stellend, in dem Begehren seine Glückseligkeit in sich selbst zu finden. Ich hab' ihn sich selbst überlassen." Dann sagt Gott noch weiter, "wie er alle Kreaturen gegen ihn empört hat und feindlich gemacht, die ihm sonst unterthänig waren, dergestalt, daß der Mensch den Thieren gleich, und in solcher Entfer- nung von ihm, daß ihm kaum eine dunkle Erinnrung seines Urhebers geblieben sei," u. s. w. u. s. w.
Eine schöne Geschichte! Dies Stück könnte ja in alle Ewigkeit fortspielen: wie kann der Mensch besser werden, als Gott selbst sagt, daß er aus seinen Händen ging? "heilig, unschuldig, vollkommen:" und doch wurde er vorwitzig, rebel- lisch? Er ist noch vorwitzig über das, was er nicht weiß; rebellisch gegen das, was er nicht kennt. Er soll es aber sein: denn er ist so geschaffen. Aus Gnade und Güte, nicht aus Sündenfall. Er soll eine Persönlichkeit haben, und hat sie: Gnade, Güte, ist Existenz. In dieser uns bekannten Persön- lichkeit ist uns nichts, was wir imaginiren oder wahrnehmen, gewiß, noch bleibend -- also keine Garantie, die wir brau- chen, -- so gehen wir Stufe vor Stufe nach dieser Gewißheit in uns selbst hinab, bis wir einen kleinen Punkt der wahren Unabhängigkeit entdecken, und der Gewißheit: Gewissen, das innerste Wissen, das Wollen und Thun, was wir für recht, für richtig -- übereinstimmend mit dem Meisten -- hal- ten. Und unsre höchste Sittlichkeit ist wieder ein sich frei, ein sich unabhängig machen wollen. Nichts hängt von uns ab, als dies. Und es ist grad umgekehrt, wie man sagt. Gott können wir uns nur mit -- durch -- unsre Fähigkeiten den- ken; was der beabsichtigte, nur mit der Intelligenz erdenken,
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ſtellend, in dem Begehren ſeine Glückſeligkeit in ſich ſelbſt zu finden. Ich hab’ ihn ſich ſelbſt überlaſſen.“ Dann ſagt Gott noch weiter, „wie er alle Kreaturen gegen ihn empört hat und feindlich gemacht, die ihm ſonſt unterthänig waren, dergeſtalt, daß der Menſch den Thieren gleich, und in ſolcher Entfer- nung von ihm, daß ihm kaum eine dunkle Erinnrung ſeines Urhebers geblieben ſei,“ u. ſ. w. u. ſ. w.
Eine ſchöne Geſchichte! Dies Stück könnte ja in alle Ewigkeit fortſpielen: wie kann der Menſch beſſer werden, als Gott ſelbſt ſagt, daß er aus ſeinen Händen ging? „heilig, unſchuldig, vollkommen:“ und doch wurde er vorwitzig, rebel- liſch? Er iſt noch vorwitzig über das, was er nicht weiß; rebelliſch gegen das, was er nicht kennt. Er ſoll es aber ſein: denn er iſt ſo geſchaffen. Aus Gnade und Güte, nicht aus Sündenfall. Er ſoll eine Perſönlichkeit haben, und hat ſie: Gnade, Güte, iſt Exiſtenz. In dieſer uns bekannten Perſön- lichkeit iſt uns nichts, was wir imaginiren oder wahrnehmen, gewiß, noch bleibend — alſo keine Garantie, die wir brau- chen, — ſo gehen wir Stufe vor Stufe nach dieſer Gewißheit in uns ſelbſt hinab, bis wir einen kleinen Punkt der wahren Unabhängigkeit entdecken, und der Gewißheit: Gewiſſen, das innerſte Wiſſen, das Wollen und Thun, was wir für recht, für richtig — übereinſtimmend mit dem Meiſten — hal- ten. Und unſre höchſte Sittlichkeit iſt wieder ein ſich frei, ein ſich unabhängig machen wollen. Nichts hängt von uns ab, als dies. Und es iſt grad umgekehrt, wie man ſagt. Gott können wir uns nur mit — durch — unſre Fähigkeiten den- ken; was der beabſichtigte, nur mit der Intelligenz erdenken,
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ſtellend, in dem Begehren ſeine Glückſeligkeit in ſich ſelbſt zu
finden. Ich hab’ ihn ſich ſelbſt überlaſſen.“ Dann ſagt Gott
noch weiter, „wie er alle Kreaturen gegen ihn empört hat und
feindlich gemacht, die ihm ſonſt unterthänig waren, dergeſtalt,
daß der Menſch den Thieren gleich, und in ſolcher Entfer-
nung von ihm, daß ihm kaum eine dunkle Erinnrung ſeines
Urhebers geblieben ſei,“ u. ſ. w. u. ſ. w.
Eine ſchöne Geſchichte! Dies Stück könnte ja in alle
Ewigkeit fortſpielen: wie kann der Menſch beſſer werden, als
Gott ſelbſt ſagt, daß er aus ſeinen Händen ging? „heilig,
unſchuldig, vollkommen:“ und doch wurde er vorwitzig, rebel-
liſch? Er iſt noch vorwitzig über das, was er nicht weiß;
rebelliſch gegen das, was er nicht kennt. Er ſoll es aber ſein:
denn er iſt ſo geſchaffen. Aus Gnade und Güte, nicht aus
Sündenfall. Er ſoll eine Perſönlichkeit haben, und hat ſie:
Gnade, Güte, iſt Exiſtenz. In dieſer uns bekannten Perſön-
lichkeit iſt uns nichts, was wir imaginiren oder wahrnehmen,
gewiß, noch bleibend — alſo keine Garantie, die wir brau-
chen, — ſo gehen wir Stufe vor Stufe nach dieſer Gewißheit
in uns ſelbſt hinab, bis wir einen kleinen Punkt der wahren
Unabhängigkeit entdecken, und der Gewißheit: Gewiſſen,
das innerſte Wiſſen, das Wollen und Thun, was wir für
recht, für richtig — übereinſtimmend mit dem Meiſten — hal-
ten. Und unſre höchſte Sittlichkeit iſt wieder ein ſich frei, ein
ſich unabhängig machen wollen. Nichts hängt von uns ab,
als dies. Und es iſt grad umgekehrt, wie man ſagt. Gott
können wir uns nur mit — durch — unſre Fähigkeiten den-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 3. Berlin, 1834, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel03_1834/75>, abgerufen am 21.11.2024.
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