Daseyns sich zu erfreuen haben. Keine Lücke bleibe in ihrem Herzen, ihre Liebe bedürfende Seele sey ganz glücklich im Genuß. ... Ge- mach, mein guter Eduard! gemach! So gelassen wolltest du wirklich drein sehen, wie der Freund feine Tage unter Prüfungen der Selbstüberwin- dung hinschleichen ließe, sein wärmstes Leben, sein lebendigstes Gefühl ertödtete, und mit halb- verschloßnem mißtrauenden Herzen keinen fröh- lichen Augenblick verlebte? Jch gestehe dir auf- richtig, diese heroische Tugend darf ich nicht zu der meinigen zählen. Wäre der Fall so, wie du ihn wähnst, so wäre, aufs schnellste ent- fliehen, für mich das rathsamste, und das, was ich gewiß zuerst thun würde. Aber es ist nichts von dem allen. Wahr ist es, Julianens Schönheit überraschte mich: sie ist ein anmuthi- ges Wesen, mit immer neuen, immer lieblichen Bildern erfüllt ihre holde Gestalt die Fantasie, aber -- Ach, wenn du ihre Seele kenn- test, so weich! zugleich so voller Kraft und Liebe, ihren Charakter, die herrlichen Anla- gen! -- Jch verkenne Julianen nicht. Wäre
Daſeyns ſich zu erfreuen haben. Keine Luͤcke bleibe in ihrem Herzen, ihre Liebe beduͤrfende Seele ſey ganz gluͤcklich im Genuß. … Ge- mach, mein guter Eduard! gemach! So gelaſſen wollteſt du wirklich drein ſehen, wie der Freund feine Tage unter Pruͤfungen der Selbſtuͤberwin- dung hinſchleichen ließe, ſein waͤrmſtes Leben, ſein lebendigſtes Gefuͤhl ertoͤdtete, und mit halb- verſchloßnem mißtrauenden Herzen keinen froͤh- lichen Augenblick verlebte? Jch geſtehe dir auf- richtig, dieſe heroiſche Tugend darf ich nicht zu der meinigen zaͤhlen. Waͤre der Fall ſo, wie du ihn waͤhnſt, ſo waͤre, aufs ſchnellſte ent- fliehen, fuͤr mich das rathſamſte, und das, was ich gewiß zuerſt thun wuͤrde. Aber es iſt nichts von dem allen. Wahr iſt es, Julianens Schoͤnheit uͤberraſchte mich: ſie iſt ein anmuthi- ges Weſen, mit immer neuen, immer lieblichen Bildern erfuͤllt ihre holde Geſtalt die Fantaſie, aber — Ach, wenn du ihre Seele kenn- teſt, ſo weich! zugleich ſo voller Kraft und Liebe, ihren Charakter, die herrlichen Anla- gen! — Jch verkenne Julianen nicht. Waͤre
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Daſeyns ſich zu erfreuen haben. Keine Luͤcke
bleibe in ihrem Herzen, ihre Liebe beduͤrfende
Seele ſey ganz gluͤcklich im Genuß. … Ge-
mach, mein guter Eduard! gemach! So gelaſſen
wollteſt du wirklich drein ſehen, wie der Freund
feine Tage unter Pruͤfungen der Selbſtuͤberwin-
dung hinſchleichen ließe, ſein waͤrmſtes Leben,
ſein lebendigſtes Gefuͤhl ertoͤdtete, und mit halb-
verſchloßnem mißtrauenden Herzen keinen froͤh-
lichen Augenblick verlebte? Jch geſtehe dir auf-
richtig, dieſe heroiſche Tugend darf ich nicht zu
der meinigen zaͤhlen. Waͤre der Fall ſo, wie
du ihn waͤhnſt, ſo waͤre, aufs ſchnellſte ent-
fliehen, fuͤr mich das rathſamſte, und das, was
ich gewiß zuerſt thun wuͤrde. Aber es iſt
nichts von dem allen. Wahr iſt es, Julianens
Schoͤnheit uͤberraſchte mich: ſie iſt ein anmuthi-
ges Weſen, mit immer neuen, immer lieblichen
Bildern erfuͤllt ihre holde Geſtalt die Fantaſie,
aber — Ach, wenn du ihre Seele kenn-
teſt, ſo weich! zugleich ſo voller Kraft und
Liebe, ihren Charakter, die herrlichen Anla-
gen! — Jch verkenne Julianen nicht. Waͤre
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Schlegel, Dorothea von: Florentin. Hrsg. v. Friedrich Schlegel. Lübeck u. a., 1801, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/veitschlegel_florentin_1801/237>, abgerufen am 24.11.2024.
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