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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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Sie für mich geschrieben. O! lieber Freund, so fahren Sie
fort, so bestreiten Sie Ihre ganze Reise! Nur so ist sie
werth, daß Sie sie machen. Streifen Sie alle angewöhnte,
vorgefaßte Luxusmeinungen -- der in der ganzen Welt jetzt
ohne wahre Wohlhabenheit wuchert, wie schlechte verderbliche
Pflanzen -- Landesgesellschafts-Kunstzunftmeinung, Reli-
gionsmeinung -- vom Blasebalg des Dünkels und der Unsi-
cherheit aufgeschwollen -- ab; werfen Sie sie weit weg. O!
dann werden Sie alles so richtig sehen, so vortrefflich beschrei-
ben können, wie den lieben verkannten Esel. Ohne allen Scherz,
Von jeher hatte ich nur noch bei unsern ordinairen Vögeln
ein solch Vergnügen, als ich eins empfand, wenn ich einen
Esel sah: aber den Esel liebt' ich mehr, er rührte mich: Vögel
ergötzten mich nur, und ich wollt' ihnen wohlthun, wie allen
Thieren: sie gerne freilassen; gerne beobachten. Der aber
emotionirte mich. Diesen Sommer hab' ich in Baden-Baden
seine persönliche Bekanntschaft gemacht, und bin viel mit ihm
im Gebirge umhergeritten. Tausendmal besser als fahren.
Er verstand mich gleich; ich ihn auch, Sie müssen wissen,
ich bin der größte und ungeschickteste Poltron -- und darum
froh eine Frau zu sein --, als ich zuerst mich auf das Thier
setzen sollte, und nun drauf war, mußte ich fragen, was ich
nun thun müßte, um rechts oder links zu kommen?! Bald
aber waren wir einig: er merkte mir alles, ich ihm alles ab:
ja mir kam's vor, er liebe mich. Wenn ich im waldigen duf-
tenden Gebirge so etwas voraus ritt, war ich ganz tief in-
nen überzeugt, so hätte ich sonst in Spanien unter schönen
Umständen, schöner Begleitung, in guter Lage, geritten, und

Sie für mich geſchrieben. O! lieber Freund, ſo fahren Sie
fort, ſo beſtreiten Sie Ihre ganze Reiſe! Nur ſo iſt ſie
werth, daß Sie ſie machen. Streifen Sie alle angewöhnte,
vorgefaßte Luxusmeinungen — der in der ganzen Welt jetzt
ohne wahre Wohlhabenheit wuchert, wie ſchlechte verderbliche
Pflanzen — Landesgeſellſchafts-Kunſtzunftmeinung, Reli-
gionsmeinung — vom Blaſebalg des Dünkels und der Unſi-
cherheit aufgeſchwollen — ab; werfen Sie ſie weit weg. O!
dann werden Sie alles ſo richtig ſehen, ſo vortrefflich beſchrei-
ben können, wie den lieben verkannten Eſel. Ohne allen Scherz,
Von jeher hatte ich nur noch bei unſern ordinairen Vögeln
ein ſolch Vergnügen, als ich eins empfand, wenn ich einen
Eſel ſah: aber den Eſel liebt’ ich mehr, er rührte mich: Vögel
ergötzten mich nur, und ich wollt’ ihnen wohlthun, wie allen
Thieren: ſie gerne freilaſſen; gerne beobachten. Der aber
emotionirte mich. Dieſen Sommer hab’ ich in Baden-Baden
ſeine perſönliche Bekanntſchaft gemacht, und bin viel mit ihm
im Gebirge umhergeritten. Tauſendmal beſſer als fahren.
Er verſtand mich gleich; ich ihn auch, Sie müſſen wiſſen,
ich bin der größte und ungeſchickteſte Poltron — und darum
froh eine Frau zu ſein —, als ich zuerſt mich auf das Thier
ſetzen ſollte, und nun drauf war, mußte ich fragen, was ich
nun thun müßte, um rechts oder links zu kommen?! Bald
aber waren wir einig: er merkte mir alles, ich ihm alles ab:
ja mir kam’s vor, er liebe mich. Wenn ich im waldigen duf-
tenden Gebirge ſo etwas voraus ritt, war ich ganz tief in-
nen überzeugt, ſo hätte ich ſonſt in Spanien unter ſchönen
Umſtänden, ſchöner Begleitung, in guter Lage, geritten, und

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[230/0238] Sie für mich geſchrieben. O! lieber Freund, ſo fahren Sie fort, ſo beſtreiten Sie Ihre ganze Reiſe! Nur ſo iſt ſie werth, daß Sie ſie machen. Streifen Sie alle angewöhnte, vorgefaßte Luxusmeinungen — der in der ganzen Welt jetzt ohne wahre Wohlhabenheit wuchert, wie ſchlechte verderbliche Pflanzen — Landesgeſellſchafts-Kunſtzunftmeinung, Reli- gionsmeinung — vom Blaſebalg des Dünkels und der Unſi- cherheit aufgeſchwollen — ab; werfen Sie ſie weit weg. O! dann werden Sie alles ſo richtig ſehen, ſo vortrefflich beſchrei- ben können, wie den lieben verkannten Eſel. Ohne allen Scherz, Von jeher hatte ich nur noch bei unſern ordinairen Vögeln ein ſolch Vergnügen, als ich eins empfand, wenn ich einen Eſel ſah: aber den Eſel liebt’ ich mehr, er rührte mich: Vögel ergötzten mich nur, und ich wollt’ ihnen wohlthun, wie allen Thieren: ſie gerne freilaſſen; gerne beobachten. Der aber emotionirte mich. Dieſen Sommer hab’ ich in Baden-Baden ſeine perſönliche Bekanntſchaft gemacht, und bin viel mit ihm im Gebirge umhergeritten. Tauſendmal beſſer als fahren. Er verſtand mich gleich; ich ihn auch, Sie müſſen wiſſen, ich bin der größte und ungeſchickteſte Poltron — und darum froh eine Frau zu ſein —, als ich zuerſt mich auf das Thier ſetzen ſollte, und nun drauf war, mußte ich fragen, was ich nun thun müßte, um rechts oder links zu kommen?! Bald aber waren wir einig: er merkte mir alles, ich ihm alles ab: ja mir kam’s vor, er liebe mich. Wenn ich im waldigen duf- tenden Gebirge ſo etwas voraus ritt, war ich ganz tief in- nen überzeugt, ſo hätte ich ſonſt in Spanien unter ſchönen Umſtänden, ſchöner Begleitung, in guter Lage, geritten, und

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/238>, abgerufen am 24.11.2024.