Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

wo er mit Redtel bei mir war, und mich im Bette liegen sah,
weder bei mir, noch hat er geschickt, was ich mache. Wie
würde er es finden, wenn ich ihn nicht wie den ersten
elegant,
oder den vornehmsten Mann behandelte: er aber
schickt und geht gewiß zu Andern, die er sich als Damen kon-
stituirt hat. Glück zu! zu der schönen Sitte. Ob ich den
konvoitire, fragen Sie sich selbst. "Wer nichts aus sich macht,
sagt Figaro, aus dem macht die Welt auch nichts." Also
auch hierin hab' ich, was mir gebührt.

Nun werd' ich Punkt vor Punkt auf Ihren Brief ant-
worten. Eins nur noch auf Ihren vorletzten, auf den ich noch
so viel zu antworten habe. Wie mit einem kalten langen
Schwert zogen Sie mir durch's Herz mit einer Rede darin.
Einer wohlgemeinten Marwitzischen herrlichen Rede. Was
sagen Sie mir nicht Erhebendes; zum genußreichsten Stolz
erhebenden Beifall; wie befriedigt es mich von Ihnen, lobend
erkannt zu sein, als eine Ausgezeichnete! dem aufhorchenden,
gieren, eitlen -- persönlichen, dies ist's -- Herzen entging
nichts; und nahrungsbedürftig sog es alles ein; eh diese
Worte kamen: "Die scharfe Intelligenz (so endet Ihre Auf-
munterung) denkt weiter und in größern Kreisen;" dann
folgt: "Aus dem grünen frischen, lebendigen Thal
hat Sie der Schicksalssturm hinaufgehoben auf
Bergeshöh, wo der Blick unendlich ist, der Mensch
fern, aber Gott nah
." Mit Moritz saß ich am Fenster,
als ich dies las, und geschwinde Thränen stürzten mir in den
Schooß, über die Wangen, allenthalben hin. So ist Un-
glück; sind meine Freunde wahr, so müssen Sie mir das

36 *

wo er mit Redtel bei mir war, und mich im Bette liegen ſah,
weder bei mir, noch hat er geſchickt, was ich mache. Wie
würde er es finden, wenn ich ihn nicht wie den erſten
élégant,
oder den vornehmſten Mann behandelte: er aber
ſchickt und geht gewiß zu Andern, die er ſich als Damen kon-
ſtituirt hat. Glück zu! zu der ſchönen Sitte. Ob ich den
konvoitire, fragen Sie ſich ſelbſt. „Wer nichts aus ſich macht,
ſagt Figaro, aus dem macht die Welt auch nichts.“ Alſo
auch hierin hab’ ich, was mir gebührt.

Nun werd’ ich Punkt vor Punkt auf Ihren Brief ant-
worten. Eins nur noch auf Ihren vorletzten, auf den ich noch
ſo viel zu antworten habe. Wie mit einem kalten langen
Schwert zogen Sie mir durch’s Herz mit einer Rede darin.
Einer wohlgemeinten Marwitziſchen herrlichen Rede. Was
ſagen Sie mir nicht Erhebendes; zum genußreichſten Stolz
erhebenden Beifall; wie befriedigt es mich von Ihnen, lobend
erkannt zu ſein, als eine Ausgezeichnete! dem aufhorchenden,
gieren, eitlen — perſönlichen, dies iſt’s — Herzen entging
nichts; und nahrungsbedürftig ſog es alles ein; eh dieſe
Worte kamen: „Die ſcharfe Intelligenz (ſo endet Ihre Auf-
munterung) denkt weiter und in größern Kreiſen;“ dann
folgt: „Aus dem grünen friſchen, lebendigen Thal
hat Sie der Schickſalsſturm hinaufgehoben auf
Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch
fern, aber Gott nah
.“ Mit Moritz ſaß ich am Fenſter,
als ich dies las, und geſchwinde Thränen ſtürzten mir in den
Schooß, über die Wangen, allenthalben hin. So iſt Un-
glück; ſind meine Freunde wahr, ſo müſſen Sie mir das

36 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0577" n="563"/>
wo er mit Redtel bei mir war, und mich im Bette liegen &#x017F;ah,<lb/>
weder bei mir, noch hat er ge&#x017F;chickt, was ich mache. Wie<lb/>
würde <hi rendition="#g">er</hi> es finden, wenn <hi rendition="#g">ich ihn</hi> nicht wie den <hi rendition="#g">er&#x017F;ten<lb/><hi rendition="#aq">élégant,</hi></hi> oder den vornehm&#x017F;ten Mann behandelte: er aber<lb/>
&#x017F;chickt und geht gewiß zu Andern, die er &#x017F;ich als Damen kon-<lb/>
&#x017F;tituirt hat. Glück zu! zu der &#x017F;chönen Sitte. Ob ich <hi rendition="#g">den</hi><lb/>
konvoitire, fragen Sie &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t. &#x201E;Wer nichts aus &#x017F;ich macht,<lb/>
&#x017F;agt Figaro, aus dem macht die Welt auch nichts.&#x201C; Al&#x017F;o<lb/>
auch hierin hab&#x2019; ich, was mir gebührt.</p><lb/>
            <p>Nun werd&#x2019; ich Punkt vor Punkt auf Ihren Brief ant-<lb/>
worten. Eins nur noch auf Ihren vorletzten, auf den ich noch<lb/>
&#x017F;o viel zu antworten habe. Wie mit einem kalten langen<lb/>
Schwert zogen Sie mir durch&#x2019;s Herz mit einer Rede darin.<lb/>
Einer wohlgemeinten Marwitzi&#x017F;chen herrlichen Rede. Was<lb/>
&#x017F;agen Sie mir nicht Erhebendes; zum genußreich&#x017F;ten Stolz<lb/>
erhebenden Beifall; wie befriedigt es mich von Ihnen, lobend<lb/>
erkannt zu &#x017F;ein, als eine Ausgezeichnete! dem aufhorchenden,<lb/>
gieren, eitlen &#x2014; per&#x017F;önlichen, dies i&#x017F;t&#x2019;s &#x2014; Herzen entging<lb/>
nichts; und nahrungsbedürftig &#x017F;og es alles ein; eh <hi rendition="#g">die&#x017F;e</hi><lb/>
Worte kamen: &#x201E;Die &#x017F;charfe Intelligenz (&#x017F;o endet Ihre Auf-<lb/>
munterung) denkt weiter und in größern Krei&#x017F;en;&#x201C; dann<lb/><hi rendition="#g">folgt: &#x201E;Aus dem grünen fri&#x017F;chen, lebendigen Thal<lb/>
hat Sie der Schick&#x017F;als&#x017F;turm hinaufgehoben auf<lb/>
Bergeshöh, wo der Blick unendlich i&#x017F;t, der Men&#x017F;ch<lb/>
fern, aber Gott nah</hi>.&#x201C; Mit Moritz &#x017F;aß ich am Fen&#x017F;ter,<lb/>
als ich dies las, und ge&#x017F;chwinde Thränen &#x017F;türzten mir in den<lb/>
Schooß, über die Wangen, allenthalben hin. <hi rendition="#g">So i&#x017F;t</hi> Un-<lb/>
glück; &#x017F;ind meine Freunde wahr, &#x017F;o mü&#x017F;&#x017F;en Sie mir das<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">36 *</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[563/0577] wo er mit Redtel bei mir war, und mich im Bette liegen ſah, weder bei mir, noch hat er geſchickt, was ich mache. Wie würde er es finden, wenn ich ihn nicht wie den erſten élégant, oder den vornehmſten Mann behandelte: er aber ſchickt und geht gewiß zu Andern, die er ſich als Damen kon- ſtituirt hat. Glück zu! zu der ſchönen Sitte. Ob ich den konvoitire, fragen Sie ſich ſelbſt. „Wer nichts aus ſich macht, ſagt Figaro, aus dem macht die Welt auch nichts.“ Alſo auch hierin hab’ ich, was mir gebührt. Nun werd’ ich Punkt vor Punkt auf Ihren Brief ant- worten. Eins nur noch auf Ihren vorletzten, auf den ich noch ſo viel zu antworten habe. Wie mit einem kalten langen Schwert zogen Sie mir durch’s Herz mit einer Rede darin. Einer wohlgemeinten Marwitziſchen herrlichen Rede. Was ſagen Sie mir nicht Erhebendes; zum genußreichſten Stolz erhebenden Beifall; wie befriedigt es mich von Ihnen, lobend erkannt zu ſein, als eine Ausgezeichnete! dem aufhorchenden, gieren, eitlen — perſönlichen, dies iſt’s — Herzen entging nichts; und nahrungsbedürftig ſog es alles ein; eh dieſe Worte kamen: „Die ſcharfe Intelligenz (ſo endet Ihre Auf- munterung) denkt weiter und in größern Kreiſen;“ dann folgt: „Aus dem grünen friſchen, lebendigen Thal hat Sie der Schickſalsſturm hinaufgehoben auf Bergeshöh, wo der Blick unendlich iſt, der Menſch fern, aber Gott nah.“ Mit Moritz ſaß ich am Fenſter, als ich dies las, und geſchwinde Thränen ſtürzten mir in den Schooß, über die Wangen, allenthalben hin. So iſt Un- glück; ſind meine Freunde wahr, ſo müſſen Sie mir das 36 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/577
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/577>, abgerufen am 23.12.2024.