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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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gehe, reden wir. Wenn wir das Talent einen bloßen Techniker der
Phantasie nennen, so ist also ja nicht an die äußere Technik zu denken,
sondern daran, daß die Verschiedenheit in dem, was die Technik in gei-
stiger Gewalt der Formen leistet, ihren Grund in der Verschiedenheit
der innern Formthätigkeit hat, daß in dieser selbst der ideale Gehalt, der
in die Form aufgeht, relativ trennbar ist von der letzteren, und daß die
so getrennte bloße Form es ist, die dem Talente zufällt. Dieß hat seine
Schwierigkeit. Ausdrücklich haben wir ja dargethan, daß die Idee, d. h.
die in das Subject eingegangene und durch dessen Idee-Gehalt in's Un-
endliche befreite und erfüllte Idee des Gegenstandes, ganz und rein in
die Form aufgehe, daß also die Form gar nichts Anderes ist, als form-
gewordener Gehalt. Wie kann es nun eine Beschränkung geben auf die
Formthätigkeit ohne den Gehalt? Wir dürften, scheint es, nur antwor-
ten: geringerer Gehalt und daher auch geringere Form unterscheide das
bloße Talent, und damit die schon in anderem Zusammenhang erwähnte
Aeußerung Schillers (Brief an Göthe N. 784) ergänzen: der Art nach
sei jeder ein Poet, der seinen Empfindungszustand in ein Object legen
könne, der Grad aber beruhe auf dem Reichthum, dem Gehalt, den er
in sich habe und folglich hineinlege; dieser Grad nun, würden wir hin-
zusetzen, müßte eben auch ein geringerer Grad der Form sein. Allein
dieß ist nicht das Rechte; es findet bei dem Talente ein Bruch zwischen
der Form und dem Gehalte statt, der so beschaffen ist, daß jene mehr an
Gehalt verspricht, als sie leistet, ein täuschender Schein der Tiefe, eine
Anziehung, die uns weiter und weiter führt, bis endlich zum Großen
und Ganzen nur ein Härchen fehlt, und eben dieses Härchen ist das
Große und Ganze selbst. Daher bleibt nur die Auskunft, die der §. gibt:
das Talent ist angeborne Leichtigkeit der spezifischen Formthätigkeit der
Phantasie; da nun diese vom schweren Gewichte des Gehalts nicht zu
trennen ist, so muß sich dieß bei dem Talente so verhalten, daß es mit
dem Scheine der Form freilich auch den Gehalt produzirt, aber nicht
selbst und ursprünglich, sondern so, daß es sich in den Gehalt, der eigent-
lich einem Andern gehört, hineinempfindet, sich ihm anempfindet, nicht
dem Gehalte blos, sondern auch der Form, sofern sie groß ist durch Ge-
halt. Dabei ist freilich vorausgesetzt, daß Formen, welche durch ihre
Großheit Größe des Gehalts aussprechen, vom Genie schon in wirklicher,
äußerer Kunst-Darstellung gegeben seien. Das Talent ergreift diese,
faßt den Prozeß der Phantasie von außen, macht sich von außen mit
Gewandtheit in ihn hinein, fühlt auch den Gehalt nach, der darin liegt,
aber weil er blos nachgefühlt ist, ist er nicht wahrhaft da, daher ist seine
Form nicht erfüllter Schein, Erscheinung, sondern leerer, schließlich im
Stich lassender Schein. Das Talent gibt nicht nur mittelmäßige Formen,

gehe, reden wir. Wenn wir das Talent einen bloßen Techniker der
Phantaſie nennen, ſo iſt alſo ja nicht an die äußere Technik zu denken,
ſondern daran, daß die Verſchiedenheit in dem, was die Technik in gei-
ſtiger Gewalt der Formen leiſtet, ihren Grund in der Verſchiedenheit
der innern Formthätigkeit hat, daß in dieſer ſelbſt der ideale Gehalt, der
in die Form aufgeht, relativ trennbar iſt von der letzteren, und daß die
ſo getrennte bloße Form es iſt, die dem Talente zufällt. Dieß hat ſeine
Schwierigkeit. Ausdrücklich haben wir ja dargethan, daß die Idee, d. h.
die in das Subject eingegangene und durch deſſen Idee-Gehalt in’s Un-
endliche befreite und erfüllte Idee des Gegenſtandes, ganz und rein in
die Form aufgehe, daß alſo die Form gar nichts Anderes iſt, als form-
gewordener Gehalt. Wie kann es nun eine Beſchränkung geben auf die
Formthätigkeit ohne den Gehalt? Wir dürften, ſcheint es, nur antwor-
ten: geringerer Gehalt und daher auch geringere Form unterſcheide das
bloße Talent, und damit die ſchon in anderem Zuſammenhang erwähnte
Aeußerung Schillers (Brief an Göthe N. 784) ergänzen: der Art nach
ſei jeder ein Poet, der ſeinen Empfindungszuſtand in ein Object legen
könne, der Grad aber beruhe auf dem Reichthum, dem Gehalt, den er
in ſich habe und folglich hineinlege; dieſer Grad nun, würden wir hin-
zuſetzen, müßte eben auch ein geringerer Grad der Form ſein. Allein
dieß iſt nicht das Rechte; es findet bei dem Talente ein Bruch zwiſchen
der Form und dem Gehalte ſtatt, der ſo beſchaffen iſt, daß jene mehr an
Gehalt verſpricht, als ſie leiſtet, ein täuſchender Schein der Tiefe, eine
Anziehung, die uns weiter und weiter führt, bis endlich zum Großen
und Ganzen nur ein Härchen fehlt, und eben dieſes Härchen iſt das
Große und Ganze ſelbſt. Daher bleibt nur die Auskunft, die der §. gibt:
das Talent iſt angeborne Leichtigkeit der ſpezifiſchen Formthätigkeit der
Phantaſie; da nun dieſe vom ſchweren Gewichte des Gehalts nicht zu
trennen iſt, ſo muß ſich dieß bei dem Talente ſo verhalten, daß es mit
dem Scheine der Form freilich auch den Gehalt produzirt, aber nicht
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lich einem Andern gehört, hineinempfindet, ſich ihm anempfindet, nicht
dem Gehalte blos, ſondern auch der Form, ſofern ſie groß iſt durch Ge-
halt. Dabei iſt freilich vorausgeſetzt, daß Formen, welche durch ihre
Großheit Größe des Gehalts ausſprechen, vom Genie ſchon in wirklicher,
äußerer Kunſt-Darſtellung gegeben ſeien. Das Talent ergreift dieſe,
faßt den Prozeß der Phantaſie von außen, macht ſich von außen mit
Gewandtheit in ihn hinein, fühlt auch den Gehalt nach, der darin liegt,
aber weil er blos nachgefühlt iſt, iſt er nicht wahrhaft da, daher iſt ſeine
Form nicht erfüllter Schein, Erſcheinung, ſondern leerer, ſchließlich im
Stich laſſender Schein. Das Talent gibt nicht nur mittelmäßige Formen,

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[390/0104] gehe, reden wir. Wenn wir das Talent einen bloßen Techniker der Phantaſie nennen, ſo iſt alſo ja nicht an die äußere Technik zu denken, ſondern daran, daß die Verſchiedenheit in dem, was die Technik in gei- ſtiger Gewalt der Formen leiſtet, ihren Grund in der Verſchiedenheit der innern Formthätigkeit hat, daß in dieſer ſelbſt der ideale Gehalt, der in die Form aufgeht, relativ trennbar iſt von der letzteren, und daß die ſo getrennte bloße Form es iſt, die dem Talente zufällt. Dieß hat ſeine Schwierigkeit. Ausdrücklich haben wir ja dargethan, daß die Idee, d. h. die in das Subject eingegangene und durch deſſen Idee-Gehalt in’s Un- endliche befreite und erfüllte Idee des Gegenſtandes, ganz und rein in die Form aufgehe, daß alſo die Form gar nichts Anderes iſt, als form- gewordener Gehalt. Wie kann es nun eine Beſchränkung geben auf die Formthätigkeit ohne den Gehalt? Wir dürften, ſcheint es, nur antwor- ten: geringerer Gehalt und daher auch geringere Form unterſcheide das bloße Talent, und damit die ſchon in anderem Zuſammenhang erwähnte Aeußerung Schillers (Brief an Göthe N. 784) ergänzen: der Art nach ſei jeder ein Poet, der ſeinen Empfindungszuſtand in ein Object legen könne, der Grad aber beruhe auf dem Reichthum, dem Gehalt, den er in ſich habe und folglich hineinlege; dieſer Grad nun, würden wir hin- zuſetzen, müßte eben auch ein geringerer Grad der Form ſein. Allein dieß iſt nicht das Rechte; es findet bei dem Talente ein Bruch zwiſchen der Form und dem Gehalte ſtatt, der ſo beſchaffen iſt, daß jene mehr an Gehalt verſpricht, als ſie leiſtet, ein täuſchender Schein der Tiefe, eine Anziehung, die uns weiter und weiter führt, bis endlich zum Großen und Ganzen nur ein Härchen fehlt, und eben dieſes Härchen iſt das Große und Ganze ſelbſt. Daher bleibt nur die Auskunft, die der §. gibt: das Talent iſt angeborne Leichtigkeit der ſpezifiſchen Formthätigkeit der Phantaſie; da nun dieſe vom ſchweren Gewichte des Gehalts nicht zu trennen iſt, ſo muß ſich dieß bei dem Talente ſo verhalten, daß es mit dem Scheine der Form freilich auch den Gehalt produzirt, aber nicht ſelbſt und urſprünglich, ſondern ſo, daß es ſich in den Gehalt, der eigent- lich einem Andern gehört, hineinempfindet, ſich ihm anempfindet, nicht dem Gehalte blos, ſondern auch der Form, ſofern ſie groß iſt durch Ge- halt. Dabei iſt freilich vorausgeſetzt, daß Formen, welche durch ihre Großheit Größe des Gehalts ausſprechen, vom Genie ſchon in wirklicher, äußerer Kunſt-Darſtellung gegeben ſeien. Das Talent ergreift dieſe, faßt den Prozeß der Phantaſie von außen, macht ſich von außen mit Gewandtheit in ihn hinein, fühlt auch den Gehalt nach, der darin liegt, aber weil er blos nachgefühlt iſt, iſt er nicht wahrhaft da, daher iſt ſeine Form nicht erfüllter Schein, Erſcheinung, ſondern leerer, ſchließlich im Stich laſſender Schein. Das Talent gibt nicht nur mittelmäßige Formen,

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/104>, abgerufen am 21.11.2024.