Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Gericht zu nennen -- nahe geblieben, und "soviel Worte, so-
viel Lügen!" Da blühen die Unwahrscheinlichkeiten und Wi-
dersprüche nur so, auf einem eignen Felde, das wenigstens
voller Diktion stehen sollte: die man aber ganz vermißt.
Ludwigs XIV. Zeit ist ganz willkürlich gewählt, da nichts
als zwei Namen, die der Damen Maintenon und Scudery,
beibehalten sind; und die einiger Straßen. Die Leute spre-
chen bei St. Denys, und nicht bei dem König der Schicklich-
keit, dessen Gesetze darüber noch gelten. Seine Polizei ist,
in den wichtigsten Fällen von Raub und Mord, wovon der
erste sogar Henriette von England betrifft, die schlechteste von
der Welt. Sie findet, trotz persönlichem Schreck, und Keu-
chen bei der Untersuchung des Hauses und der Nachbarmauer
des Goldschmidts, nichts; abgleich uns Hoffmann nachher sehr
Handgreifliches finden läßt. Mlle. Scudery behält geduldig
den reichsten Schmuck Frankreichs von einem toll sich gebär-
denden Goldschmidt: und dies, im Zimmer der Mad. Main-
tenon vorgegangen, bleibt auch in Paris ohne alle Nachrede
und Folgen, bei den größten Nachspürungen über Gift und
Mord, und bei einem eigenen Tribunal zur Untersuchung die-
ser Gräuel. Der Pflegesohn der Mlle. meldet sich nie bei ihr,
als wenn es Hoffmann nöthig hat! -- Bei Ludwig XIV.
geht man nur so in sein Konseil, wie an die Theaterkasse.
Der gepanzerte Offizier spielt sein Stückchen allein; und mel-
det nur seinen gewonnenen Krieg der Dame, wenn es Zeit ist:
keiner Polizei, keiner chambre ardente. Der Goldschmidt ist
der größte Künstler, weil er ein Juwelenfresser schon im
Mutterleib werden mußte. Wie hideux, krankhaft, unnütz,

Gericht zu nennen — nahe geblieben, und „ſoviel Worte, ſo-
viel Lügen!“ Da blühen die Unwahrſcheinlichkeiten und Wi-
derſprüche nur ſo, auf einem eignen Felde, das wenigſtens
voller Diktion ſtehen ſollte: die man aber ganz vermißt.
Ludwigs XIV. Zeit iſt ganz willkürlich gewählt, da nichts
als zwei Namen, die der Damen Maintenon und Scudéry,
beibehalten ſind; und die einiger Straßen. Die Leute ſpre-
chen bei St. Denys, und nicht bei dem König der Schicklich-
keit, deſſen Geſetze darüber noch gelten. Seine Polizei iſt,
in den wichtigſten Fällen von Raub und Mord, wovon der
erſte ſogar Henriette von England betrifft, die ſchlechteſte von
der Welt. Sie findet, trotz perſönlichem Schreck, und Keu-
chen bei der Unterſuchung des Hauſes und der Nachbarmauer
des Goldſchmidts, nichts; abgleich uns Hoffmann nachher ſehr
Handgreifliches finden läßt. Mlle. Scudéry behält geduldig
den reichſten Schmuck Frankreichs von einem toll ſich gebär-
denden Goldſchmidt: und dies, im Zimmer der Mad. Main-
tenon vorgegangen, bleibt auch in Paris ohne alle Nachrede
und Folgen, bei den größten Nachſpürungen über Gift und
Mord, und bei einem eigenen Tribunal zur Unterſuchung die-
ſer Gräuel. Der Pflegeſohn der Mlle. meldet ſich nie bei ihr,
als wenn es Hoffmann nöthig hat! — Bei Ludwig XIV.
geht man nur ſo in ſein Konſeil, wie an die Theaterkaſſe.
Der gepanzerte Offizier ſpielt ſein Stückchen allein; und mel-
det nur ſeinen gewonnenen Krieg der Dame, wenn es Zeit iſt:
keiner Polizei, keiner chambre ardente. Der Goldſchmidt iſt
der größte Künſtler, weil er ein Juwelenfreſſer ſchon im
Mutterleib werden mußte. Wie hideux, krankhaft, unnütz,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0022" n="14"/>
Gericht zu nennen &#x2014; nahe geblieben, und &#x201E;&#x017F;oviel Worte, &#x017F;o-<lb/>
viel Lügen!&#x201C; Da blühen die Unwahr&#x017F;cheinlichkeiten und Wi-<lb/>
der&#x017F;prüche nur &#x017F;o, auf einem eignen Felde, das wenig&#x017F;tens<lb/>
voller Diktion &#x017F;tehen &#x017F;ollte: die man aber ganz vermißt.<lb/>
Ludwigs <hi rendition="#aq">XIV.</hi> Zeit i&#x017F;t ganz willkürlich gewählt, da nichts<lb/>
als zwei Namen, die der Damen Maintenon und Scud<hi rendition="#aq">é</hi>ry,<lb/>
beibehalten &#x017F;ind; und die einiger Straßen. Die Leute &#x017F;pre-<lb/>
chen bei St. Denys, und nicht bei dem König der Schicklich-<lb/>
keit, de&#x017F;&#x017F;en Ge&#x017F;etze darüber noch gelten. Seine Polizei i&#x017F;t,<lb/>
in den wichtig&#x017F;ten Fällen von Raub und Mord, wovon der<lb/>
er&#x017F;te &#x017F;ogar Henriette von England betrifft, die &#x017F;chlechte&#x017F;te von<lb/>
der Welt. Sie findet, trotz per&#x017F;önlichem Schreck, und Keu-<lb/>
chen bei der Unter&#x017F;uchung des Hau&#x017F;es und der Nachbarmauer<lb/>
des Gold&#x017F;chmidts, nichts; abgleich uns Hoffmann nachher &#x017F;ehr<lb/>
Handgreifliches finden läßt. Mlle. Scud<hi rendition="#aq">é</hi>ry behält geduldig<lb/>
den reich&#x017F;ten Schmuck Frankreichs von einem toll &#x017F;ich gebär-<lb/>
denden Gold&#x017F;chmidt: und dies, im Zimmer der Mad. Main-<lb/>
tenon vorgegangen, bleibt auch in Paris ohne alle Nachrede<lb/>
und Folgen, bei den größten Nach&#x017F;pürungen über Gift und<lb/>
Mord, und bei einem eigenen Tribunal zur Unter&#x017F;uchung die-<lb/>
&#x017F;er Gräuel. Der Pflege&#x017F;ohn der Mlle. meldet &#x017F;ich nie bei ihr,<lb/>
als wenn es <hi rendition="#g">Hoffmann</hi> nöthig hat! &#x2014; Bei Ludwig <hi rendition="#aq">XIV.</hi><lb/>
geht man nur &#x017F;o in &#x017F;ein Kon&#x017F;eil, wie an die Theaterka&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Der gepanzerte Offizier &#x017F;pielt &#x017F;ein Stückchen allein; und mel-<lb/>
det nur &#x017F;einen gewonnenen Krieg der <hi rendition="#g">Dame</hi>, wenn es Zeit i&#x017F;t:<lb/>
keiner Polizei, keiner <hi rendition="#aq">chambre ardente.</hi> Der Gold&#x017F;chmidt i&#x017F;t<lb/>
der größte <hi rendition="#g">Kün&#x017F;tler</hi>, weil er ein Juwelenfre&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chon im<lb/>
Mutterleib werden mußte. Wie hideux, krankhaft, unnütz,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[14/0022] Gericht zu nennen — nahe geblieben, und „ſoviel Worte, ſo- viel Lügen!“ Da blühen die Unwahrſcheinlichkeiten und Wi- derſprüche nur ſo, auf einem eignen Felde, das wenigſtens voller Diktion ſtehen ſollte: die man aber ganz vermißt. Ludwigs XIV. Zeit iſt ganz willkürlich gewählt, da nichts als zwei Namen, die der Damen Maintenon und Scudéry, beibehalten ſind; und die einiger Straßen. Die Leute ſpre- chen bei St. Denys, und nicht bei dem König der Schicklich- keit, deſſen Geſetze darüber noch gelten. Seine Polizei iſt, in den wichtigſten Fällen von Raub und Mord, wovon der erſte ſogar Henriette von England betrifft, die ſchlechteſte von der Welt. Sie findet, trotz perſönlichem Schreck, und Keu- chen bei der Unterſuchung des Hauſes und der Nachbarmauer des Goldſchmidts, nichts; abgleich uns Hoffmann nachher ſehr Handgreifliches finden läßt. Mlle. Scudéry behält geduldig den reichſten Schmuck Frankreichs von einem toll ſich gebär- denden Goldſchmidt: und dies, im Zimmer der Mad. Main- tenon vorgegangen, bleibt auch in Paris ohne alle Nachrede und Folgen, bei den größten Nachſpürungen über Gift und Mord, und bei einem eigenen Tribunal zur Unterſuchung die- ſer Gräuel. Der Pflegeſohn der Mlle. meldet ſich nie bei ihr, als wenn es Hoffmann nöthig hat! — Bei Ludwig XIV. geht man nur ſo in ſein Konſeil, wie an die Theaterkaſſe. Der gepanzerte Offizier ſpielt ſein Stückchen allein; und mel- det nur ſeinen gewonnenen Krieg der Dame, wenn es Zeit iſt: keiner Polizei, keiner chambre ardente. Der Goldſchmidt iſt der größte Künſtler, weil er ein Juwelenfreſſer ſchon im Mutterleib werden mußte. Wie hideux, krankhaft, unnütz,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/22
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/22>, abgerufen am 30.04.2024.