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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.

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sich als Ich dem Bilde des Gegenstands gegenüber? Gewiß nicht; als
Ich weiß sich und Ich ist ebendaher nur der Mensch. Das Thier kann
dem Bilde gegenüber auch sich selbst nur als Bild setzen und hat so sich
als Inneres selbst wieder in sinnlicher Form. Dieses plastische Denken ist
es offenbar, was ihm die Stelle des wirklichen Denkens vertritt, und zwar
wesentlich auch dadurch, daß hiemit die Erinnerung und ebendamit auch
Vorstellung der Zukunft gegeben ist. Das Thier ist "träumende Monade."
So erinnert es sich der Schläge, die es bei einer Gelegenheit erhalten,
und vermeidet sie bei der nächsten. Da meint man, es mache einen Schluß;
ihm schwebt vielmehr die frühere Scene vor, es sieht sich, wie es geschlagen
wurde, und stellt sich dieß vor als wiederkehrend im jetzigen Moment, falls
es dasselbe thäte, wofür es geschlagen worden ist. Es ist hier ein Punkt
der trübsten Begriffe-Verwirrung, eine Quelle der peinlichsten Erörterungen,
wenn man mit Solchen zu thun hat, welche keinen lebendigen Widerspruch
zu fassen vermögen. Man sagt: das Thier hat mehr, als Instinct, es hat
Verstand, nur keine Vernunft, und man sagt es, weil man es Dinge
verrichten sieht, welche der Mensch durch Vermittlung des Denkens verrichtet.
Den Begriff des Instincts werden wir im folg. §. in seiner eigentlichen
Sphäre, der praktischen, aufführen; er kann aber auch auf die theoretische
Sphäre wohl angewandt werden, da das Thier nur für seine Zwecke
fühlt und träumt und das Räthselhafte seines scheinbar berechneten Thuns
gerade eben in dem theoretischen Vorgang sitzt, der dieses Thun begleitet.
Dann aber ist schlechterdings alle Thätigkeit der Thierseele unter dem
Begriffe des Instincts zu befassen. Hegel definirt diesen als die auf
bewußtlose Weise wirkende Zweckthätigkeit (Encyclop. §. 360). In dieser
Bestimmung fehlt ein Moment der Unterscheidung des thierischen Thuns
von der Zweckthätigkeit in der unorganischen und der unbeseelten organischen
Natur. Diese bildet und baut ebenfalls auf eine Weise, welche nur durch
Denken möglich zu sein scheint, ohne zu denken, und doch schreibt ihr
Niemand Verstand zu, aber dem Thiere meint man ihn zuschreiben zu
müßen, weil es ein innerlich fühlendes und vorstellendes Wesen ist: wo
diese Innerlichkeit eingetreten ist, da meint man sei das dunkle Zweck-
Wirken nicht mehr möglich, wie in der unbeseelten Natur. Zunächst aber
kommt es allerdings darauf an, erst die Wirklichkeit des Widerspruchs in
dieser letzteren zu fassen. Wer sich wundert, wie das Thier Zweckmäßiges
ohne urtheilendes und schließendes Denken thun könne, muß sich zuerst
und noch mehr wundern, wie der Baum und der Thierleib soweit er mit
einfacher Nothwendigkeit wächst, nicht nur ohne Bewußtsein, sondern sogar
ohne Fühlen und innere Bilder-Erzeugung seinen kunstvollen Bau vollendet.
Vermögen diese ihr Werk so zu vollbringen, so vermag die Thierseele ihre
weiteren Zwecke um so gewisser mit dem Mittel des Fühlens und inneren

ſich als Ich dem Bilde des Gegenſtands gegenüber? Gewiß nicht; als
Ich weiß ſich und Ich iſt ebendaher nur der Menſch. Das Thier kann
dem Bilde gegenüber auch ſich ſelbſt nur als Bild ſetzen und hat ſo ſich
als Inneres ſelbſt wieder in ſinnlicher Form. Dieſes plaſtiſche Denken iſt
es offenbar, was ihm die Stelle des wirklichen Denkens vertritt, und zwar
weſentlich auch dadurch, daß hiemit die Erinnerung und ebendamit auch
Vorſtellung der Zukunft gegeben iſt. Das Thier iſt „träumende Monade.“
So erinnert es ſich der Schläge, die es bei einer Gelegenheit erhalten,
und vermeidet ſie bei der nächſten. Da meint man, es mache einen Schluß;
ihm ſchwebt vielmehr die frühere Scene vor, es ſieht ſich, wie es geſchlagen
wurde, und ſtellt ſich dieß vor als wiederkehrend im jetzigen Moment, falls
es daſſelbe thäte, wofür es geſchlagen worden iſt. Es iſt hier ein Punkt
der trübſten Begriffe-Verwirrung, eine Quelle der peinlichſten Erörterungen,
wenn man mit Solchen zu thun hat, welche keinen lebendigen Widerſpruch
zu faſſen vermögen. Man ſagt: das Thier hat mehr, als Inſtinct, es hat
Verſtand, nur keine Vernunft, und man ſagt es, weil man es Dinge
verrichten ſieht, welche der Menſch durch Vermittlung des Denkens verrichtet.
Den Begriff des Inſtincts werden wir im folg. §. in ſeiner eigentlichen
Sphäre, der praktiſchen, aufführen; er kann aber auch auf die theoretiſche
Sphäre wohl angewandt werden, da das Thier nur für ſeine Zwecke
fühlt und träumt und das Räthſelhafte ſeines ſcheinbar berechneten Thuns
gerade eben in dem theoretiſchen Vorgang ſitzt, der dieſes Thun begleitet.
Dann aber iſt ſchlechterdings alle Thätigkeit der Thierſeele unter dem
Begriffe des Inſtincts zu befaſſen. Hegel definirt dieſen als die auf
bewußtloſe Weiſe wirkende Zweckthätigkeit (Encyclop. §. 360). In dieſer
Beſtimmung fehlt ein Moment der Unterſcheidung des thieriſchen Thuns
von der Zweckthätigkeit in der unorganiſchen und der unbeſeelten organiſchen
Natur. Dieſe bildet und baut ebenfalls auf eine Weiſe, welche nur durch
Denken möglich zu ſein ſcheint, ohne zu denken, und doch ſchreibt ihr
Niemand Verſtand zu, aber dem Thiere meint man ihn zuſchreiben zu
müßen, weil es ein innerlich fühlendes und vorſtellendes Weſen iſt: wo
dieſe Innerlichkeit eingetreten iſt, da meint man ſei das dunkle Zweck-
Wirken nicht mehr möglich, wie in der unbeſeelten Natur. Zunächſt aber
kommt es allerdings darauf an, erſt die Wirklichkeit des Widerſpruchs in
dieſer letzteren zu faſſen. Wer ſich wundert, wie das Thier Zweckmäßiges
ohne urtheilendes und ſchließendes Denken thun könne, muß ſich zuerſt
und noch mehr wundern, wie der Baum und der Thierleib ſoweit er mit
einfacher Nothwendigkeit wächst, nicht nur ohne Bewußtſein, ſondern ſogar
ohne Fühlen und innere Bilder-Erzeugung ſeinen kunſtvollen Bau vollendet.
Vermögen dieſe ihr Werk ſo zu vollbringen, ſo vermag die Thierſeele ihre
weiteren Zwecke um ſo gewiſſer mit dem Mittel des Fühlens und inneren

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[109/0121] ſich als Ich dem Bilde des Gegenſtands gegenüber? Gewiß nicht; als Ich weiß ſich und Ich iſt ebendaher nur der Menſch. Das Thier kann dem Bilde gegenüber auch ſich ſelbſt nur als Bild ſetzen und hat ſo ſich als Inneres ſelbſt wieder in ſinnlicher Form. Dieſes plaſtiſche Denken iſt es offenbar, was ihm die Stelle des wirklichen Denkens vertritt, und zwar weſentlich auch dadurch, daß hiemit die Erinnerung und ebendamit auch Vorſtellung der Zukunft gegeben iſt. Das Thier iſt „träumende Monade.“ So erinnert es ſich der Schläge, die es bei einer Gelegenheit erhalten, und vermeidet ſie bei der nächſten. Da meint man, es mache einen Schluß; ihm ſchwebt vielmehr die frühere Scene vor, es ſieht ſich, wie es geſchlagen wurde, und ſtellt ſich dieß vor als wiederkehrend im jetzigen Moment, falls es daſſelbe thäte, wofür es geſchlagen worden iſt. Es iſt hier ein Punkt der trübſten Begriffe-Verwirrung, eine Quelle der peinlichſten Erörterungen, wenn man mit Solchen zu thun hat, welche keinen lebendigen Widerſpruch zu faſſen vermögen. Man ſagt: das Thier hat mehr, als Inſtinct, es hat Verſtand, nur keine Vernunft, und man ſagt es, weil man es Dinge verrichten ſieht, welche der Menſch durch Vermittlung des Denkens verrichtet. Den Begriff des Inſtincts werden wir im folg. §. in ſeiner eigentlichen Sphäre, der praktiſchen, aufführen; er kann aber auch auf die theoretiſche Sphäre wohl angewandt werden, da das Thier nur für ſeine Zwecke fühlt und träumt und das Räthſelhafte ſeines ſcheinbar berechneten Thuns gerade eben in dem theoretiſchen Vorgang ſitzt, der dieſes Thun begleitet. Dann aber iſt ſchlechterdings alle Thätigkeit der Thierſeele unter dem Begriffe des Inſtincts zu befaſſen. Hegel definirt dieſen als die auf bewußtloſe Weiſe wirkende Zweckthätigkeit (Encyclop. §. 360). In dieſer Beſtimmung fehlt ein Moment der Unterſcheidung des thieriſchen Thuns von der Zweckthätigkeit in der unorganiſchen und der unbeſeelten organiſchen Natur. Dieſe bildet und baut ebenfalls auf eine Weiſe, welche nur durch Denken möglich zu ſein ſcheint, ohne zu denken, und doch ſchreibt ihr Niemand Verſtand zu, aber dem Thiere meint man ihn zuſchreiben zu müßen, weil es ein innerlich fühlendes und vorſtellendes Weſen iſt: wo dieſe Innerlichkeit eingetreten iſt, da meint man ſei das dunkle Zweck- Wirken nicht mehr möglich, wie in der unbeſeelten Natur. Zunächſt aber kommt es allerdings darauf an, erſt die Wirklichkeit des Widerſpruchs in dieſer letzteren zu faſſen. Wer ſich wundert, wie das Thier Zweckmäßiges ohne urtheilendes und ſchließendes Denken thun könne, muß ſich zuerſt und noch mehr wundern, wie der Baum und der Thierleib ſoweit er mit einfacher Nothwendigkeit wächst, nicht nur ohne Bewußtſein, ſondern ſogar ohne Fühlen und innere Bilder-Erzeugung ſeinen kunſtvollen Bau vollendet. Vermögen dieſe ihr Werk ſo zu vollbringen, ſo vermag die Thierſeele ihre weiteren Zwecke um ſo gewiſſer mit dem Mittel des Fühlens und inneren

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/121>, abgerufen am 21.11.2024.