Jahren am schlechtesten ertrage, weil es nie fast reine, nur immer Gewitterhitze ist. Selbst unser ganz inniges Leben fa- tiguirt mich: weil ich nie ganz ohne Rücksicht krank bin, noch konvaleszent. Ein Kranker muß Einmal ganz ohne Rechen- schaft, ohne Gutenachtsagen, Besorgungen u. s. w. zu Bette, wenn auch nur zur stillen sichern Ruhe gehen können, und ganz nach Körperbedürfniß, sich allein fühlend, wissend, aufstehen können. Assing wird das fühlen, wissen. Sie, liebe Rosa! schieben Sie hier keine Frage ein: ob es denn neben August nicht so sein könnte. Daran bin ich schuld: nein. Und neben keinem der Namen im ganzen Kalender. Auch ist mir dies von anderer Seite wieder nöthig und heilsam: denn ich fühle mein Glück! und Besorgen (avoir des soins) ist Leidenschaft bei mir: Leidenschaft aber verzehrt viel; und muß Gegenwirkung erfahren -- Hierauf, lieben Freunde, keine Antwort: August könnte sich sonst Gedanken machen über diese meine Äußerung. Könnten Sie nur seine Briefe an mich lesen, so wüßten Sie, welch Fest uns bevorsteht, wenn er ankommt. Gott segne jeden Herzschlag von ihm! dann seg- net er das treueste, großmüthigste Menschenherz. --
Die Veranlassung dieses Briefs ist ein Herr, den ich nicht sah, er kam vorgestern 9 Uhr Morgens und wollte auch nicht herein, hinterließ einen Brief von Ihnen, liebe Rosa! ungeheuer verschmutzt, und in einem reinen Papier eingeschla- gen. Ich erbrach ihn, weil August es geheißen hatte. Potz tausend, wie kam der Empfohlene zu solchem Schmutz? Er sagte selbst -- zum Mädchen -- er sei schon acht Tage in Berlin, und reise morgen. Neues Räthsel! Machen Sie
Jahren am ſchlechteſten ertrage, weil es nie faſt reine, nur immer Gewitterhitze iſt. Selbſt unſer ganz inniges Leben fa- tiguirt mich: weil ich nie ganz ohne Rückſicht krank bin, noch konvaleszent. Ein Kranker muß Einmal ganz ohne Rechen- ſchaft, ohne Gutenachtſagen, Beſorgungen u. ſ. w. zu Bette, wenn auch nur zur ſtillen ſichern Ruhe gehen können, und ganz nach Körperbedürfniß, ſich allein fühlend, wiſſend, aufſtehen können. Aſſing wird das fühlen, wiſſen. Sie, liebe Roſa! ſchieben Sie hier keine Frage ein: ob es denn neben Auguſt nicht ſo ſein könnte. Daran bin ich ſchuld: nein. Und neben keinem der Namen im ganzen Kalender. Auch iſt mir dies von anderer Seite wieder nöthig und heilſam: denn ich fühle mein Glück! und Beſorgen (avoir des soins) iſt Leidenſchaft bei mir: Leidenſchaft aber verzehrt viel; und muß Gegenwirkung erfahren — Hierauf, lieben Freunde, keine Antwort: Auguſt könnte ſich ſonſt Gedanken machen über dieſe meine Äußerung. Könnten Sie nur ſeine Briefe an mich leſen, ſo wüßten Sie, welch Feſt uns bevorſteht, wenn er ankommt. Gott ſegne jeden Herzſchlag von ihm! dann ſeg- net er das treueſte, großmüthigſte Menſchenherz. —
Die Veranlaſſung dieſes Briefs iſt ein Herr, den ich nicht ſah, er kam vorgeſtern 9 Uhr Morgens und wollte auch nicht herein, hinterließ einen Brief von Ihnen, liebe Roſa! ungeheuer verſchmutzt, und in einem reinen Papier eingeſchla- gen. Ich erbrach ihn, weil Auguſt es geheißen hatte. Potz tauſend, wie kam der Empfohlene zu ſolchem Schmutz? Er ſagte ſelbſt — zum Mädchen — er ſei ſchon acht Tage in Berlin, und reiſe morgen. Neues Räthſel! Machen Sie
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Jahren am ſchlechteſten ertrage, weil es nie faſt reine, nur
immer Gewitterhitze iſt. Selbſt unſer ganz inniges Leben fa-
tiguirt mich: weil ich nie ganz ohne Rückſicht krank bin, noch
konvaleszent. Ein Kranker muß Einmal ganz ohne Rechen-
ſchaft, ohne Gutenachtſagen, Beſorgungen u. ſ. w. zu Bette,
wenn auch nur zur ſtillen ſichern Ruhe gehen können, und
ganz nach Körperbedürfniß, ſich allein fühlend, wiſſend,
aufſtehen können. Aſſing wird das fühlen, wiſſen. Sie, liebe
Roſa! ſchieben Sie hier keine Frage ein: ob es denn neben
Auguſt nicht ſo ſein könnte. Daran bin ich ſchuld: nein.
Und neben keinem der Namen im ganzen Kalender. Auch
iſt mir dies von anderer Seite wieder nöthig und heilſam:
denn ich fühle mein Glück! und Beſorgen (avoir des soins)
iſt Leidenſchaft bei mir: Leidenſchaft aber verzehrt viel; und
muß Gegenwirkung erfahren — Hierauf, lieben Freunde, keine
Antwort: Auguſt könnte ſich ſonſt Gedanken machen über
dieſe meine Äußerung. Könnten Sie nur ſeine Briefe an mich
leſen, ſo wüßten Sie, welch Feſt uns bevorſteht, wenn er
ankommt. Gott ſegne jeden Herzſchlag von ihm! dann ſeg-
net er das treueſte, großmüthigſte Menſchenherz. —
Die Veranlaſſung dieſes Briefs iſt ein Herr, den ich nicht
ſah, er kam vorgeſtern 9 Uhr Morgens und wollte auch
nicht herein, hinterließ einen Brief von Ihnen, liebe Roſa!
ungeheuer verſchmutzt, und in einem reinen Papier eingeſchla-
gen. Ich erbrach ihn, weil Auguſt es geheißen hatte. Potz
tauſend, wie kam der Empfohlene zu ſolchem Schmutz? Er
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/303>, abgerufen am 22.11.2024.
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