Wien, Freitag den 6. April Vormittags 11 Uhr 1815.
-- Auch werden sich die Menschen wieder aus der ersten nothwendigen stupeur erholen: reell ist doch noch nichts ver- loren, und die Meinung. die den Kredit macht, muß sich wie- der ausgleichen. Unendlich weh thun mir grade all die Mit- telleute: und unsäglich A! Aber ich bitte euch, fahrt nur fort mir immer alles zu schreiben. Man ist weit ruhiger, wenn man auch Unangenehmes hört, wenigstens zu glauben, man weiß alles, als nicht trauen zu dürfen, und mit seinen Ge- danken, wie an der Roulette, nur hin und her zu rollen, und zu schlagen; ohne in's Unendliche noch beruhigt still sein zu können. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Gott bedanken soll, daß ihr nicht verwickelt seid. So ist doch die alte häß- liche hemmende Familienvorsicht zu solchen Zeiten gut! Ver- säumt nur den Frühling nicht! und stärkt -- jetzt doppelt -- Seele und Körper in der Luft. Es wird alles anders! Hier ist eine große Stagnation und Stille; die ich mir nie für Politik, oder Richelieu'sche Verschwiegenheit aufbinden lasse. (Hr. Whitbread antwortete auf "er müsse das nicht au pied de la lettre nehmen", -- "Ich kenne die Minister zu gut, um je etwas, was sie sagen, au pied de la lettre zu neh- men.") Es ist Verlegenheit, oder irgend eine Verwicklung dahinter. Verlegenheit, da man die Bourbons nicht wieder anbieten will, oder kann, wie laut gesagt wird: und nun noch keinen Titel und keine Art hat, mit den Franzosen zu spre-
An M. Th. Robert, in Berlin.
Wien, Freitag den 6. April Vormittags 11 Uhr 1815.
— Auch werden ſich die Menſchen wieder aus der erſten nothwendigen stupeur erholen: reell iſt doch noch nichts ver- loren, und die Meinung. die den Kredit macht, muß ſich wie- der ausgleichen. Unendlich weh thun mir grade all die Mit- telleute: und unſäglich A! Aber ich bitte euch, fahrt nur fort mir immer alles zu ſchreiben. Man iſt weit ruhiger, wenn man auch Unangenehmes hört, wenigſtens zu glauben, man weiß alles, als nicht trauen zu dürfen, und mit ſeinen Ge- danken, wie an der Roulette, nur hin und her zu rollen, und zu ſchlagen; ohne in’s Unendliche noch beruhigt ſtill ſein zu können. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Gott bedanken ſoll, daß ihr nicht verwickelt ſeid. So iſt doch die alte häß- liche hemmende Familienvorſicht zu ſolchen Zeiten gut! Ver- ſäumt nur den Frühling nicht! und ſtärkt — jetzt doppelt — Seele und Körper in der Luft. Es wird alles anders! Hier iſt eine große Stagnation und Stille; die ich mir nie für Politik, oder Richelieu’ſche Verſchwiegenheit aufbinden laſſe. (Hr. Whitbread antwortete auf „er müſſe das nicht au pied de la lettre nehmen“, — „Ich kenne die Miniſter zu gut, um je etwas, was ſie ſagen, au pied de la lettre zu neh- men.“) Es iſt Verlegenheit, oder irgend eine Verwicklung dahinter. Verlegenheit, da man die Bourbons nicht wieder anbieten will, oder kann, wie laut geſagt wird: und nun noch keinen Titel und keine Art hat, mit den Franzoſen zu ſpre-
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An M. Th. Robert, in Berlin.
Wien, Freitag den 6. April Vormittags 11 Uhr 1815.
— Auch werden ſich die Menſchen wieder aus der erſten
nothwendigen stupeur erholen: reell iſt doch noch nichts ver-
loren, und die Meinung. die den Kredit macht, muß ſich wie-
der ausgleichen. Unendlich weh thun mir grade all die Mit-
telleute: und unſäglich A! Aber ich bitte euch, fahrt nur fort
mir immer alles zu ſchreiben. Man iſt weit ruhiger, wenn
man auch Unangenehmes hört, wenigſtens zu glauben, man
weiß alles, als nicht trauen zu dürfen, und mit ſeinen Ge-
danken, wie an der Roulette, nur hin und her zu rollen, und
zu ſchlagen; ohne in’s Unendliche noch beruhigt ſtill ſein zu
können. Ich weiß gar nicht, wie ich mich bei Gott bedanken
ſoll, daß ihr nicht verwickelt ſeid. So iſt doch die alte häß-
liche hemmende Familienvorſicht zu ſolchen Zeiten gut! Ver-
ſäumt nur den Frühling nicht! und ſtärkt — jetzt doppelt —
Seele und Körper in der Luft. Es wird alles anders!
Hier iſt eine große Stagnation und Stille; die ich mir nie
für Politik, oder Richelieu’ſche Verſchwiegenheit aufbinden
laſſe. (Hr. Whitbread antwortete auf „er müſſe das nicht
au pied de la lettre nehmen“, — „Ich kenne die Miniſter zu
gut, um je etwas, was ſie ſagen, au pied de la lettre zu neh-
men.“) Es iſt Verlegenheit, oder irgend eine Verwicklung
dahinter. Verlegenheit, da man die Bourbons nicht wieder
anbieten will, oder kann, wie laut geſagt wird: und nun noch
keinen Titel und keine Art hat, mit den Franzoſen zu ſpre-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/288>, abgerufen am 21.11.2024.
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