Heute, mein Geliebter, erhielt ich einen Brief von dir, anstatt dich! Jedoch sei ruhig, denn ich bin es auch. Und vergnügt, wenn ich dich auch wünsche. -- Unser Quartier, im Töpferhäuschen ist das amüsanteste! Ich mag gar nicht ausgehen! Lauter Berge, und Königinnen! und Könige! und alle Welt Menschen. Heute essen wir zum erstenmal zu Hause. Die arme Tettenborn liegt zu Bette: auf wenige Tage nur, sagt Rehmann. Demidoff's sind sehr gut mit mir. Sie war- ten Alle auf dich. Auch Narischkin ist gestern angekommen; wie ein Bruder sich gefreut. Robert ist ganz galant gegen uns! -- hat beim König von Würtemberg gespeist, ist mit Goloffkin auf der Hub; und sehr recherchirt. Rostopschin merkt, daß ich ein Publikum bin. Die Königin von Würtem- berg und die Großherzogin sehen sich viel und gern. Man sieht sie Alle den ganzen Tag. Jeder, und die Demidoff a la tete, außer sich über die hohen Gäste und das Kourma- chen: bis zu Thränen. Und gehen beinah nicht hin!? Mit Tastet's aus Straßburg sind Franzosen, die ein Götterkind von zwei Jahren haben! Morgen leider reist es. --
Etwas von Rostopschin. Wie fein, witzig, graziös er in seiner Ruhe und Würde ist, weißt du. Nun hab' ich aber gesehen, wie er mit allem diesen auch grob sein kann. Der Baron Gr., der ihm schon lange zu dreist dünken mochte, sprang in der Allee zu ihm heran, bewunderte die Dekoratio-
An Varnhagen, in Karlsruhe.
Baden, Montag Mittag 1 Uhr, den 7. Juni 1817.
Helltrübes Wetter nach unendlichen Regengüſſen.
Heute, mein Geliebter, erhielt ich einen Brief von dir, anſtatt dich! Jedoch ſei ruhig, denn ich bin es auch. Und vergnügt, wenn ich dich auch wünſche. — Unſer Quartier, im Töpferhäuschen iſt das amüſanteſte! Ich mag gar nicht ausgehen! Lauter Berge, und Königinnen! und Könige! und alle Welt Menſchen. Heute eſſen wir zum erſtenmal zu Hauſe. Die arme Tettenborn liegt zu Bette: auf wenige Tage nur, ſagt Rehmann. Demidoff’s ſind ſehr gut mit mir. Sie war- ten Alle auf dich. Auch Nariſchkin iſt geſtern angekommen; wie ein Bruder ſich gefreut. Robert iſt ganz galant gegen uns! — hat beim König von Würtemberg geſpeiſt, iſt mit Goloffkin auf der Hub; und ſehr recherchirt. Roſtopſchin merkt, daß ich ein Publikum bin. Die Königin von Würtem- berg und die Großherzogin ſehen ſich viel und gern. Man ſieht ſie Alle den ganzen Tag. Jeder, und die Demidoff à la tête, außer ſich über die hohen Gäſte und das Kourma- chen: bis zu Thränen. Und gehen beinah nicht hin!? Mit Taſtet’s aus Straßburg ſind Franzoſen, die ein Götterkind von zwei Jahren haben! Morgen leider reiſt es. —
Etwas von Roſtopſchin. Wie fein, witzig, graziös er in ſeiner Ruhe und Würde iſt, weißt du. Nun hab’ ich aber geſehen, wie er mit allem dieſen auch grob ſein kann. Der Baron Gr., der ihm ſchon lange zu dreiſt dünken mochte, ſprang in der Allee zu ihm heran, bewunderte die Dekoratio-
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An Varnhagen, in Karlsruhe.
Baden, Montag Mittag 1 Uhr, den 7. Juni 1817.
Helltrübes Wetter nach unendlichen Regengüſſen.
Heute, mein Geliebter, erhielt ich einen Brief von dir,
anſtatt dich! Jedoch ſei ruhig, denn ich bin es auch. Und
vergnügt, wenn ich dich auch wünſche. — Unſer Quartier, im
Töpferhäuschen iſt das amüſanteſte! Ich mag gar nicht
ausgehen! Lauter Berge, und Königinnen! und Könige! und
alle Welt Menſchen. Heute eſſen wir zum erſtenmal zu Hauſe.
Die arme Tettenborn liegt zu Bette: auf wenige Tage nur,
ſagt Rehmann. Demidoff’s ſind ſehr gut mit mir. Sie war-
ten Alle auf dich. Auch Nariſchkin iſt geſtern angekommen;
wie ein Bruder ſich gefreut. Robert iſt ganz galant gegen
uns! — hat beim König von Würtemberg geſpeiſt, iſt mit
Goloffkin auf der Hub; und ſehr recherchirt. Roſtopſchin
merkt, daß ich ein Publikum bin. Die Königin von Würtem-
berg und die Großherzogin ſehen ſich viel und gern. Man
ſieht ſie Alle den ganzen Tag. Jeder, und die Demidoff
à la tête, außer ſich über die hohen Gäſte und das Kourma-
chen: bis zu Thränen. Und gehen beinah nicht hin!? Mit
Taſtet’s aus Straßburg ſind Franzoſen, die ein Götterkind
von zwei Jahren haben! Morgen leider reiſt es. —
Etwas von Roſtopſchin. Wie fein, witzig, graziös er in
ſeiner Ruhe und Würde iſt, weißt du. Nun hab’ ich aber
geſehen, wie er mit allem dieſen auch grob ſein kann. Der
Baron Gr., der ihm ſchon lange zu dreiſt dünken mochte,
ſprang in der Allee zu ihm heran, bewunderte die Dekoratio-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/474>, abgerufen am 22.11.2024.
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