Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und ohne allen sittlichen Grund und Kampf eigentlich! wie
ein Wasserscheuer, dem man das Beißen verzeihen muß. Wie
die Mutter zu der fausse couche gekommen, ist wieder ein
anderes Plaisir. Tel est le bon plaisir -- von Hoffmann.
Und vive l'auteur! schreit das deutsche Publikum. Nicht zum
Verstehen. --




Schneeliches Thauwetter. Vormittag.

Anstatt des Tagebuchs stehe lieber Folgendes hier: nur
dies noch! Vorgestern hatte ich einen Thee: der alle meine
Gedanken über Gesellschaften, und Ausgaben und Einrichtun-
gen, und übelgebaute Häuser, Lügen, Langeweile etc. wieder an-
regte, und sie mir immer ausführlicher macht. Gestern wieder
mit Körte's bei Stägemann. Auch sah ich Alceste; auch nur stär-
kere Bestätigung alles Alten über unser Berliner Theater.
Schlechte Plätze. Kreischendes Orchester. Fürchterliche Tanz-
kunst, wo die Tänze nicht einmal zu der Musik gehen wol-
len; ohne Sinn, ohne Verstand, ohne Grazie, mit Seiltänzer-
Mühe, ohne sie wie diese Tänzer unschuldig uns anzurechnen.
Sänger vom Berliner Publikum gebildet. Das Publikum sich
eine Art Beifall für Gluck auswendig gelernt, welchen zu wie-
derholen es keineswegs unterläßt, aber doch endlich nur sehr
lässig bezeigen kann: auch die Einzelnen in den Logen, Einer
gegen den Andern. Stümer sehr gut gespielt; wird sich aber
die Brust angreifen. Weber läßt die Blasinstrumente mit
den Sängern in die Wette forciren. Töne in Fresko darzu-
stellen, muß man von den großen italiänischen Sängern ge-

und ohne allen ſittlichen Grund und Kampf eigentlich! wie
ein Waſſerſcheuer, dem man das Beißen verzeihen muß. Wie
die Mutter zu der fausse couche gekommen, iſt wieder ein
anderes Plaiſir. Tel est le bon plaisir — von Hoffmann.
Und vive l’auteur! ſchreit das deutſche Publikum. Nicht zum
Verſtehen. —




Schneeliches Thauwetter. Vormittag.

Anſtatt des Tagebuchs ſtehe lieber Folgendes hier: nur
dies noch! Vorgeſtern hatte ich einen Thee: der alle meine
Gedanken über Geſellſchaften, und Ausgaben und Einrichtun-
gen, und übelgebaute Häuſer, Lügen, Langeweile ꝛc. wieder an-
regte, und ſie mir immer ausführlicher macht. Geſtern wieder
mit Körte’s bei Stägemann. Auch ſah ich Alceſte; auch nur ſtär-
kere Beſtätigung alles Alten über unſer Berliner Theater.
Schlechte Plätze. Kreiſchendes Orcheſter. Fürchterliche Tanz-
kunſt, wo die Tänze nicht einmal zu der Muſik gehen wol-
len; ohne Sinn, ohne Verſtand, ohne Grazie, mit Seiltänzer-
Mühe, ohne ſie wie dieſe Tänzer unſchuldig uns anzurechnen.
Sänger vom Berliner Publikum gebildet. Das Publikum ſich
eine Art Beifall für Gluck auswendig gelernt, welchen zu wie-
derholen es keineswegs unterläßt, aber doch endlich nur ſehr
läſſig bezeigen kann: auch die Einzelnen in den Logen, Einer
gegen den Andern. Stümer ſehr gut geſpielt; wird ſich aber
die Bruſt angreifen. Weber läßt die Blasinſtrumente mit
den Sängern in die Wette forciren. Töne in Fresko darzu-
ſtellen, muß man von den großen italiäniſchen Sängern ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0023" n="15"/>
und ohne allen &#x017F;ittlichen Grund und Kampf eigentlich! wie<lb/>
ein Wa&#x017F;&#x017F;er&#x017F;cheuer, dem man das Beißen verzeihen muß. Wie<lb/>
die Mutter zu der <hi rendition="#aq">fausse couche</hi> gekommen, i&#x017F;t wieder ein<lb/>
anderes Plai&#x017F;ir. <hi rendition="#aq">Tel est le bon plaisir</hi> &#x2014; von Hoffmann.<lb/>
Und <hi rendition="#aq">vive l&#x2019;auteur!</hi> &#x017F;chreit das deut&#x017F;che Publikum. Nicht zum<lb/>
Ver&#x017F;tehen. &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Sonnabend, den 19. Februar 1820.</hi> </dateline><lb/>
            <p> <hi rendition="#et">Schneeliches Thauwetter. Vormittag.</hi> </p><lb/>
            <p>An&#x017F;tatt des Tagebuchs &#x017F;tehe lieber Folgendes hier: nur<lb/>
dies noch! Vorge&#x017F;tern hatte ich einen Thee: der alle meine<lb/>
Gedanken über Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften, und Ausgaben und Einrichtun-<lb/>
gen, und übelgebaute Häu&#x017F;er, Lügen, Langeweile &#xA75B;c. wieder an-<lb/>
regte, und &#x017F;ie mir immer ausführlicher macht. Ge&#x017F;tern wieder<lb/>
mit Körte&#x2019;s bei Stägemann. Auch &#x017F;ah ich Alce&#x017F;te; auch nur &#x017F;tär-<lb/>
kere Be&#x017F;tätigung alles Alten über un&#x017F;er Berliner Theater.<lb/>
Schlechte Plätze. Krei&#x017F;chendes Orche&#x017F;ter. Fürchterliche Tanz-<lb/>
kun&#x017F;t, wo die Tänze nicht einmal zu der Mu&#x017F;ik gehen wol-<lb/>
len; ohne Sinn, ohne Ver&#x017F;tand, ohne Grazie, mit Seiltänzer-<lb/>
Mühe, ohne &#x017F;ie wie die&#x017F;e Tänzer un&#x017F;chuldig uns anzurechnen.<lb/>
Sänger vom Berliner Publikum gebildet. Das Publikum &#x017F;ich<lb/>
eine Art Beifall für Gluck auswendig gelernt, welchen zu wie-<lb/>
derholen es keineswegs unterläßt, aber doch endlich nur &#x017F;ehr<lb/>&#x017F;&#x017F;ig bezeigen kann: auch die Einzelnen in den Logen, Einer<lb/>
gegen den Andern. Stümer &#x017F;ehr gut ge&#x017F;pielt; wird &#x017F;ich aber<lb/>
die Bru&#x017F;t angreifen. Weber läßt die Blasin&#x017F;trumente mit<lb/>
den Sängern in die Wette forciren. Töne in Fresko darzu-<lb/>
&#x017F;tellen, muß man von den großen italiäni&#x017F;chen Sängern ge-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0023] und ohne allen ſittlichen Grund und Kampf eigentlich! wie ein Waſſerſcheuer, dem man das Beißen verzeihen muß. Wie die Mutter zu der fausse couche gekommen, iſt wieder ein anderes Plaiſir. Tel est le bon plaisir — von Hoffmann. Und vive l’auteur! ſchreit das deutſche Publikum. Nicht zum Verſtehen. — Sonnabend, den 19. Februar 1820. Schneeliches Thauwetter. Vormittag. Anſtatt des Tagebuchs ſtehe lieber Folgendes hier: nur dies noch! Vorgeſtern hatte ich einen Thee: der alle meine Gedanken über Geſellſchaften, und Ausgaben und Einrichtun- gen, und übelgebaute Häuſer, Lügen, Langeweile ꝛc. wieder an- regte, und ſie mir immer ausführlicher macht. Geſtern wieder mit Körte’s bei Stägemann. Auch ſah ich Alceſte; auch nur ſtär- kere Beſtätigung alles Alten über unſer Berliner Theater. Schlechte Plätze. Kreiſchendes Orcheſter. Fürchterliche Tanz- kunſt, wo die Tänze nicht einmal zu der Muſik gehen wol- len; ohne Sinn, ohne Verſtand, ohne Grazie, mit Seiltänzer- Mühe, ohne ſie wie dieſe Tänzer unſchuldig uns anzurechnen. Sänger vom Berliner Publikum gebildet. Das Publikum ſich eine Art Beifall für Gluck auswendig gelernt, welchen zu wie- derholen es keineswegs unterläßt, aber doch endlich nur ſehr läſſig bezeigen kann: auch die Einzelnen in den Logen, Einer gegen den Andern. Stümer ſehr gut geſpielt; wird ſich aber die Bruſt angreifen. Weber läßt die Blasinſtrumente mit den Sängern in die Wette forciren. Töne in Fresko darzu- ſtellen, muß man von den großen italiäniſchen Sängern ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/23
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/23>, abgerufen am 03.12.2024.