Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,1. Reutlingen u. a., 1847.
der Luft. Dieselbe erfreut nicht nur durch das reine Lebensgefühl, das die 1. Es ist zunächst das allgemeine Lebensgefühl hervorgehoben, das 2. Die Luftperspective pflegt, wie das Colorit, von den Aesthetikern
der Luft. Dieſelbe erfreut nicht nur durch das reine Lebensgefühl, das die 1. Es iſt zunächſt das allgemeine Lebensgefühl hervorgehoben, das 2. Die Luftperſpective pflegt, wie das Colorit, von den Aeſthetikern <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p> <hi rendition="#fr"><pb facs="#f0068" n="56"/> der <hi rendition="#g">Luft</hi>. Dieſelbe erfreut nicht nur durch das reine Lebensgefühl, das die<lb/> lebendigen Weſen in ihrem allverbreiteten erhaltenden und labenden Elemente<lb/> genießen, ſondern ſie vollendet dieſen Eindruck auch für das Auge durch das<lb/> ſchöne Blau, welches durch die Tiefe ihrer Schichte zur Erſcheinung kommt.<lb/><note place="left">2</note>Dieſe Farbe, welche die Luft als trübes Medium annimmt, ſteigt nach dem<lb/> Maaße der Entfernungen, nach Art der in einem Raume ſchwebenden Dünſte<lb/> ſpielt ſie in’s Graue, Gelbliche, Bräunliche; der verdunkelnde Schleier, welcher<lb/> ſo ſich bildet, verhüllt in dem Grade, in welchem die Gegenſtände vom Zuſchauer<lb/> zurücktreten, ihre Form und Localfarben. Dieſe Wirkung der Luft heißt<lb/><hi rendition="#g">Luftperſpective</hi>.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Es iſt zunächſt das allgemeine Lebensgefühl hervorgehoben, das<lb/> die Luft erregt. Dieſes ſcheint nicht äſthetiſch, da es ſich unmittelbar<lb/> keinem der äſthetiſchen Sinne, nicht dem Auge, nicht dem Ohre darſtellt.<lb/> Allein es fehlt dennoch die erforderte Objectivität nicht; durch das eigene<lb/> Gefühl der Labung, das wir in der Luft genießen, wird uns der allgemeine<lb/><hi rendition="#aq">tonus,</hi> den alles Lebendige hat, was wir ſehen, in ſeiner Urſache, den<lb/> lebenbringenden Einflüſſen der Luft klar; wir ſehen die Geſchöpfe athmen,<lb/> wir ſehen ſelbſt der Pflanze an, daß ſie Luft einſaugt. <hi rendition="#g">Hölderlin</hi>’s Gedicht<lb/> an den Aether. Wir ſehen die Schlaffheit und Gedrücktheit aller Weſen<lb/> in dumpfer, die Friſche in gereinigter Luft und zwar noch abgeſehen von<lb/> dem Farbentone, der durch dieſe verſchiedene Beſchaffenheit der Luft bedingt<lb/> iſt. Von dem Blau als der Farbe, welche die erleuchtete Luftſchichte über<lb/> uns annimmt, war beiſpielsweiſe ſchon die Rede. Trotz ihrer verhältniß-<lb/> mäßigen Armuth wirkt dieſe Farbe hier darum ſo poſitiv, weil ſie vom<lb/> Lichte durchdrungen und durchſichtig iſt, ferner weil Auge und Gefühl als<lb/> Gegenſatz gegen die dichten Körper und ihre energiſche Farbe gerade die<lb/> dünnere und paſſivere Farbe ſucht; Auge und Sinn <hi rendition="#g">bedarf</hi> es, von der<lb/> beſchränkenden Strenge der individuellen Körper ſich ſanft angezogen in<lb/> das „reizende Nichts“ dieſes Blau zu verlieren, ſich in dieſem widerſtands-<lb/> loſen Elemente zu baden.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">2. Die Luftperſpective pflegt, wie das Colorit, von den Aeſthetikern<lb/> erſt in der Lehre von der Malerei aufgeführt zu werden. Die Sache iſt<lb/> aber vorhanden vor dem Maler und ohne ihn und der wiſſenſchaftliche<lb/> Ausdruck für ſie iſt zwar erſt von der Kunſt gefunden worden, allein das<lb/> verſteht ſich bei aller Naturſchönheit, daß nicht ſie ſelbſt ihren Begriff und<lb/> ihre Geſetze ausſprechen kann. Erſt die Luftperſpective nun iſt es, durch<lb/> welche das Auge die Entfernungen der Dinge nach der Tiefe, ihren<lb/> Abſtand hintereinander zu meſſen vermag. Das Licht kann auch in den<lb/> Mittel- oder Hintergrund einfallen, allein mag das Entferntere auch das<lb/> vollere Licht haben, der Flor, den die dickere Luftſchichte darüber zieht,<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0068]
der Luft. Dieſelbe erfreut nicht nur durch das reine Lebensgefühl, das die
lebendigen Weſen in ihrem allverbreiteten erhaltenden und labenden Elemente
genießen, ſondern ſie vollendet dieſen Eindruck auch für das Auge durch das
ſchöne Blau, welches durch die Tiefe ihrer Schichte zur Erſcheinung kommt.
Dieſe Farbe, welche die Luft als trübes Medium annimmt, ſteigt nach dem
Maaße der Entfernungen, nach Art der in einem Raume ſchwebenden Dünſte
ſpielt ſie in’s Graue, Gelbliche, Bräunliche; der verdunkelnde Schleier, welcher
ſo ſich bildet, verhüllt in dem Grade, in welchem die Gegenſtände vom Zuſchauer
zurücktreten, ihre Form und Localfarben. Dieſe Wirkung der Luft heißt
Luftperſpective.
1. Es iſt zunächſt das allgemeine Lebensgefühl hervorgehoben, das
die Luft erregt. Dieſes ſcheint nicht äſthetiſch, da es ſich unmittelbar
keinem der äſthetiſchen Sinne, nicht dem Auge, nicht dem Ohre darſtellt.
Allein es fehlt dennoch die erforderte Objectivität nicht; durch das eigene
Gefühl der Labung, das wir in der Luft genießen, wird uns der allgemeine
tonus, den alles Lebendige hat, was wir ſehen, in ſeiner Urſache, den
lebenbringenden Einflüſſen der Luft klar; wir ſehen die Geſchöpfe athmen,
wir ſehen ſelbſt der Pflanze an, daß ſie Luft einſaugt. Hölderlin’s Gedicht
an den Aether. Wir ſehen die Schlaffheit und Gedrücktheit aller Weſen
in dumpfer, die Friſche in gereinigter Luft und zwar noch abgeſehen von
dem Farbentone, der durch dieſe verſchiedene Beſchaffenheit der Luft bedingt
iſt. Von dem Blau als der Farbe, welche die erleuchtete Luftſchichte über
uns annimmt, war beiſpielsweiſe ſchon die Rede. Trotz ihrer verhältniß-
mäßigen Armuth wirkt dieſe Farbe hier darum ſo poſitiv, weil ſie vom
Lichte durchdrungen und durchſichtig iſt, ferner weil Auge und Gefühl als
Gegenſatz gegen die dichten Körper und ihre energiſche Farbe gerade die
dünnere und paſſivere Farbe ſucht; Auge und Sinn bedarf es, von der
beſchränkenden Strenge der individuellen Körper ſich ſanft angezogen in
das „reizende Nichts“ dieſes Blau zu verlieren, ſich in dieſem widerſtands-
loſen Elemente zu baden.
2. Die Luftperſpective pflegt, wie das Colorit, von den Aeſthetikern
erſt in der Lehre von der Malerei aufgeführt zu werden. Die Sache iſt
aber vorhanden vor dem Maler und ohne ihn und der wiſſenſchaftliche
Ausdruck für ſie iſt zwar erſt von der Kunſt gefunden worden, allein das
verſteht ſich bei aller Naturſchönheit, daß nicht ſie ſelbſt ihren Begriff und
ihre Geſetze ausſprechen kann. Erſt die Luftperſpective nun iſt es, durch
welche das Auge die Entfernungen der Dinge nach der Tiefe, ihren
Abſtand hintereinander zu meſſen vermag. Das Licht kann auch in den
Mittel- oder Hintergrund einfallen, allein mag das Entferntere auch das
vollere Licht haben, der Flor, den die dickere Luftſchichte darüber zieht,
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