Brief las, wollte ich Ihnen und Assing einen schreiben; dessen Ansicht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich werde ihm noch schreiben: und das über die große Krankheit: wie lange ich die roch, spürte, kommen fühlte. Immer sagte ich: könnte ich einem wissenschaftlichen Manne meine Empfin- dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; Assing ist der Mann. Nun, künftig. Schade, daß einer in Ham- burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Rosa, lebe ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich hasse ihren Namen zu schreiben) vergnügt leben kann: so wird es gewiß mit dem Tod selbst sein. Wichtigste Hälfte hiesigen Lebens. Verstände man nur alles: nur das Unverstandene thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Verständ- nisses: desto mehr Glimpf, desto mehr Erleuchtung, und neue Thätigkeit. So wird es sich steigren: faule Ruhe nie! Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenloses Zweiflen. Be- dürfniß zu Vernünftigem, ist Bürge für Vernünftiges. Nicht wahr? -- Wir sehn die üppigsten höchsten Rosenstämme, häu- fig; Georginen, schönste Bäume und Laub: in und nach Schöne- berg: da nenne ich Sie und die Kinder laut. Adieu! Ihre R.
An den Fürsten von Pückler-Muskau, in Muskau.
Sonntag, den 9. Oktober 1831. halb 12 Uhr.
Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne beschienene Wolken, bald nicht. Frischer Südwest?!
Auf der Stelle will ich schreiben, nachsichtiger, vielerfahr- ner, in Freundschaft standhaftester Fürst; so trifft Ihr so
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Brief las, wollte ich Ihnen und Aſſing einen ſchreiben; deſſen Anſicht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich werde ihm noch ſchreiben: und das über die große Krankheit: wie lange ich die roch, ſpürte, kommen fühlte. Immer ſagte ich: könnte ich einem wiſſenſchaftlichen Manne meine Empfin- dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; Aſſing iſt der Mann. Nun, künftig. Schade, daß einer in Ham- burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Roſa, lebe ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich haſſe ihren Namen zu ſchreiben) vergnügt leben kann: ſo wird es gewiß mit dem Tod ſelbſt ſein. Wichtigſte Hälfte hieſigen Lebens. Verſtände man nur alles: nur das Unverſtandene thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Verſtänd- niſſes: deſto mehr Glimpf, deſto mehr Erleuchtung, und neue Thätigkeit. So wird es ſich ſteigren: faule Ruhe nie! Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenloſes Zweiflen. Be- dürfniß zu Vernünftigem, iſt Bürge für Vernünftiges. Nicht wahr? — Wir ſehn die üppigſten höchſten Roſenſtämme, häu- fig; Georginen, ſchönſte Bäume und Laub: in und nach Schöne- berg: da nenne ich Sie und die Kinder laut. Adieu! Ihre R.
An den Fürſten von Pückler-Muskau, in Muskau.
Sonntag, den 9. Oktober 1831. halb 12 Uhr.
Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne beſchienene Wolken, bald nicht. Friſcher Südweſt?!
Auf der Stelle will ich ſchreiben, nachſichtiger, vielerfahr- ner, in Freundſchaft ſtandhafteſter Fürſt; ſo trifft Ihr ſo
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Brief las, wollte ich Ihnen und Aſſing einen ſchreiben; deſſen
Anſicht, Meinung und Ausdruck mir überaus wohlgefällt. Ich
werde ihm noch ſchreiben: und das über die große Krankheit:
wie lange ich die roch, ſpürte, kommen fühlte. Immer ſagte
ich: könnte ich einem wiſſenſchaftlichen Manne meine Empfin-
dungen, mein Krankheitsgefühl eingeben! Siehe da; Aſſing
iſt der Mann. Nun, künftig. Schade, daß einer in Ham-
burg, der andre in Berlin lebt. Alle Tage, liebe Roſa, lebe
ich unter mehr, unter neuen Wundern. Jetzt erlebe ich unter
mehr andren, daß man mitten in der großen Krankheit (ich
haſſe ihren Namen zu ſchreiben) vergnügt leben kann: ſo wird
es gewiß mit dem Tod ſelbſt ſein. Wichtigſte Hälfte hieſigen
Lebens. Verſtände man nur alles: nur das Unverſtandene
thut weh; jemehr Ergebung, durch Eindringen des Verſtänd-
niſſes: deſto mehr Glimpf, deſto mehr Erleuchtung, und neue
Thätigkeit. So wird es ſich ſteigren: faule Ruhe nie!
Aber auch keine Verzweiflung, kein bodenloſes Zweiflen. Be-
dürfniß zu Vernünftigem, iſt Bürge für Vernünftiges. Nicht
wahr? — Wir ſehn die üppigſten höchſten Roſenſtämme, häu-
fig; Georginen, ſchönſte Bäume und Laub: in und nach Schöne-
berg: da nenne ich Sie und die Kinder laut. Adieu! Ihre R.
An den Fürſten von Pückler-Muskau, in Muskau.
Sonntag, den 9. Oktober 1831. halb 12 Uhr.
Morgenwolkiges Wetter; bald mit Sonne beſchienene
Wolken, bald nicht. Friſcher Südweſt?!
Auf der Stelle will ich ſchreiben, nachſichtiger, vielerfahr-
ner, in Freundſchaft ſtandhafteſter Fürſt; ſo trifft Ihr ſo
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/539>, abgerufen am 22.11.2024.
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