hinzu: bei Chikane stellt man sich innerlich die Gestalten der störenden Scholastiker vor, ihr Thun in sinnlicher Erscheinung. Hiemit ist schon gesagt, daß, wenn das Subject auch ganz allgemein als Begriff gesetzt seyn mag, doch das herbeigebrachte Gegenglied, sey dieses nun wirklich ein sinnliches wie im bildlichen Witz oder nicht, weil es nicht auf dem Wege methodisch fortgehenden Denkens, sondern eines Sprungs gefunden wird, immer die Vorstellung aufruft, den reinen Begriff nur wie ein Durchschimmerndes mit innerlich geschauter sinnlicher Bestimmtheit zu umhüllen, bald mehr auf der Seite des ersten Glieds, bald mehr des Gegenglieds. Hienach rechtfertigt sich auch in Anwendung auf diese Form des Komischen die allgemeine Forderung der Anschaulichkeit §. 154. Daß nun diese Komik sich nur durch die Sprache ausdrücken kann im vollen Gegensatze gegen die erste Form, welche bei der Anschaulichkeit ihres ganzen Prozesses sie leicht ganz entbehrt, folgt aus dem Gesagten. An ihre Stelle können wohl Bilder treten, sie sind aber blose Vehikel im Sinne des Zeichens, wie z. B. Hörner, um einen als Hahnrei dar- zustellen, der Auftritt mit der Flöte im Hamlet, Aufführung witzig poin- tirter Charaden und die Mehrzahl von Caricaturbildern. Wenn z. B. in der Caricature Louis Philipp als Ballinist dargestellt war, der mit Gesetz, Verfassung, Gerechtigkeit, Vaterland als Bällen, Messern in der Luft spielt, so hat hier das Sinnliche ganz die Bedeutung eines Witz- worts. Oft fällt, besonders bei den französischen Caricaturen, Bild und Witz so auseinander, daß man diesen nicht aus der dargestellten Si- tuation errathen könnte, er muß darunter geschrieben seyn, er besteht in Worten, welche von den gezeichneten Personen gesprochen werden; die Situation stellt dar, wie Menschen sich in ihren Bewegungen und Ma- nieren gehen lassen, während sie so etwas sagen, und wäre als Veran- schaulichung von Manieren gewisser Stände u. s. w. auch für sich ver- ständlich: so entsteht aber eigentlich ein Genrebild und der Witz ist ganz Nebensache oder fällt als solcher wirklich weg.
2. Die alte Definition des Witzes als einer Fertigkeit, Aehnlich- keiten zwischen Unähnlichem aufzufinden, wurde von J. Paul (a. a. O. Th. 1, §. 42 ff.) aufgegeben, allein nachdem er den Begriff der aufge- fundenen Aehnlichkeit widerlegt hat, setzt er an seine Stelle den der Vergleichung, nämlich einer besondern Art derselben, und zwar derjenigen, welche theilweise Gleichheit bei größerer Ungleichheit entdeckt. Dadurch sucht er den Witz vom Scharfsinn, welcher theilweise Ungleichheit unter größerer Gleichheit verborgen, und dem Tiefsinn, welcher trotz allem
hinzu: bei Chikane ſtellt man ſich innerlich die Geſtalten der ſtörenden Scholaſtiker vor, ihr Thun in ſinnlicher Erſcheinung. Hiemit iſt ſchon geſagt, daß, wenn das Subject auch ganz allgemein als Begriff geſetzt ſeyn mag, doch das herbeigebrachte Gegenglied, ſey dieſes nun wirklich ein ſinnliches wie im bildlichen Witz oder nicht, weil es nicht auf dem Wege methodiſch fortgehenden Denkens, ſondern eines Sprungs gefunden wird, immer die Vorſtellung aufruft, den reinen Begriff nur wie ein Durchſchimmerndes mit innerlich geſchauter ſinnlicher Beſtimmtheit zu umhüllen, bald mehr auf der Seite des erſten Glieds, bald mehr des Gegenglieds. Hienach rechtfertigt ſich auch in Anwendung auf dieſe Form des Komiſchen die allgemeine Forderung der Anſchaulichkeit §. 154. Daß nun dieſe Komik ſich nur durch die Sprache ausdrücken kann im vollen Gegenſatze gegen die erſte Form, welche bei der Anſchaulichkeit ihres ganzen Prozeſſes ſie leicht ganz entbehrt, folgt aus dem Geſagten. An ihre Stelle können wohl Bilder treten, ſie ſind aber bloſe Vehikel im Sinne des Zeichens, wie z. B. Hörner, um einen als Hahnrei dar- zuſtellen, der Auftritt mit der Flöte im Hamlet, Aufführung witzig poin- tirter Charaden und die Mehrzahl von Caricaturbildern. Wenn z. B. in der Caricature Louis Philipp als Balliniſt dargeſtellt war, der mit Geſetz, Verfaſſung, Gerechtigkeit, Vaterland als Bällen, Meſſern in der Luft ſpielt, ſo hat hier das Sinnliche ganz die Bedeutung eines Witz- worts. Oft fällt, beſonders bei den franzöſiſchen Caricaturen, Bild und Witz ſo auseinander, daß man dieſen nicht aus der dargeſtellten Si- tuation errathen könnte, er muß darunter geſchrieben ſeyn, er beſteht in Worten, welche von den gezeichneten Perſonen geſprochen werden; die Situation ſtellt dar, wie Menſchen ſich in ihren Bewegungen und Ma- nieren gehen laſſen, während ſie ſo etwas ſagen, und wäre als Veran- ſchaulichung von Manieren gewiſſer Stände u. ſ. w. auch für ſich ver- ſtändlich: ſo entſteht aber eigentlich ein Genrebild und der Witz iſt ganz Nebenſache oder fällt als ſolcher wirklich weg.
2. Die alte Definition des Witzes als einer Fertigkeit, Aehnlich- keiten zwiſchen Unähnlichem aufzufinden, wurde von J. Paul (a. a. O. Th. 1, §. 42 ff.) aufgegeben, allein nachdem er den Begriff der aufge- fundenen Aehnlichkeit widerlegt hat, ſetzt er an ſeine Stelle den der Vergleichung, nämlich einer beſondern Art derſelben, und zwar derjenigen, welche theilweiſe Gleichheit bei größerer Ungleichheit entdeckt. Dadurch ſucht er den Witz vom Scharfſinn, welcher theilweiſe Ungleichheit unter größerer Gleichheit verborgen, und dem Tiefſinn, welcher trotz allem
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hinzu: bei Chikane ſtellt man ſich innerlich die Geſtalten der ſtörenden
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ſeyn mag, doch das herbeigebrachte Gegenglied, ſey dieſes nun wirklich
ein ſinnliches wie im bildlichen Witz oder nicht, weil es nicht auf dem
Wege methodiſch fortgehenden Denkens, ſondern eines Sprungs gefunden
wird, immer die Vorſtellung aufruft, den reinen Begriff nur wie ein
Durchſchimmerndes mit innerlich geſchauter ſinnlicher Beſtimmtheit zu
umhüllen, bald mehr auf der Seite des erſten Glieds, bald mehr des
Gegenglieds. Hienach rechtfertigt ſich auch in Anwendung auf dieſe
Form des Komiſchen die allgemeine Forderung der Anſchaulichkeit §. 154.
Daß nun dieſe Komik ſich nur durch die Sprache ausdrücken kann im
vollen Gegenſatze gegen die erſte Form, welche bei der Anſchaulichkeit
ihres ganzen Prozeſſes ſie leicht ganz entbehrt, folgt aus dem Geſagten.
An ihre Stelle können wohl Bilder treten, ſie ſind aber bloſe Vehikel
im Sinne des Zeichens, wie z. B. Hörner, um einen als Hahnrei dar-
zuſtellen, der Auftritt mit der Flöte im Hamlet, Aufführung witzig poin-
tirter Charaden und die Mehrzahl von Caricaturbildern. Wenn z. B.
in der Caricature Louis Philipp als Balliniſt dargeſtellt war, der mit
Geſetz, Verfaſſung, Gerechtigkeit, Vaterland als Bällen, Meſſern in der
Luft ſpielt, ſo hat hier das Sinnliche ganz die Bedeutung eines Witz-
worts. Oft fällt, beſonders bei den franzöſiſchen Caricaturen, Bild und
Witz ſo auseinander, daß man dieſen nicht aus der dargeſtellten Si-
tuation errathen könnte, er muß darunter geſchrieben ſeyn, er beſteht in
Worten, welche von den gezeichneten Perſonen geſprochen werden; die
Situation ſtellt dar, wie Menſchen ſich in ihren Bewegungen und Ma-
nieren gehen laſſen, während ſie ſo etwas ſagen, und wäre als Veran-
ſchaulichung von Manieren gewiſſer Stände u. ſ. w. auch für ſich ver-
ſtändlich: ſo entſteht aber eigentlich ein Genrebild und der Witz iſt ganz
Nebenſache oder fällt als ſolcher wirklich weg.
2. Die alte Definition des Witzes als einer Fertigkeit, Aehnlich-
keiten zwiſchen Unähnlichem aufzufinden, wurde von J. Paul (a. a. O.
Th. 1, §. 42 ff.) aufgegeben, allein nachdem er den Begriff der aufge-
fundenen Aehnlichkeit widerlegt hat, ſetzt er an ſeine Stelle den der
Vergleichung, nämlich einer beſondern Art derſelben, und zwar derjenigen,
welche theilweiſe Gleichheit bei größerer Ungleichheit entdeckt. Dadurch
ſucht er den Witz vom Scharfſinn, welcher theilweiſe Ungleichheit unter
größerer Gleichheit verborgen, und dem Tiefſinn, welcher trotz allem
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/434>, abgerufen am 22.11.2024.
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