Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.3. Ein Pferd, Hund derselben Race ist boshaft, gutmüthig, §. 288. 1 Das Seelenleben des Thiers erhebt, was es durch die Sinne aufgenommen, 1. Das Thier hat Selbstgefühl und Gefühl des Gegenstandes in 2. Die Einbildungskraft, die das Thier allerdings hat -- der deutlichste 3. Ein Pferd, Hund derſelben Race iſt boshaft, gutmüthig, §. 288. 1 Das Seelenleben des Thiers erhebt, was es durch die Sinne aufgenommen, 1. Das Thier hat Selbſtgefühl und Gefühl des Gegenſtandes in 2. Die Einbildungskraft, die das Thier allerdings hat — der deutlichſte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <pb facs="#f0120" n="108"/> <p> <hi rendition="#et">3. Ein Pferd, Hund derſelben Race iſt boshaft, gutmüthig,<lb/> gelehrig, ungelehrig u. ſ. w. Dieß iſt ſchon innere Individualität und<lb/> ſie drückt ſich nicht nur in allem Thun und Laſſen aus, ſondern auch in<lb/> feinen phyſiognomiſchen Unterſchieden, die nur der oberflächliche Zuſchauer<lb/> nicht bemerkt. Der Hirte kennt ſehr wohl ſeine einzelnen Schafe, Schweine<lb/> auseinander. Die Grenze dieſer Eigenheit der Individuen kann man ſich<lb/> freilich ſogleich deutlich machen, wenn man ſich, in die Kunſt vorblickend,<lb/> fragt, ob es eigentlich Porträt-Darſtellung von Thieren geben oder ſolche<lb/> ſich je als ein Kunſtzweig feſtſetzen könne.</hi> </p> </div><lb/> <div n="5"> <head>§. 288.</head><lb/> <note place="left"> <hi rendition="#fr">1</hi> </note> <p> <hi rendition="#fr">Das Seelenleben des Thiers erhebt, was es durch die Sinne aufgenommen,<lb/> zu einem Innern, das ſich ſelbſt und die Beſchaffenheit des Gegenſtands, wie<lb/><note place="left">2</note>es durch ſie afficirt wird, fühlt. In dieſes ungetheilte Gefühl des Gegenſtands<lb/> und ſeiner ſelbſt tritt aber auch innere Trennung in Subject und Object ein,<lb/> indem jener als Bild im Innern wiederholt und von der Thierſeele beſchaut<lb/> wird. Die Bilder bleiben aufgehoben, ſpielen innerlich fort, treten als Erinnerung<lb/> aus dem Dunkel wieder hervor. Der Zuſammenhang dieſer Bilder, getragen<lb/> durch ſeine Beziehung auf das Thier ſelbſt, vertritt die Stelle des ihm ver-<lb/> ſchloſſenen Denkens. Das Thier verſteht ohne Begriff, Urtheil und Schluß,<lb/> das Verſtehen hat aber eben darum durchaus da ſeine Grenze, wo ein Inhalt<lb/> nicht unmittelbar ſinnlich erſcheinen kann, ſondern ſich hinter einem willkührlichen,<lb/> auf die eigene Natur des Thiers beziehungsloſen Bilde ſo verſteckt, daß nur die<lb/> wirkliche, durch Denken trennende Reflexion ihn zu ſetzen und zu finden vermag.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Das Thier hat Selbſtgefühl und Gefühl des Gegenſtandes in<lb/> Einem. Beide ſind ſo verſchlungen, daß es keinen Gegenſtand anders<lb/> fühlend aufnehmen kann, als in ſeiner ſinnlichen Beziehung zu ihm. Im<lb/> Menſchen ſetzen ſich auch die höheren Thätigkeiten, welche weſentlich auf<lb/> freier Betrachtung ruhen, wieder in Gefühl um, er hat Gefühl des<lb/> Guten, des Schönen, des Wahren. Solche freie Gefühle hat das Thier<lb/> nicht, weil es ſich nicht zur freien Betrachtung erhebt. Die Blume iſt nur<lb/> dem Thiere wahrhaft Gegenſtand, das ſie frißt; das Fleiſchfreſſende ſieht,<lb/> riecht ſie zwar, aber da es mit ſeinem Triebe nicht auf ſie bezogen iſt, ſo iſt<lb/> ſie ihm nichts, die Weisheit ihres Baues, ihre Schönheit geht es nichts an.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Die Einbildungskraft, die das Thier allerdings hat — der deutlichſte<lb/> Beweis davon iſt, daß es träumt — ſcheidet die dunkle Einheit, worin<lb/> Selbſtgefühl und Gefühl des Gegenſtands verſchlungen iſt. Der Gegen-<lb/> ſtand ſteht dem Selbſt des Thiers als inneres Bild gegenüber. Was iſt<lb/> nun in dieſer Entgegenſtellung das Selbſt geworden? Weiß das Thier<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [108/0120]
3. Ein Pferd, Hund derſelben Race iſt boshaft, gutmüthig,
gelehrig, ungelehrig u. ſ. w. Dieß iſt ſchon innere Individualität und
ſie drückt ſich nicht nur in allem Thun und Laſſen aus, ſondern auch in
feinen phyſiognomiſchen Unterſchieden, die nur der oberflächliche Zuſchauer
nicht bemerkt. Der Hirte kennt ſehr wohl ſeine einzelnen Schafe, Schweine
auseinander. Die Grenze dieſer Eigenheit der Individuen kann man ſich
freilich ſogleich deutlich machen, wenn man ſich, in die Kunſt vorblickend,
fragt, ob es eigentlich Porträt-Darſtellung von Thieren geben oder ſolche
ſich je als ein Kunſtzweig feſtſetzen könne.
§. 288.
Das Seelenleben des Thiers erhebt, was es durch die Sinne aufgenommen,
zu einem Innern, das ſich ſelbſt und die Beſchaffenheit des Gegenſtands, wie
es durch ſie afficirt wird, fühlt. In dieſes ungetheilte Gefühl des Gegenſtands
und ſeiner ſelbſt tritt aber auch innere Trennung in Subject und Object ein,
indem jener als Bild im Innern wiederholt und von der Thierſeele beſchaut
wird. Die Bilder bleiben aufgehoben, ſpielen innerlich fort, treten als Erinnerung
aus dem Dunkel wieder hervor. Der Zuſammenhang dieſer Bilder, getragen
durch ſeine Beziehung auf das Thier ſelbſt, vertritt die Stelle des ihm ver-
ſchloſſenen Denkens. Das Thier verſteht ohne Begriff, Urtheil und Schluß,
das Verſtehen hat aber eben darum durchaus da ſeine Grenze, wo ein Inhalt
nicht unmittelbar ſinnlich erſcheinen kann, ſondern ſich hinter einem willkührlichen,
auf die eigene Natur des Thiers beziehungsloſen Bilde ſo verſteckt, daß nur die
wirkliche, durch Denken trennende Reflexion ihn zu ſetzen und zu finden vermag.
1. Das Thier hat Selbſtgefühl und Gefühl des Gegenſtandes in
Einem. Beide ſind ſo verſchlungen, daß es keinen Gegenſtand anders
fühlend aufnehmen kann, als in ſeiner ſinnlichen Beziehung zu ihm. Im
Menſchen ſetzen ſich auch die höheren Thätigkeiten, welche weſentlich auf
freier Betrachtung ruhen, wieder in Gefühl um, er hat Gefühl des
Guten, des Schönen, des Wahren. Solche freie Gefühle hat das Thier
nicht, weil es ſich nicht zur freien Betrachtung erhebt. Die Blume iſt nur
dem Thiere wahrhaft Gegenſtand, das ſie frißt; das Fleiſchfreſſende ſieht,
riecht ſie zwar, aber da es mit ſeinem Triebe nicht auf ſie bezogen iſt, ſo iſt
ſie ihm nichts, die Weisheit ihres Baues, ihre Schönheit geht es nichts an.
2. Die Einbildungskraft, die das Thier allerdings hat — der deutlichſte
Beweis davon iſt, daß es träumt — ſcheidet die dunkle Einheit, worin
Selbſtgefühl und Gefühl des Gegenſtands verſchlungen iſt. Der Gegen-
ſtand ſteht dem Selbſt des Thiers als inneres Bild gegenüber. Was iſt
nun in dieſer Entgegenſtellung das Selbſt geworden? Weiß das Thier
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