- er sei nun wie und was er wolle --), verdumpfen
thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben
zieht in die Angst hinein, über diesen Zustand! Ich seh' es
ja, darf ich hoffen Sie zu sehen, sind Sie hier, wäre Pauline
hier, die mich tausendfach erheitert, die ich vielfältig lieben
kann: die ganze verstäubte Stadt wäre mir belebt; und voll
wären meine Tage, ich vermißte nichts; obgleich ich alle sterb-
liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An-
rede an mich, paßt also nicht auf mich, mein lieber lieber
Freund. Mein Geist und Gefühl sind andere Helden! Ich
kann mir "die Herrlichkeit des wahren Lebens" nur "schaffen"
an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber
"der Gott in mir" wird mich "aufrichten"! Denn ich schaffe

arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie
bis auf meinen ſchwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß
ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte
es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun-
gen jetzt! Ich habe ergründet, was es iſt. — — So lauf’
ich, wie Sie mich ſchon gehämmert kennen, mit geſchlagenem
Herzen in dieſer Stadt umher; wo nichts iſt, wie Sie auch
wiſſen, als was ich Ihnen beſchrieb: ärmer in allem, als ich
ſonſt war (mit phyſiſch krankem Herzen). Nun nicht mehr,
Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt’ ich’s mir oft. Die
Einſamkeit iſt nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen
Sinne iſt der ſtärkſte, ich ſehe es nun wohl (kurz vor meinem
Ende beinah) mein Herz; ſoll das ſchweigen und ohne Gegen-
ſtand ſein, ſo entſteht die Kerkerangſt bei mir (der wahre Tod
iſt Kleinigkeit, der iſt ein Aufhören einer Natur in die andere
hinein — er ſei nun wie und was er wolle —), verdumpfen
thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben
zieht in die Angſt hinein, über dieſen Zuſtand! Ich ſeh’ es
ja, darf ich hoffen Sie zu ſehen, ſind Sie hier, wäre Pauline
hier, die mich tauſendfach erheitert, die ich vielfältig lieben
kann: die ganze verſtäubte Stadt wäre mir belebt; und voll
wären meine Tage, ich vermißte nichts; obgleich ich alle ſterb-
liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An-
rede an mich, paßt alſo nicht auf mich, mein lieber lieber
Freund. Mein Geiſt und Gefühl ſind andere Helden! Ich
kann mir „die Herrlichkeit des wahren Lebens“ nur „ſchaffen“
an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber
„der Gott in mir“ wird mich „aufrichten“! Denn ich ſchaffe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0552" n="538"/>
arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie<lb/>
bis auf meinen &#x017F;chwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß<lb/>
ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte<lb/>
es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun-<lb/>
gen jetzt! Ich habe ergründet, was es i&#x017F;t. &#x2014; &#x2014; So lauf&#x2019;<lb/>
ich, wie Sie mich &#x017F;chon gehämmert kennen, mit ge&#x017F;chlagenem<lb/>
Herzen in die&#x017F;er Stadt umher; wo nichts i&#x017F;t, wie Sie auch<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en, als was ich Ihnen be&#x017F;chrieb: ärmer in allem, als ich<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t war (mit phy&#x017F;i&#x017F;ch krankem Herzen). Nun nicht mehr,<lb/>
Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt&#x2019; ich&#x2019;s mir oft. Die<lb/>
Ein&#x017F;amkeit i&#x017F;t nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen<lb/>
Sinne i&#x017F;t der &#x017F;tärk&#x017F;te, ich &#x017F;ehe es nun wohl (kurz vor meinem<lb/>
Ende beinah) mein Herz; &#x017F;oll das &#x017F;chweigen und ohne Gegen-<lb/>
&#x017F;tand &#x017F;ein, &#x017F;o ent&#x017F;teht die Kerkerang&#x017F;t bei mir (der wahre Tod<lb/>
i&#x017F;t Kleinigkeit, der i&#x017F;t ein Aufhören einer Natur in die andere<lb/>
hinein &#x2014; er &#x017F;ei nun wie und was er wolle &#x2014;), verdumpfen<lb/>
thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben<lb/>
zieht in die Ang&#x017F;t hinein, über die&#x017F;en Zu&#x017F;tand! Ich &#x017F;eh&#x2019; es<lb/>
ja, darf ich hoffen Sie zu &#x017F;ehen, &#x017F;ind Sie hier, wäre Pauline<lb/>
hier, die mich tau&#x017F;endfach erheitert, die ich vielfältig lieben<lb/>
kann: die ganze ver&#x017F;täubte Stadt wäre mir belebt; und voll<lb/>
wären meine Tage, ich vermißte <hi rendition="#g">nichts</hi>; obgleich ich alle &#x017F;terb-<lb/>
liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An-<lb/>
rede an mich, paßt al&#x017F;o nicht auf mich, mein lieber lieber<lb/>
Freund. Mein Gei&#x017F;t und Gefühl &#x017F;ind andere Helden! Ich<lb/>
kann mir &#x201E;die Herrlichkeit des wahren Lebens&#x201C; nur &#x201E;&#x017F;chaffen&#x201C;<lb/>
an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber<lb/>
&#x201E;der Gott in mir&#x201C; wird mich &#x201E;aufrichten&#x201C;! Denn ich &#x017F;chaffe<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[538/0552] arge Vorwürfe gar nicht gemacht werden können? Sehen Sie bis auf meinen ſchwarzen Herzensgrund: ich freue mich, daß ich Sie quälte: aber bei Gott, ich wollte es nicht, und dachte es nicht. Verzeihen Sie mir aber überhaupt meine Stimmun- gen jetzt! Ich habe ergründet, was es iſt. — — So lauf’ ich, wie Sie mich ſchon gehämmert kennen, mit geſchlagenem Herzen in dieſer Stadt umher; wo nichts iſt, wie Sie auch wiſſen, als was ich Ihnen beſchrieb: ärmer in allem, als ich ſonſt war (mit phyſiſch krankem Herzen). Nun nicht mehr, Lieber! Schon vor Ihrem Brief überlegt’ ich’s mir oft. Die Einſamkeit iſt nicht für mich. Trotz meiner regen thätigen Sinne iſt der ſtärkſte, ich ſehe es nun wohl (kurz vor meinem Ende beinah) mein Herz; ſoll das ſchweigen und ohne Gegen- ſtand ſein, ſo entſteht die Kerkerangſt bei mir (der wahre Tod iſt Kleinigkeit, der iſt ein Aufhören einer Natur in die andere hinein — er ſei nun wie und was er wolle —), verdumpfen thun alle meine Sinne und Funktionen, und das ganze Leben zieht in die Angſt hinein, über dieſen Zuſtand! Ich ſeh’ es ja, darf ich hoffen Sie zu ſehen, ſind Sie hier, wäre Pauline hier, die mich tauſendfach erheitert, die ich vielfältig lieben kann: die ganze verſtäubte Stadt wäre mir belebt; und voll wären meine Tage, ich vermißte nichts; obgleich ich alle ſterb- liche Güter zu genießen wüßte. Ihre ehrenvolle herrliche An- rede an mich, paßt alſo nicht auf mich, mein lieber lieber Freund. Mein Geiſt und Gefühl ſind andere Helden! Ich kann mir „die Herrlichkeit des wahren Lebens“ nur „ſchaffen“ an der Seite eines Sterblichen, den ich lieben kann. Aber „der Gott in mir“ wird mich „aufrichten“! Denn ich ſchaffe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/552
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 538. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/552>, abgerufen am 23.12.2024.