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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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baren Selbstdarstellung des Humoristen im gewöhnlichen Umgang zu dem
Versuch, sich in einem Kunstwerke niederzulegen, geht uns hier noch gar
nichts an. Hätte der Humorist die volle Geduld zur Kunst und würde
er mit dieser einen Humoristen darstellen, so hätte er eben diese Unge-
duld darzustellen.

a.
Der naive Humor oder die Laune.
§. 216.

Dieses sein Wesen bildet auch der Humor erst in einer Reihe von Stufen1
aus, deren erste nach dem wiederkehrenden allgemeinen Gesetze als unmittel-
bare Form, als eine Naturstimmung zum Humor, oder als Laune auftritt.
Das objectiv oder naiv Komische ist als solches auch mit dieser Stufe nicht zu2
verwechseln, sondern bleibt in seinem Wesen ein Anderes; allerdings aber er-
hebt es sich von seiner Grundlage aus wie zum Witze, so auch zu dieser Stufe
des Humors, die, wie es selbst, als die naive zu bestimmen ist. Die lustige
Person faßt sich in die Einheit des objectiv und subjectiv Komischen zusammen
und spricht ebenso auch eine Ahnung des allgemeinen Widerspruchs aus, der sich
in dem handgreiflichen verbirgt, welcher ihr vorliegt; aber vergleichungsweise
bewußtlos, wie sie bleibt, hat sie sich weder zu der sittlichen Tiefe ausgebildet,
noch den unendlichen Schmerz erlebt, den der wirkliche Humor voraussetzt; daher
bringt es jene Ahnung weder zu einer tieferen Reflexion in sich, noch zu einer
wahren Allgemeinheit des Gedankens, daher bleibt hier auch das Gefühl des
unendlichen Widerspruchs in dem Natur-Elemente ungebrochener Lustigkeit stehen.

1. Für diese Form mag die ursprüngliche Bedeutung des Wortes
Humor am meisten passen. Es kam in England am Ende des sechs-
zehnten Jahrhunderts auf und bezeichnete, da die physiologischen Ansichten
der Zeit die Grund-Disposition des Individuums auf das Flüssige im
Körper zurückführte, zunächst das Temperament, häufig auch den darauf
begründeten Charakter. Nun ist aber das englische Temperament über-
haupt zur Launenhaftigkeit, zu kranker Tiefe und zu excentrischen Aus-
brüchen verschlossener Lebendigkeit geneigt: diese Wunderlichkeiten und ihre
Streiche bezeichnete nun das Wort weiter und wurde so auch objectiv

baren Selbſtdarſtellung des Humoriſten im gewöhnlichen Umgang zu dem
Verſuch, ſich in einem Kunſtwerke niederzulegen, geht uns hier noch gar
nichts an. Hätte der Humoriſt die volle Geduld zur Kunſt und würde
er mit dieſer einen Humoriſten darſtellen, ſo hätte er eben dieſe Unge-
duld darzuſtellen.

α.
Der naive Humor oder die Laune.
§. 216.

Dieſes ſein Weſen bildet auch der Humor erſt in einer Reihe von Stufen1
aus, deren erſte nach dem wiederkehrenden allgemeinen Geſetze als unmittel-
bare Form, als eine Naturſtimmung zum Humor, oder als Laune auftritt.
Das objectiv oder naiv Komiſche iſt als ſolches auch mit dieſer Stufe nicht zu2
verwechſeln, ſondern bleibt in ſeinem Weſen ein Anderes; allerdings aber er-
hebt es ſich von ſeiner Grundlage aus wie zum Witze, ſo auch zu dieſer Stufe
des Humors, die, wie es ſelbſt, als die naive zu beſtimmen iſt. Die luſtige
Perſon faßt ſich in die Einheit des objectiv und ſubjectiv Komiſchen zuſammen
und ſpricht ebenſo auch eine Ahnung des allgemeinen Widerſpruchs aus, der ſich
in dem handgreiflichen verbirgt, welcher ihr vorliegt; aber vergleichungsweiſe
bewußtlos, wie ſie bleibt, hat ſie ſich weder zu der ſittlichen Tiefe ausgebildet,
noch den unendlichen Schmerz erlebt, den der wirkliche Humor vorausſetzt; daher
bringt es jene Ahnung weder zu einer tieferen Reflexion in ſich, noch zu einer
wahren Allgemeinheit des Gedankens, daher bleibt hier auch das Gefühl des
unendlichen Widerſpruchs in dem Natur-Elemente ungebrochener Luſtigkeit ſtehen.

1. Für dieſe Form mag die urſprüngliche Bedeutung des Wortes
Humor am meiſten paſſen. Es kam in England am Ende des ſechs-
zehnten Jahrhunderts auf und bezeichnete, da die phyſiologiſchen Anſichten
der Zeit die Grund-Dispoſition des Individuums auf das Flüſſige im
Körper zurückführte, zunächſt das Temperament, häufig auch den darauf
begründeten Charakter. Nun iſt aber das engliſche Temperament über-
haupt zur Launenhaftigkeit, zu kranker Tiefe und zu excentriſchen Aus-
brüchen verſchloſſener Lebendigkeit geneigt: dieſe Wunderlichkeiten und ihre
Streiche bezeichnete nun das Wort weiter und wurde ſo auch objectiv

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[459/0473] baren Selbſtdarſtellung des Humoriſten im gewöhnlichen Umgang zu dem Verſuch, ſich in einem Kunſtwerke niederzulegen, geht uns hier noch gar nichts an. Hätte der Humoriſt die volle Geduld zur Kunſt und würde er mit dieſer einen Humoriſten darſtellen, ſo hätte er eben dieſe Unge- duld darzuſtellen. α. Der naive Humor oder die Laune. §. 216. Dieſes ſein Weſen bildet auch der Humor erſt in einer Reihe von Stufen aus, deren erſte nach dem wiederkehrenden allgemeinen Geſetze als unmittel- bare Form, als eine Naturſtimmung zum Humor, oder als Laune auftritt. Das objectiv oder naiv Komiſche iſt als ſolches auch mit dieſer Stufe nicht zu verwechſeln, ſondern bleibt in ſeinem Weſen ein Anderes; allerdings aber er- hebt es ſich von ſeiner Grundlage aus wie zum Witze, ſo auch zu dieſer Stufe des Humors, die, wie es ſelbſt, als die naive zu beſtimmen iſt. Die luſtige Perſon faßt ſich in die Einheit des objectiv und ſubjectiv Komiſchen zuſammen und ſpricht ebenſo auch eine Ahnung des allgemeinen Widerſpruchs aus, der ſich in dem handgreiflichen verbirgt, welcher ihr vorliegt; aber vergleichungsweiſe bewußtlos, wie ſie bleibt, hat ſie ſich weder zu der ſittlichen Tiefe ausgebildet, noch den unendlichen Schmerz erlebt, den der wirkliche Humor vorausſetzt; daher bringt es jene Ahnung weder zu einer tieferen Reflexion in ſich, noch zu einer wahren Allgemeinheit des Gedankens, daher bleibt hier auch das Gefühl des unendlichen Widerſpruchs in dem Natur-Elemente ungebrochener Luſtigkeit ſtehen. 1. Für dieſe Form mag die urſprüngliche Bedeutung des Wortes Humor am meiſten paſſen. Es kam in England am Ende des ſechs- zehnten Jahrhunderts auf und bezeichnete, da die phyſiologiſchen Anſichten der Zeit die Grund-Dispoſition des Individuums auf das Flüſſige im Körper zurückführte, zunächſt das Temperament, häufig auch den darauf begründeten Charakter. Nun iſt aber das engliſche Temperament über- haupt zur Launenhaftigkeit, zu kranker Tiefe und zu excentriſchen Aus- brüchen verſchloſſener Lebendigkeit geneigt: dieſe Wunderlichkeiten und ihre Streiche bezeichnete nun das Wort weiter und wurde ſo auch objectiv

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/473>, abgerufen am 22.11.2024.