die Begrenzung meiner Sinne, dem Schauspiel einen Namen zu geben, der es von Anderem, nicht zur Sache Gehörigem abschneidet.
§. 239.
1
Was im allgemeinen Begriffe in flüßiger Einheit ineinander ist, geht in der Verwirklichung auseinander und zerfällt an einzelne Existenzen, so daß Einiges einfach schön, Anderes erhaben, Anderes komisch erscheint, und ebenso verhält es sich mit den untergeordneten Momenten dieser Hauptgegensätze. Es findet aber, zum deutlichen Beweise, daß dieselben ihren ursprünglichen Ort in 2der Einheit des Begriffs haben, zugleich ein Stellenwechsel statt. Einige Gattungen sind einfach schön, treten aber nach Umständen in das Erhabene und Komische über; doch ist dieser Uebertritt selten, weil das Schöne, wenn das Erhabene als sein Gegensatz aus ihm hervorgetaucht ist, in harmlose Anmuth 3zurücktritt (vergl. §. 73, 1.). Andere Gattungen sind erhaben, treten aber in's Komische über; andere komisch, nach Umständen auch erhaben. Je bedeutender die Gattung, desto voller ihre Bewegung durch die Gegensätze. Abgesehen von 4dem ursprünglichen Gepräge der Gattung wirst sich über alle der störende Zufall und zieht sie, wenn die in §. 234 genannte Gunst des Zufalls hinzutritt, durch 5das Häßliche in das Erhabene oder Komische. Diese Vertheilung und dieser Stellenwechsel der Grundformen des Schönen wird in der folgenden Ausführung nur an den Hauptpunkten berührt werden.
1. Es ist schon in §. 82 S. 215 für die Nothwendigkeit, das Er- habene und Komische in der allgemeinen Begriffslehre zu entwickeln, auf die Krit. Gänge Th. 2, S. 348. 349 verwiesen worden. Der wesentliche Grund ist, daß, wo irgend Schönes auftritt, auch Erhabenes und Komisches sich geltend macht, daß also, da alle wirklichen Existenzformen des Schönen an diesen allgemeinen Grundformen theilnehmen, diese letzteren nicht erst aufge- führt werden dürfen, wo von jenen besonderen Existenzen die Rede ist. Nun scheint dagegen die Natur der sinnlichen Wirklichkeit zu sein, gemäß welcher im Naturschönen die Grundformen auseinanderfallen und sich die eine an diese, die andere an jene Existenz fesselt, wie denn z. B. der Elephant wesentlich als ein erhabenes Thier erscheint. Allein diese Verfestigung ist keine absolute, ein Umspringen zeigt sich auf allen Punkten, und dieß beweist nun thatsächlich die Richtigkeit jenes Satzes und hiemit die Richtigkeit der Anordnung, welche dem System eine Metaphysik des Schönen zum ersten Theile gibt; denn wenn das einfach Schöne, Erhabene u. s. w. seine Stelle in der Welt der Gegenstände wechselt, so folgt, daß diese Momente des Schönen allgemeiner Natur und in ihrer inneren Ordnung vor allem wirklichen Dasein des Schönen zu entwickeln sind. Dieser
die Begrenzung meiner Sinne, dem Schauſpiel einen Namen zu geben, der es von Anderem, nicht zur Sache Gehörigem abſchneidet.
§. 239.
1
Was im allgemeinen Begriffe in flüßiger Einheit ineinander iſt, geht in der Verwirklichung auseinander und zerfällt an einzelne Exiſtenzen, ſo daß Einiges einfach ſchön, Anderes erhaben, Anderes komiſch erſcheint, und ebenſo verhält es ſich mit den untergeordneten Momenten dieſer Hauptgegenſätze. Es findet aber, zum deutlichen Beweiſe, daß dieſelben ihren urſprünglichen Ort in 2der Einheit des Begriffs haben, zugleich ein Stellenwechſel ſtatt. Einige Gattungen ſind einfach ſchön, treten aber nach Umſtänden in das Erhabene und Komiſche über; doch iſt dieſer Uebertritt ſelten, weil das Schöne, wenn das Erhabene als ſein Gegenſatz aus ihm hervorgetaucht iſt, in harmloſe Anmuth 3zurücktritt (vergl. §. 73, 1.). Andere Gattungen ſind erhaben, treten aber in’s Komiſche über; andere komiſch, nach Umſtänden auch erhaben. Je bedeutender die Gattung, deſto voller ihre Bewegung durch die Gegenſätze. Abgeſehen von 4dem urſprünglichen Gepräge der Gattung wirſt ſich über alle der ſtörende Zufall und zieht ſie, wenn die in §. 234 genannte Gunſt des Zufalls hinzutritt, durch 5das Häßliche in das Erhabene oder Komiſche. Dieſe Vertheilung und dieſer Stellenwechſel der Grundformen des Schönen wird in der folgenden Ausführung nur an den Hauptpunkten berührt werden.
1. Es iſt ſchon in §. 82 S. 215 für die Nothwendigkeit, das Er- habene und Komiſche in der allgemeinen Begriffslehre zu entwickeln, auf die Krit. Gänge Th. 2, S. 348. 349 verwieſen worden. Der weſentliche Grund iſt, daß, wo irgend Schönes auftritt, auch Erhabenes und Komiſches ſich geltend macht, daß alſo, da alle wirklichen Exiſtenzformen des Schönen an dieſen allgemeinen Grundformen theilnehmen, dieſe letzteren nicht erſt aufge- führt werden dürfen, wo von jenen beſonderen Exiſtenzen die Rede iſt. Nun ſcheint dagegen die Natur der ſinnlichen Wirklichkeit zu ſein, gemäß welcher im Naturſchönen die Grundformen auseinanderfallen und ſich die eine an dieſe, die andere an jene Exiſtenz feſſelt, wie denn z. B. der Elephant weſentlich als ein erhabenes Thier erſcheint. Allein dieſe Verfeſtigung iſt keine abſolute, ein Umſpringen zeigt ſich auf allen Punkten, und dieß beweist nun thatſächlich die Richtigkeit jenes Satzes und hiemit die Richtigkeit der Anordnung, welche dem Syſtem eine Metaphyſik des Schönen zum erſten Theile gibt; denn wenn das einfach Schöne, Erhabene u. ſ. w. ſeine Stelle in der Welt der Gegenſtände wechſelt, ſo folgt, daß dieſe Momente des Schönen allgemeiner Natur und in ihrer inneren Ordnung vor allem wirklichen Daſein des Schönen zu entwickeln ſind. Dieſer
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die Begrenzung meiner Sinne, dem Schauſpiel einen Namen zu geben,
der es von Anderem, nicht zur Sache Gehörigem abſchneidet.
§. 239.
Was im allgemeinen Begriffe in flüßiger Einheit ineinander iſt, geht in
der Verwirklichung auseinander und zerfällt an einzelne Exiſtenzen, ſo daß
Einiges einfach ſchön, Anderes erhaben, Anderes komiſch erſcheint, und ebenſo
verhält es ſich mit den untergeordneten Momenten dieſer Hauptgegenſätze. Es
findet aber, zum deutlichen Beweiſe, daß dieſelben ihren urſprünglichen Ort in
der Einheit des Begriffs haben, zugleich ein Stellenwechſel ſtatt. Einige
Gattungen ſind einfach ſchön, treten aber nach Umſtänden in das Erhabene und
Komiſche über; doch iſt dieſer Uebertritt ſelten, weil das Schöne, wenn das
Erhabene als ſein Gegenſatz aus ihm hervorgetaucht iſt, in harmloſe Anmuth
zurücktritt (vergl. §. 73, 1.). Andere Gattungen ſind erhaben, treten aber in’s
Komiſche über; andere komiſch, nach Umſtänden auch erhaben. Je bedeutender
die Gattung, deſto voller ihre Bewegung durch die Gegenſätze. Abgeſehen von
dem urſprünglichen Gepräge der Gattung wirſt ſich über alle der ſtörende Zufall
und zieht ſie, wenn die in §. 234 genannte Gunſt des Zufalls hinzutritt, durch
das Häßliche in das Erhabene oder Komiſche. Dieſe Vertheilung und dieſer
Stellenwechſel der Grundformen des Schönen wird in der folgenden Ausführung
nur an den Hauptpunkten berührt werden.
1. Es iſt ſchon in §. 82 S. 215 für die Nothwendigkeit, das Er-
habene und Komiſche in der allgemeinen Begriffslehre zu entwickeln, auf
die Krit. Gänge Th. 2, S. 348. 349 verwieſen worden. Der weſentliche
Grund iſt, daß, wo irgend Schönes auftritt, auch Erhabenes und Komiſches
ſich geltend macht, daß alſo, da alle wirklichen Exiſtenzformen des Schönen an
dieſen allgemeinen Grundformen theilnehmen, dieſe letzteren nicht erſt aufge-
führt werden dürfen, wo von jenen beſonderen Exiſtenzen die Rede iſt. Nun
ſcheint dagegen die Natur der ſinnlichen Wirklichkeit zu ſein, gemäß welcher
im Naturſchönen die Grundformen auseinanderfallen und ſich die eine an
dieſe, die andere an jene Exiſtenz feſſelt, wie denn z. B. der Elephant
weſentlich als ein erhabenes Thier erſcheint. Allein dieſe Verfeſtigung iſt
keine abſolute, ein Umſpringen zeigt ſich auf allen Punkten, und dieß
beweist nun thatſächlich die Richtigkeit jenes Satzes und hiemit die Richtigkeit
der Anordnung, welche dem Syſtem eine Metaphyſik des Schönen zum
erſten Theile gibt; denn wenn das einfach Schöne, Erhabene u. ſ. w.
ſeine Stelle in der Welt der Gegenſtände wechſelt, ſo folgt, daß dieſe
Momente des Schönen allgemeiner Natur und in ihrer inneren Ordnung
vor allem wirklichen Daſein des Schönen zu entwickeln ſind. Dieſer
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0201_1847/34>, abgerufen am 16.07.2024.
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