Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

lichste im Menschen faßte er auf; zu diesem Punkte hin wußte
sein Gemüth jede Handlung, jede Regung der Andern zurück-
zuführen. Der war sein Maßstab, sein Probirstein; in allen
Augenblicken des ganzen Lebens. Das ist das Schönste was
ich von ihm weiß. Nie sprach er darüber mit mir, nie ich mit
ihm. Ich sah es aber ein, lebenslang. Er erröthete, wenn
Menschen von andern zum Narren gehalten wurden: das sah
ich, als man dies Einmal ziemlich gelinde mit einem verrück-
ten Juden Schapse in seiner Gegenwart vornahm: er schenkte
ihm Wein ein, und behandelte ihn geschwind als Gast. Mein
Verhältniß zu ihm war sonderbar: beinah ganz unpersönlich.
Obgleich er seine letzte Lebenszeit mit und bei mir zubrachte
(mehr als die letzten drei Jahre). Von uns zu einander, war
nicht die Rede. Doch mußt' er mir alles sagen: komponirte
er, sollt' ich bei ihm sitzen; spielte er -- am Ende gezwungen
-- Karten, auch. Mein Gräuel! Ich werde Ihnen noch viel
von seinein Innren sagen, wie ich's weiß, was Sie aufschrei-
ben können. Wir hatten Einmal, er, und ich, und Pauline,
eine Kontestation, wo denn häufig drin vorkam, was er mir
gesagt hatte, und nicht hätte sagen sollen; und er machte ihr
dieselben Vorwürfe. Mit einemmale, gelangweilt, sagte ich
zu ihm: "Prägen Sie sich fest ein, daß Sie mir alles wieder-
sagen, und daß mir Pauline auch alles wiedersagt; ich kann
das nicht behalten, was ich sagen, oder was ich verschweigen
soll, solchen Kopf habe ich nicht. Sie sagen es mir ja dann
doch beide zusammen." Er lächelte ganz fein, und unvermerkt,
und schwieg. Einmal schrieb ich ihm eine Antwort nach Schricke,
sehr aus dem Herzen, worin ich ihm sagte, "wenn ich Ihnen

lichſte im Menſchen faßte er auf; zu dieſem Punkte hin wußte
ſein Gemüth jede Handlung, jede Regung der Andern zurück-
zuführen. Der war ſein Maßſtab, ſein Probirſtein; in allen
Augenblicken des ganzen Lebens. Das iſt das Schönſte was
ich von ihm weiß. Nie ſprach er darüber mit mir, nie ich mit
ihm. Ich ſah es aber ein, lebenslang. Er erröthete, wenn
Menſchen von andern zum Narren gehalten wurden: das ſah
ich, als man dies Einmal ziemlich gelinde mit einem verrück-
ten Juden Schapſe in ſeiner Gegenwart vornahm: er ſchenkte
ihm Wein ein, und behandelte ihn geſchwind als Gaſt. Mein
Verhältniß zu ihm war ſonderbar: beinah ganz unperſönlich.
Obgleich er ſeine letzte Lebenszeit mit und bei mir zubrachte
(mehr als die letzten drei Jahre). Von uns zu einander, war
nicht die Rede. Doch mußt’ er mir alles ſagen: komponirte
er, ſollt’ ich bei ihm ſitzen; ſpielte er — am Ende gezwungen
— Karten, auch. Mein Gräuel! Ich werde Ihnen noch viel
von ſeinein Innren ſagen, wie ich’s weiß, was Sie aufſchrei-
ben können. Wir hatten Einmal, er, und ich, und Pauline,
eine Konteſtation, wo denn häufig drin vorkam, was er mir
geſagt hatte, und nicht hätte ſagen ſollen; und er machte ihr
dieſelben Vorwürfe. Mit einemmale, gelangweilt, ſagte ich
zu ihm: „Prägen Sie ſich feſt ein, daß Sie mir alles wieder-
ſagen, und daß mir Pauline auch alles wiederſagt; ich kann
das nicht behalten, was ich ſagen, oder was ich verſchweigen
ſoll, ſolchen Kopf habe ich nicht. Sie ſagen es mir ja dann
doch beide zuſammen.“ Er lächelte ganz fein, und unvermerkt,
und ſchwieg. Einmal ſchrieb ich ihm eine Antwort nach Schricke,
ſehr aus dem Herzen, worin ich ihm ſagte, „wenn ich Ihnen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0571" n="557"/>
lich&#x017F;te im Men&#x017F;chen faßte er auf; zu die&#x017F;em Punkte hin wußte<lb/>
&#x017F;ein Gemüth jede Handlung, jede Regung der Andern zurück-<lb/>
zuführen. Der war &#x017F;ein Maß&#x017F;tab, &#x017F;ein Probir&#x017F;tein; in allen<lb/>
Augenblicken des ganzen Lebens. Das i&#x017F;t das Schön&#x017F;te was<lb/>
ich von ihm weiß. Nie &#x017F;prach er darüber mit mir, nie ich mit<lb/>
ihm. Ich &#x017F;ah es aber ein, lebenslang. Er erröthete, wenn<lb/>
Men&#x017F;chen von andern zum Narren gehalten wurden: das &#x017F;ah<lb/>
ich, als man dies Einmal ziemlich gelinde mit einem verrück-<lb/>
ten Juden Schap&#x017F;e in &#x017F;einer Gegenwart vornahm: er &#x017F;chenkte<lb/>
ihm Wein ein, und behandelte ihn ge&#x017F;chwind als Ga&#x017F;t. Mein<lb/>
Verhältniß zu ihm war &#x017F;onderbar: beinah ganz unper&#x017F;önlich.<lb/>
Obgleich er &#x017F;eine letzte Lebenszeit mit und bei mir zubrachte<lb/>
(mehr als die letzten drei Jahre). Von uns zu einander, war<lb/>
nicht die Rede. Doch mußt&#x2019; er mir alles &#x017F;agen: komponirte<lb/>
er, &#x017F;ollt&#x2019; ich bei ihm &#x017F;itzen; &#x017F;pielte er &#x2014; am Ende gezwungen<lb/>
&#x2014; Karten, auch. Mein Gräuel! Ich werde Ihnen noch viel<lb/>
von &#x017F;einein Innren &#x017F;agen, wie ich&#x2019;s weiß, was Sie auf&#x017F;chrei-<lb/>
ben können. Wir hatten Einmal, er, und ich, und Pauline,<lb/>
eine Konte&#x017F;tation, wo denn häufig drin vorkam, was er mir<lb/>
ge&#x017F;agt hatte, und nicht hätte &#x017F;agen &#x017F;ollen; und er machte ihr<lb/>
die&#x017F;elben Vorwürfe. Mit einemmale, gelangweilt, &#x017F;agte ich<lb/>
zu ihm: &#x201E;Prägen Sie &#x017F;ich fe&#x017F;t ein, daß Sie mir alles wieder-<lb/>
&#x017F;agen, und daß mir Pauline auch alles wieder&#x017F;agt; <hi rendition="#g">ich</hi> kann<lb/>
das nicht behalten, was ich &#x017F;agen, oder was ich ver&#x017F;chweigen<lb/>
&#x017F;oll, &#x017F;olchen Kopf habe ich nicht. Sie &#x017F;agen es mir ja dann<lb/>
doch beide zu&#x017F;ammen.&#x201C; Er lächelte ganz fein, und unvermerkt,<lb/>
und &#x017F;chwieg. Einmal &#x017F;chrieb ich ihm eine Antwort nach Schricke,<lb/>
&#x017F;ehr aus dem Herzen, worin ich ihm &#x017F;agte, &#x201E;wenn ich Ihnen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[557/0571] lichſte im Menſchen faßte er auf; zu dieſem Punkte hin wußte ſein Gemüth jede Handlung, jede Regung der Andern zurück- zuführen. Der war ſein Maßſtab, ſein Probirſtein; in allen Augenblicken des ganzen Lebens. Das iſt das Schönſte was ich von ihm weiß. Nie ſprach er darüber mit mir, nie ich mit ihm. Ich ſah es aber ein, lebenslang. Er erröthete, wenn Menſchen von andern zum Narren gehalten wurden: das ſah ich, als man dies Einmal ziemlich gelinde mit einem verrück- ten Juden Schapſe in ſeiner Gegenwart vornahm: er ſchenkte ihm Wein ein, und behandelte ihn geſchwind als Gaſt. Mein Verhältniß zu ihm war ſonderbar: beinah ganz unperſönlich. Obgleich er ſeine letzte Lebenszeit mit und bei mir zubrachte (mehr als die letzten drei Jahre). Von uns zu einander, war nicht die Rede. Doch mußt’ er mir alles ſagen: komponirte er, ſollt’ ich bei ihm ſitzen; ſpielte er — am Ende gezwungen — Karten, auch. Mein Gräuel! Ich werde Ihnen noch viel von ſeinein Innren ſagen, wie ich’s weiß, was Sie aufſchrei- ben können. Wir hatten Einmal, er, und ich, und Pauline, eine Konteſtation, wo denn häufig drin vorkam, was er mir geſagt hatte, und nicht hätte ſagen ſollen; und er machte ihr dieſelben Vorwürfe. Mit einemmale, gelangweilt, ſagte ich zu ihm: „Prägen Sie ſich feſt ein, daß Sie mir alles wieder- ſagen, und daß mir Pauline auch alles wiederſagt; ich kann das nicht behalten, was ich ſagen, oder was ich verſchweigen ſoll, ſolchen Kopf habe ich nicht. Sie ſagen es mir ja dann doch beide zuſammen.“ Er lächelte ganz fein, und unvermerkt, und ſchwieg. Einmal ſchrieb ich ihm eine Antwort nach Schricke, ſehr aus dem Herzen, worin ich ihm ſagte, „wenn ich Ihnen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/571
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/571>, abgerufen am 23.12.2024.