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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834.

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tenthum, welches nur so irdische Verständlichkeit in mir er-
langt. Aber auch brüllende -- ich weinte mit Tönen, wie
Wasser bei Schleusen lärmt -- Thränen des Neides weint'
ich, und der Zerknirschung; und bat Gott, dies große Opfer
mir ja anzurechnen. Ich war fern, die Goethen am meisten
liebt: ihn seit dreißig Jahren vergöttert; deren Hofmeister,
Freund, Vertrauter, Vermittler er ist: mein Hochbild: an dem
ich meine Verkrüpplung messe; und durch den ich sie doch
stolz ertragen gelernt habe. Welch' elende, irreführende Worte
sprech' ich hier aus! Sie wissen es auch. Aber wie weiß ich
es! Diesen Sommer wechselte ich Pferde in Weimar,
als ich mit Geschichte dort erleben konnte, den Tag
vor des Großherzogs Jubelfest, den ich persönlich
kenne, welches Goethe feierte
. Weiter sage ich nichts.
Ich mußte. Ich reiste mit Varnh. und meinem Bruder. Ich
äußerte meinen Wunsch gar nicht. So habe ich auch -- ich
hatte damals nichts mehr anzubieten -- Gott in schwerer
Krankheit Anno 10, die ich nicht mehr ertragen konnte, an-
gelobt: "ich wolle auch Italien nicht sehn! Er soll mich los-
lassen!" Ich genas alsbald; natürlich. Und die Lust, Ita-
lien zu sehn, war weg. Den Verlust aber ermesse ich so gut,
als es einer kann, der Italien nicht gesehn hat. Hätten Sie
so etwas von mir geglaubt? Ich wollte, Sie hätten eine
Stelle gelesen, die ich einmal dem Grafen Custine über Gebet
schrieb, -- da würden Sie sehen, daß ich doch nicht vernagelt
bin. Diesen ganzen Thränen-Vorfall schrieb ich Ihnen aber
nur, weil ich sie noch in den Augen hatte, und auf der Seele:
und Sie hätten Sie doch, in dem was ich geschrieben, gemerkt,

tenthum, welches nur ſo irdiſche Verſtändlichkeit in mir er-
langt. Aber auch brüllende — ich weinte mit Tönen, wie
Waſſer bei Schleuſen lärmt — Thränen des Neides weint’
ich, und der Zerknirſchung; und bat Gott, dies große Opfer
mir ja anzurechnen. Ich war fern, die Goethen am meiſten
liebt: ihn ſeit dreißig Jahren vergöttert; deren Hofmeiſter,
Freund, Vertrauter, Vermittler er iſt: mein Hochbild: an dem
ich meine Verkrüpplung meſſe; und durch den ich ſie doch
ſtolz ertragen gelernt habe. Welch’ elende, irreführende Worte
ſprech’ ich hier aus! Sie wiſſen es auch. Aber wie weiß ich
es! Dieſen Sommer wechſelte ich Pferde in Weimar,
als ich mit Geſchichte dort erleben konnte, den Tag
vor des Großherzogs Jubelfeſt, den ich perſönlich
kenne, welches Goethe feierte
. Weiter ſage ich nichts.
Ich mußte. Ich reiſte mit Varnh. und meinem Bruder. Ich
äußerte meinen Wunſch gar nicht. So habe ich auch — ich
hatte damals nichts mehr anzubieten — Gott in ſchwerer
Krankheit Anno 10, die ich nicht mehr ertragen konnte, an-
gelobt: „ich wolle auch Italien nicht ſehn! Er ſoll mich los-
laſſen!“ Ich genas alsbald; natürlich. Und die Luſt, Ita-
lien zu ſehn, war weg. Den Verluſt aber ermeſſe ich ſo gut,
als es einer kann, der Italien nicht geſehn hat. Hätten Sie
ſo etwas von mir geglaubt? Ich wollte, Sie hätten eine
Stelle geleſen, die ich einmal dem Grafen Cuſtine über Gebet
ſchrieb, — da würden Sie ſehen, daß ich doch nicht vernagelt
bin. Dieſen ganzen Thränen-Vorfall ſchrieb ich Ihnen aber
nur, weil ich ſie noch in den Augen hatte, und auf der Seele:
und Sie hätten Sie doch, in dem was ich geſchrieben, gemerkt,

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[233/0241] tenthum, welches nur ſo irdiſche Verſtändlichkeit in mir er- langt. Aber auch brüllende — ich weinte mit Tönen, wie Waſſer bei Schleuſen lärmt — Thränen des Neides weint’ ich, und der Zerknirſchung; und bat Gott, dies große Opfer mir ja anzurechnen. Ich war fern, die Goethen am meiſten liebt: ihn ſeit dreißig Jahren vergöttert; deren Hofmeiſter, Freund, Vertrauter, Vermittler er iſt: mein Hochbild: an dem ich meine Verkrüpplung meſſe; und durch den ich ſie doch ſtolz ertragen gelernt habe. Welch’ elende, irreführende Worte ſprech’ ich hier aus! Sie wiſſen es auch. Aber wie weiß ich es! Dieſen Sommer wechſelte ich Pferde in Weimar, als ich mit Geſchichte dort erleben konnte, den Tag vor des Großherzogs Jubelfeſt, den ich perſönlich kenne, welches Goethe feierte. Weiter ſage ich nichts. Ich mußte. Ich reiſte mit Varnh. und meinem Bruder. Ich äußerte meinen Wunſch gar nicht. So habe ich auch — ich hatte damals nichts mehr anzubieten — Gott in ſchwerer Krankheit Anno 10, die ich nicht mehr ertragen konnte, an- gelobt: „ich wolle auch Italien nicht ſehn! Er ſoll mich los- laſſen!“ Ich genas alsbald; natürlich. Und die Luſt, Ita- lien zu ſehn, war weg. Den Verluſt aber ermeſſe ich ſo gut, als es einer kann, der Italien nicht geſehn hat. Hätten Sie ſo etwas von mir geglaubt? Ich wollte, Sie hätten eine Stelle geleſen, die ich einmal dem Grafen Cuſtine über Gebet ſchrieb, — da würden Sie ſehen, daß ich doch nicht vernagelt bin. Dieſen ganzen Thränen-Vorfall ſchrieb ich Ihnen aber nur, weil ich ſie noch in den Augen hatte, und auf der Seele: und Sie hätten Sie doch, in dem was ich geſchrieben, gemerkt,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/241>, abgerufen am 21.11.2024.