nen Moment zu Mahlen: den, wenn sie sibyllenartig aus- sieht, und mit keinem Menschen, keinem "Gegner" zu thun hat, ganz allein steht mit ihrem angeborenen Muth -- von der besten Sorte -- zornfertig, nur fertig, er könnte kommen, wenn er sollte -- und allein mit der Natur, die sie wohl zu schauen, und ihrem Wesen nach, zu fassen weiß! Diesem Ausdruck strebte der Mahler nach, der sie hier früher mahlte; und war nicht schlecht: nur konnte er den Thiermen- schen, Haut, Haar, Knochen, Schatten, Licht, nicht so zu- sammenhalten, als schon Magnus. Mit der Nase aber hätte Magnus glücklicher verfahren können: ich weiß, auf die rich- tigsten, schönsten, fallen oft Schatten und Lichter, die ihr ihre Regelmäßigkeit rauben; das ist wahr; und schadet solcher Nase in der Natur nicht; den Augenblick nachher wendet sich der Kopf, und sie wird wieder vollkommen schön: weil aber ein Bild gefesselt ist, soll der Mahler auch lügen, um wahr zu sein: das ist seine Sorge, wie; zu Gunsten der Wahrheit im Nachbilden; er muß sie schaffen die Wahrheit, und ließ er einen, drei, vier wahre Schatten weg! auf die Gefahr, Schattenmesser tadelten ihn; kurz, die schöne Nase muß er mir zeigen, mit dem Pinsel keck lügen; oder eine andre Stellung wählen. Dies nur, obgleich hier mein Gegenstand, zum Exempel der Fälle überhaupt, wo gelogen werden muß, wie es -- mein altes Exempel! -- in Fresko so offenbar ge- schieht. So auch hat er Rikens Mund nicht ganz dargestellt, und der dadurch sehr an Feinheit verloren im Bilde: nicht aus Unfähigkeit; bin ich für mein Theil überzeugt, sondern aus Verführung; aus dem Irrthum, aus dem das Ideal ge-
nen Moment zu Mahlen: den, wenn ſie ſibyllenartig aus- ſieht, und mit keinem Menſchen, keinem „Gegner“ zu thun hat, ganz allein ſteht mit ihrem angeborenen Muth — von der beſten Sorte — zornfertig, nur fertig, er könnte kommen, wenn er ſollte — und allein mit der Natur, die ſie wohl zu ſchauen, und ihrem Weſen nach, zu faſſen weiß! Dieſem Ausdruck ſtrebte der Mahler nach, der ſie hier früher mahlte; und war nicht ſchlecht: nur konnte er den Thiermen- ſchen, Haut, Haar, Knochen, Schatten, Licht, nicht ſo zu- ſammenhalten, als ſchon Magnus. Mit der Naſe aber hätte Magnus glücklicher verfahren können: ich weiß, auf die rich- tigſten, ſchönſten, fallen oft Schatten und Lichter, die ihr ihre Regelmäßigkeit rauben; das iſt wahr; und ſchadet ſolcher Naſe in der Natur nicht; den Augenblick nachher wendet ſich der Kopf, und ſie wird wieder vollkommen ſchön: weil aber ein Bild gefeſſelt iſt, ſoll der Mahler auch lügen, um wahr zu ſein: das iſt ſeine Sorge, wie; zu Gunſten der Wahrheit im Nachbilden; er muß ſie ſchaffen die Wahrheit, und ließ er einen, drei, vier wahre Schatten weg! auf die Gefahr, Schattenmeſſer tadelten ihn; kurz, die ſchöne Naſe muß er mir zeigen, mit dem Pinſel keck lügen; oder eine andre Stellung wählen. Dies nur, obgleich hier mein Gegenſtand, zum Exempel der Fälle überhaupt, wo gelogen werden muß, wie es — mein altes Exempel! — in Fresko ſo offenbar ge- ſchieht. So auch hat er Rikens Mund nicht ganz dargeſtellt, und der dadurch ſehr an Feinheit verloren im Bilde: nicht aus Unfähigkeit; bin ich für mein Theil überzeugt, ſondern aus Verführung; aus dem Irrthum, aus dem das Ideal ge-
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nen Moment zu Mahlen: den, wenn ſie ſibyllenartig aus-
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hat, ganz allein ſteht mit ihrem angeborenen Muth —
von der beſten Sorte — zornfertig, nur fertig, er könnte
kommen, wenn er ſollte — und allein mit der Natur, die ſie
wohl zu ſchauen, und ihrem Weſen nach, zu faſſen weiß!
Dieſem Ausdruck ſtrebte der Mahler nach, der ſie hier früher
mahlte; und war nicht ſchlecht: nur konnte er den Thiermen-
ſchen, Haut, Haar, Knochen, Schatten, Licht, nicht ſo zu-
ſammenhalten, als ſchon Magnus. Mit der Naſe aber hätte
Magnus glücklicher verfahren können: ich weiß, auf die rich-
tigſten, ſchönſten, fallen oft Schatten und Lichter, die ihr ihre
Regelmäßigkeit rauben; das iſt wahr; und ſchadet ſolcher
Naſe in der Natur nicht; den Augenblick nachher wendet ſich
der Kopf, und ſie wird wieder vollkommen ſchön: weil aber
ein Bild gefeſſelt iſt, ſoll der Mahler auch lügen, um wahr
zu ſein: das iſt ſeine Sorge, wie; zu Gunſten der Wahrheit
im Nachbilden; er muß ſie ſchaffen die Wahrheit, und ließ
er einen, drei, vier wahre Schatten weg! auf die Gefahr,
Schattenmeſſer tadelten ihn; kurz, die ſchöne Naſe muß er
mir zeigen, mit dem Pinſel keck lügen; oder eine andre
Stellung wählen. Dies nur, obgleich hier mein Gegenſtand,
zum Exempel der Fälle überhaupt, wo gelogen werden muß,
wie es — mein altes Exempel! — in Fresko ſo offenbar ge-
ſchieht. So auch hat er Rikens Mund nicht ganz dargeſtellt,
und der dadurch ſehr an Feinheit verloren im Bilde: nicht
aus Unfähigkeit; bin ich für mein Theil überzeugt, ſondern
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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