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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846.

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von dem närrischen Streiche gebraucht. Erst später, am Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts, bekam es die jetzige tiefere Bedeutung. (Vergl.
Tieck, Shakespeares Werke übers. von ihm und Schlegel, B. 9,
S. 310). Es bleibt immer ein glücklicher Zufall, der das Wort so
befestigt hat; denn was einst von der humoral-pathologischen Erklärung
des Charakters im Ernste gemeint war, erinnert jetzt bildlich an die
geistige Flüssigkeit des Komischen, worin alles Feste sich auflöst. Ebenso
passend nennt man die beschränkten Naturen, denen Alles fest ist, trocken.
Zwar gibt es auch einen trockenen Witz und Humor, ja aller soll mit
trockener Miene vorgetragen werden, sonst bleibt der erhabene Schein
des ersten Gliedes aus; dies gehört aber nicht hieher. Aus jenem
früheren Gebrauche des Worts Humor nun nehmen wir den Begriff des
Instinctmäßigen natürlicher Stimmung, lassen aus dieser die Sonderbar-
keiten einer schon höheren Stufen angehörigen gebrochenen Individualität
weg und setzen für diesen Natur-Humor auch den Begriff Laune. Dieses
Wort nimmt Ruge (J. Paul hält sich in §. 41 zu unbestimmt, steht
uns aber durch den Nachdruck, den er auf das Niedrige legt, näher)
in höherem Sinne und bezeichnet durch es den bedeutenderen, ausgebil-
deteren Humor als subjective Stimmung. Allerdings wird das Wort
gewöhnlich so gebraucht; man spricht von der Laune Swifts, Sternes,
J. Pauls
u. s. w. Diese Bedeutung scheint um so mehr berechtigt,
da Laune sowohl den Begriff des Launigen als den des Launischen ent-
hält, das Letztere aber den grillenhaften Wechsel in der Stimmung einer
gebildeteren Persönlichkeit bezeichnet. Allein das Wesentliche und Ursprüng-
liche ist doch das von der Natur Gegebene und Instinctive der lustigen
Stimmung, und so mag das Wort diese anfängliche Bedeutung, ange-
wendet auf den Humor ohne Tiefe des Kampfes, behalten.

2. Das naiv Komische erhebt sich auch in den naiven Humor,
wiewohl es als Ganzes mit diesem oder als Grundlage mit dieser seiner
Erhebung über die Grundlage nicht zu verwechseln ist. Der Narr,
Hanswurst, die lustige Person reißt neben der Selbstbelachung und Welt-
belachung, zu deren Einheit sie sich erhebt, Possen der geistlosesten Art und
diese sind ihr ursprüngliches Element. Die lustige Person hat ihre
Geschichte und ist z. B. in England durch Shakespeare in dem Momente
höher gehoben worden, wo sie in den letzten Zügen lag, ja man kann
sagen, diese Steigerung selbst sey ihr Tod gewesen. In ihrer höheren
Form nun ist sie noch immer dummlich, tölpisch, gefräßig, feig, geschwätzig
u. s. w.; sie weiß es aber und stellt sich dummer, als sie ist, um die

von dem närriſchen Streiche gebraucht. Erſt ſpäter, am Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts, bekam es die jetzige tiefere Bedeutung. (Vergl.
Tieck, Shakespeares Werke überſ. von ihm und Schlegel, B. 9,
S. 310). Es bleibt immer ein glücklicher Zufall, der das Wort ſo
befeſtigt hat; denn was einſt von der humoral-pathologiſchen Erklärung
des Charakters im Ernſte gemeint war, erinnert jetzt bildlich an die
geiſtige Flüſſigkeit des Komiſchen, worin alles Feſte ſich auflöst. Ebenſo
paſſend nennt man die beſchränkten Naturen, denen Alles feſt iſt, trocken.
Zwar gibt es auch einen trockenen Witz und Humor, ja aller ſoll mit
trockener Miene vorgetragen werden, ſonſt bleibt der erhabene Schein
des erſten Gliedes aus; dies gehört aber nicht hieher. Aus jenem
früheren Gebrauche des Worts Humor nun nehmen wir den Begriff des
Inſtinctmäßigen natürlicher Stimmung, laſſen aus dieſer die Sonderbar-
keiten einer ſchon höheren Stufen angehörigen gebrochenen Individualität
weg und ſetzen für dieſen Natur-Humor auch den Begriff Laune. Dieſes
Wort nimmt Ruge (J. Paul hält ſich in §. 41 zu unbeſtimmt, ſteht
uns aber durch den Nachdruck, den er auf das Niedrige legt, näher)
in höherem Sinne und bezeichnet durch es den bedeutenderen, ausgebil-
deteren Humor als ſubjective Stimmung. Allerdings wird das Wort
gewöhnlich ſo gebraucht; man ſpricht von der Laune Swifts, Sternes,
J. Pauls
u. ſ. w. Dieſe Bedeutung ſcheint um ſo mehr berechtigt,
da Laune ſowohl den Begriff des Launigen als den des Launiſchen ent-
hält, das Letztere aber den grillenhaften Wechſel in der Stimmung einer
gebildeteren Perſönlichkeit bezeichnet. Allein das Weſentliche und Urſprüng-
liche iſt doch das von der Natur Gegebene und Inſtinctive der luſtigen
Stimmung, und ſo mag das Wort dieſe anfängliche Bedeutung, ange-
wendet auf den Humor ohne Tiefe des Kampfes, behalten.

2. Das naiv Komiſche erhebt ſich auch in den naiven Humor,
wiewohl es als Ganzes mit dieſem oder als Grundlage mit dieſer ſeiner
Erhebung über die Grundlage nicht zu verwechſeln iſt. Der Narr,
Hanswurſt, die luſtige Perſon reißt neben der Selbſtbelachung und Welt-
belachung, zu deren Einheit ſie ſich erhebt, Poſſen der geiſtloſeſten Art und
dieſe ſind ihr urſprüngliches Element. Die luſtige Perſon hat ihre
Geſchichte und iſt z. B. in England durch Shakespeare in dem Momente
höher gehoben worden, wo ſie in den letzten Zügen lag, ja man kann
ſagen, dieſe Steigerung ſelbſt ſey ihr Tod geweſen. In ihrer höheren
Form nun iſt ſie noch immer dummlich, tölpiſch, gefräßig, feig, geſchwätzig
u. ſ. w.; ſie weiß es aber und ſtellt ſich dummer, als ſie iſt, um die

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[460/0474] von dem närriſchen Streiche gebraucht. Erſt ſpäter, am Ende des acht- zehnten Jahrhunderts, bekam es die jetzige tiefere Bedeutung. (Vergl. Tieck, Shakespeares Werke überſ. von ihm und Schlegel, B. 9, S. 310). Es bleibt immer ein glücklicher Zufall, der das Wort ſo befeſtigt hat; denn was einſt von der humoral-pathologiſchen Erklärung des Charakters im Ernſte gemeint war, erinnert jetzt bildlich an die geiſtige Flüſſigkeit des Komiſchen, worin alles Feſte ſich auflöst. Ebenſo paſſend nennt man die beſchränkten Naturen, denen Alles feſt iſt, trocken. Zwar gibt es auch einen trockenen Witz und Humor, ja aller ſoll mit trockener Miene vorgetragen werden, ſonſt bleibt der erhabene Schein des erſten Gliedes aus; dies gehört aber nicht hieher. Aus jenem früheren Gebrauche des Worts Humor nun nehmen wir den Begriff des Inſtinctmäßigen natürlicher Stimmung, laſſen aus dieſer die Sonderbar- keiten einer ſchon höheren Stufen angehörigen gebrochenen Individualität weg und ſetzen für dieſen Natur-Humor auch den Begriff Laune. Dieſes Wort nimmt Ruge (J. Paul hält ſich in §. 41 zu unbeſtimmt, ſteht uns aber durch den Nachdruck, den er auf das Niedrige legt, näher) in höherem Sinne und bezeichnet durch es den bedeutenderen, ausgebil- deteren Humor als ſubjective Stimmung. Allerdings wird das Wort gewöhnlich ſo gebraucht; man ſpricht von der Laune Swifts, Sternes, J. Pauls u. ſ. w. Dieſe Bedeutung ſcheint um ſo mehr berechtigt, da Laune ſowohl den Begriff des Launigen als den des Launiſchen ent- hält, das Letztere aber den grillenhaften Wechſel in der Stimmung einer gebildeteren Perſönlichkeit bezeichnet. Allein das Weſentliche und Urſprüng- liche iſt doch das von der Natur Gegebene und Inſtinctive der luſtigen Stimmung, und ſo mag das Wort dieſe anfängliche Bedeutung, ange- wendet auf den Humor ohne Tiefe des Kampfes, behalten. 2. Das naiv Komiſche erhebt ſich auch in den naiven Humor, wiewohl es als Ganzes mit dieſem oder als Grundlage mit dieſer ſeiner Erhebung über die Grundlage nicht zu verwechſeln iſt. Der Narr, Hanswurſt, die luſtige Perſon reißt neben der Selbſtbelachung und Welt- belachung, zu deren Einheit ſie ſich erhebt, Poſſen der geiſtloſeſten Art und dieſe ſind ihr urſprüngliches Element. Die luſtige Perſon hat ihre Geſchichte und iſt z. B. in England durch Shakespeare in dem Momente höher gehoben worden, wo ſie in den letzten Zügen lag, ja man kann ſagen, dieſe Steigerung ſelbſt ſey ihr Tod geweſen. In ihrer höheren Form nun iſt ſie noch immer dummlich, tölpiſch, gefräßig, feig, geſchwätzig u. ſ. w.; ſie weiß es aber und ſtellt ſich dummer, als ſie iſt, um die

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 1. Reutlingen u. a., 1846, S. 460. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik01_1846/474>, abgerufen am 22.11.2024.