dorf besuchte mich mit einer Tochter; ein Freund von Varn- hagen; auch dies alles bewirthete ich unter hin und her reisen von Baden nach Karlsruhe und von Karlsruhe nach Baden. Dabei mußte ich ausziehen, weil mein Wirth mir aufgesagt hatte; dies alles mit seinen unerschwinglichen Kosten, Ärger, Unruhe, Arbeit, Sorge, Bewegung, Besorgen; Vorstellen da- bei Wirthin, Dame, Verwandte; und das Tettenborn'sche Haus mit all seinemtrain dabei, auch eine Reise mit dem und zwölf Personen in den Schwarzwald und in's Kinziger- und Murgthal -- haben mich ganz stupid gemacht. Auf unserer Reise hierher ging's längs dem Rhein hinab, Varnh. Dore und ich; ich mußte Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Aachen, Lüttich, Löwen, alles sehen, Kirchen, Rathhäuser, alles: reiste mehr als zehn Tage. So daß drei Wochen von Varnhagens sechswöchentlichen Urlaub weg sind. In meiner Seele, den ganzen Sommer über, dacht' ich es mir, sorgte es mir anders aus! Ich dachte nicht an Rhein, nicht an Varnhagens Reise: dachte sechs Wochen zur Brüsseler Reise zu haben: dachte Ih- nen zu schreiben, mit Ihnen ein Rendezvous hier zu haben: ja sogar, wenn auch nur auf zwei Wochen, meine Schwester, die ich nun nicht mobil und in der Zeit beschränkt finde, nach Paris zu schleppen. So aber bin ich in eine wahre Stupidität gefallen, daß ich Ihnen in acht vollen Tagen von hier aus nicht schrieb!? -- nicht schreiben konnte. Weil ich auch hier gemartert wurde durch das Bedrohen einer Reise, die Varnh. noch von hieraus machen wollte und will. Kurz, im Leben kombinire ich nicht wieder zwei Dinge, die nicht zu- sammen gehören, wenn eins davon ein reines Vergnügen,
dorf beſuchte mich mit einer Tochter; ein Freund von Varn- hagen; auch dies alles bewirthete ich unter hin und her reiſen von Baden nach Karlsruhe und von Karlsruhe nach Baden. Dabei mußte ich ausziehen, weil mein Wirth mir aufgeſagt hatte; dies alles mit ſeinen unerſchwinglichen Koſten, Ärger, Unruhe, Arbeit, Sorge, Bewegung, Beſorgen; Vorſtellen da- bei Wirthin, Dame, Verwandte; und das Tettenborn’ſche Haus mit all ſeinemtrain dabei, auch eine Reiſe mit dem und zwölf Perſonen in den Schwarzwald und in’s Kinziger- und Murgthal — haben mich ganz ſtupid gemacht. Auf unſerer Reiſe hierher ging’s längs dem Rhein hinab, Varnh. Dore und ich; ich mußte Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Aachen, Lüttich, Löwen, alles ſehen, Kirchen, Rathhäuſer, alles: reiſte mehr als zehn Tage. So daß drei Wochen von Varnhagens ſechswöchentlichen Urlaub weg ſind. In meiner Seele, den ganzen Sommer über, dacht’ ich es mir, ſorgte es mir anders aus! Ich dachte nicht an Rhein, nicht an Varnhagens Reiſe: dachte ſechs Wochen zur Brüſſeler Reiſe zu haben: dachte Ih- nen zu ſchreiben, mit Ihnen ein Rendezvous hier zu haben: ja ſogar, wenn auch nur auf zwei Wochen, meine Schweſter, die ich nun nicht mobil und in der Zeit beſchränkt finde, nach Paris zu ſchleppen. So aber bin ich in eine wahre Stupidität gefallen, daß ich Ihnen in acht vollen Tagen von hier aus nicht ſchrieb!? — nicht ſchreiben konnte. Weil ich auch hier gemartert wurde durch das Bedrohen einer Reiſe, die Varnh. noch von hieraus machen wollte und will. Kurz, im Leben kombinire ich nicht wieder zwei Dinge, die nicht zu- ſammen gehören, wenn eins davon ein reines Vergnügen,
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dorf beſuchte mich mit einer Tochter; ein Freund von Varn-
hagen; auch dies alles bewirthete ich unter hin und her reiſen
von Baden nach Karlsruhe und von Karlsruhe nach Baden.
Dabei mußte ich ausziehen, weil mein Wirth mir aufgeſagt
hatte; dies alles mit ſeinen unerſchwinglichen Koſten, Ärger,
Unruhe, Arbeit, Sorge, Bewegung, Beſorgen; Vorſtellen da-
bei Wirthin, Dame, Verwandte; und das Tettenborn’ſche Haus
mit all ſeinem train dabei, auch eine Reiſe mit dem und
zwölf Perſonen in den Schwarzwald und in’s Kinziger- und
Murgthal — haben mich ganz ſtupid gemacht. Auf unſerer
Reiſe hierher ging’s längs dem Rhein hinab, Varnh. Dore
und ich; ich mußte Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Aachen,
Lüttich, Löwen, alles ſehen, Kirchen, Rathhäuſer, alles: reiſte
mehr als zehn Tage. So daß drei Wochen von Varnhagens
ſechswöchentlichen Urlaub weg ſind. In meiner Seele, den
ganzen Sommer über, dacht’ ich es mir, ſorgte es mir anders
aus! Ich dachte nicht an Rhein, nicht an Varnhagens Reiſe:
dachte ſechs Wochen zur Brüſſeler Reiſe zu haben: dachte Ih-
nen zu ſchreiben, mit Ihnen ein Rendezvous hier zu haben:
ja ſogar, wenn auch nur auf zwei Wochen, meine Schweſter,
die ich nun nicht mobil und in der Zeit beſchränkt finde,
nach Paris zu ſchleppen. So aber bin ich in eine wahre
Stupidität gefallen, daß ich Ihnen in acht vollen Tagen von
hier aus nicht ſchrieb!? — nicht ſchreiben konnte. Weil ich
auch hier gemartert wurde durch das Bedrohen einer Reiſe,
die Varnh. noch von hieraus machen wollte und will. Kurz,
im Leben kombinire ich nicht wieder zwei Dinge, die nicht zu-
ſammen gehören, wenn eins davon ein reines Vergnügen,
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/483>, abgerufen am 25.11.2024.
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