verlegt wird, ferner den Nachklang des überwundenen Ausgangspunkts in den Mysterien als esoterisch gewordenen, durch ihr geheimnißvolles Dunkel den Geist befangenden Culten symbolischer Art, in der Aufbewah- rung der alten Götter in der Kunstdarstellung, endlich in Allem dem, was in der Darstellung der neuen Götter an ihre Naturgrundlage mahnt. Wir haben bereits von der individuellen Stimmung gesprochen, die sich als Reminiscenz der Naturbedeutung in die Persönlichkeit des Gottes fort- setzt: die Naturgrundlage wird Naturell. Sie setzt sich ebenso, wie wir sahen, als Begebenheit in den Mythus fort. Hier nun zeigen die Grie- chen ihre ganze Liebenswürdigkeit; es ist ihr unendlicher Fortschritt, daß sie den geistreichen Leichtsinn hatten, aus symbolischen Acten Geschichtchen zu machen und den Grund, die ursprüngliche Bedeutung, zu vergessen. Die Bedeutung ist zum lebendigen Interesse des Gottes geworden, er fragt nichts mehr nach ihr als bloßer Bedeutung. Die Metamorphosen, die Liebesge- schichten des Zeus sind das beste Beispiel. Verfestigt sich nun die Persönlich- keit des Gottes in der Phantasie zu bestimmterer Gestalt, so finden sich nur wenige Reste symbolisch roher Bildung, wie die Ephesische Diana, die priapischen Naturgötter, Ungethüme wie die Harpyien u. s. w. In einigen verbessert der Schönheitssinn die Zusammensetzung des Menschlichen und Thierischen, wie in den Faunen und Centauren. Wesentlich aber ist, daß das Symbol als Attribut, als thierischer Begleiter, als Waffe u. s. w. neben die Gestalt tritt, dienendes Mittel demselben wird; so der Adler des Zeus, der Panther des Bacchus, der Delphin der Aphrodite, so der Kö- cher des Apollo und der Diana, der an Sonnen- und Mondesstrahlen erinnert, der Donnerkeil des Zeus, der Dreizack des Poseidon. Endlich aber setzt sich der symbolische Nachklang in die Gestalt selbst fort und so, daß er das Motiv zu einer Schönheit wird, entweder als unmittelbarer mit ihr ver- bundene Zierde, wie der Halbmond der Diana, die Epheu- und Trau- benguirlanden, die volleren Haarknoten, die man dem Bacchus gab, um die symbolischen Stierhörner der ältesten Darstellung zu verbergen -- wie denn das Haar überhaupt und seine Behandlung, z. B. die ungeord- neteren Jupiter-Locken des Poseidon, besonders symbolischen Nachklang zeigt -- oder als Haltung und Charakter der Gestalt selbst und einzel- ner Organe. So war Diana zunächst Mondsgöttin; die ahnungsvolle Wirkung der irrenden Mondstrahlen in Wald-Einsamkeit mochte Anlaß sein, ein anderes Wesen, einen Waldgeist, eine Göttin des Waldes und Wilds mit ihr zu vereinigen; in der griechischen Phantasie wird nun so das Schlüpfende der Mondbeleuchtung, das Säuseln, Rascheln, Hallen und Wiederhallen im Wald zum Bilde der schlanken, leichtfüßigen Jägerinn, die mit ihren Nymphen und ihrer Meute durch die Wälder streift. Athene ist zunächst das Licht, nicht als Sonne, sondern das Leben des Lichts
verlegt wird, ferner den Nachklang des überwundenen Ausgangspunkts in den Myſterien als eſoteriſch gewordenen, durch ihr geheimnißvolles Dunkel den Geiſt befangenden Culten ſymboliſcher Art, in der Aufbewah- rung der alten Götter in der Kunſtdarſtellung, endlich in Allem dem, was in der Darſtellung der neuen Götter an ihre Naturgrundlage mahnt. Wir haben bereits von der individuellen Stimmung geſprochen, die ſich als Reminiſcenz der Naturbedeutung in die Perſönlichkeit des Gottes fort- ſetzt: die Naturgrundlage wird Naturell. Sie ſetzt ſich ebenſo, wie wir ſahen, als Begebenheit in den Mythus fort. Hier nun zeigen die Grie- chen ihre ganze Liebenswürdigkeit; es iſt ihr unendlicher Fortſchritt, daß ſie den geiſtreichen Leichtſinn hatten, aus ſymboliſchen Acten Geſchichtchen zu machen und den Grund, die urſprüngliche Bedeutung, zu vergeſſen. Die Bedeutung iſt zum lebendigen Intereſſe des Gottes geworden, er fragt nichts mehr nach ihr als bloßer Bedeutung. Die Metamorphoſen, die Liebesge- ſchichten des Zeus ſind das beſte Beiſpiel. Verfeſtigt ſich nun die Perſönlich- keit des Gottes in der Phantaſie zu beſtimmterer Geſtalt, ſo finden ſich nur wenige Reſte ſymboliſch roher Bildung, wie die Epheſiſche Diana, die priapiſchen Naturgötter, Ungethüme wie die Harpyien u. ſ. w. In einigen verbeſſert der Schönheitsſinn die Zuſammenſetzung des Menſchlichen und Thieriſchen, wie in den Faunen und Centauren. Weſentlich aber iſt, daß das Symbol als Attribut, als thieriſcher Begleiter, als Waffe u. ſ. w. neben die Geſtalt tritt, dienendes Mittel demſelben wird; ſo der Adler des Zeus, der Panther des Bacchus, der Delphin der Aphrodite, ſo der Kö- cher des Apollo und der Diana, der an Sonnen- und Mondesſtrahlen erinnert, der Donnerkeil des Zeus, der Dreizack des Poſeidon. Endlich aber ſetzt ſich der ſymboliſche Nachklang in die Geſtalt ſelbſt fort und ſo, daß er das Motiv zu einer Schönheit wird, entweder als unmittelbarer mit ihr ver- bundene Zierde, wie der Halbmond der Diana, die Epheu- und Trau- benguirlanden, die volleren Haarknoten, die man dem Bacchus gab, um die ſymboliſchen Stierhörner der älteſten Darſtellung zu verbergen — wie denn das Haar überhaupt und ſeine Behandlung, z. B. die ungeord- neteren Jupiter-Locken des Poſeidon, beſonders ſymboliſchen Nachklang zeigt — oder als Haltung und Charakter der Geſtalt ſelbſt und einzel- ner Organe. So war Diana zunächſt Mondsgöttin; die ahnungsvolle Wirkung der irrenden Mondſtrahlen in Wald-Einſamkeit mochte Anlaß ſein, ein anderes Weſen, einen Waldgeiſt, eine Göttin des Waldes und Wilds mit ihr zu vereinigen; in der griechiſchen Phantaſie wird nun ſo das Schlüpfende der Mondbeleuchtung, das Säuſeln, Raſcheln, Hallen und Wiederhallen im Wald zum Bilde der ſchlanken, leichtfüßigen Jägerinn, die mit ihren Nymphen und ihrer Meute durch die Wälder ſtreift. Athene iſt zunächſt das Licht, nicht als Sonne, ſondern das Leben des Lichts
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verlegt wird, ferner den Nachklang des überwundenen Ausgangspunkts
in den Myſterien als eſoteriſch gewordenen, durch ihr geheimnißvolles
Dunkel den Geiſt befangenden Culten ſymboliſcher Art, in der Aufbewah-
rung der alten Götter in der Kunſtdarſtellung, endlich in Allem dem, was
in der Darſtellung der neuen Götter an ihre Naturgrundlage mahnt.
Wir haben bereits von der individuellen Stimmung geſprochen, die ſich
als Reminiſcenz der Naturbedeutung in die Perſönlichkeit des Gottes fort-
ſetzt: die Naturgrundlage wird Naturell. Sie ſetzt ſich ebenſo, wie wir
ſahen, als Begebenheit in den Mythus fort. Hier nun zeigen die Grie-
chen ihre ganze Liebenswürdigkeit; es iſt ihr unendlicher Fortſchritt, daß
ſie den geiſtreichen Leichtſinn hatten, aus ſymboliſchen Acten Geſchichtchen
zu machen und den Grund, die urſprüngliche Bedeutung, zu vergeſſen.
Die Bedeutung iſt zum lebendigen Intereſſe des Gottes geworden, er fragt
nichts mehr nach ihr als bloßer Bedeutung. Die Metamorphoſen, die Liebesge-
ſchichten des Zeus ſind das beſte Beiſpiel. Verfeſtigt ſich nun die Perſönlich-
keit des Gottes in der Phantaſie zu beſtimmterer Geſtalt, ſo finden ſich nur
wenige Reſte ſymboliſch roher Bildung, wie die Epheſiſche Diana, die
priapiſchen Naturgötter, Ungethüme wie die Harpyien u. ſ. w. In einigen
verbeſſert der Schönheitsſinn die Zuſammenſetzung des Menſchlichen und
Thieriſchen, wie in den Faunen und Centauren. Weſentlich aber iſt, daß
das Symbol als Attribut, als thieriſcher Begleiter, als Waffe u. ſ. w.
neben die Geſtalt tritt, dienendes Mittel demſelben wird; ſo der Adler
des Zeus, der Panther des Bacchus, der Delphin der Aphrodite, ſo der Kö-
cher des Apollo und der Diana, der an Sonnen- und Mondesſtrahlen erinnert,
der Donnerkeil des Zeus, der Dreizack des Poſeidon. Endlich aber ſetzt ſich
der ſymboliſche Nachklang in die Geſtalt ſelbſt fort und ſo, daß er das
Motiv zu einer Schönheit wird, entweder als unmittelbarer mit ihr ver-
bundene Zierde, wie der Halbmond der Diana, die Epheu- und Trau-
benguirlanden, die volleren Haarknoten, die man dem Bacchus gab, um
die ſymboliſchen Stierhörner der älteſten Darſtellung zu verbergen — wie
denn das Haar überhaupt und ſeine Behandlung, z. B. die ungeord-
neteren Jupiter-Locken des Poſeidon, beſonders ſymboliſchen Nachklang
zeigt — oder als Haltung und Charakter der Geſtalt ſelbſt und einzel-
ner Organe. So war Diana zunächſt Mondsgöttin; die ahnungsvolle
Wirkung der irrenden Mondſtrahlen in Wald-Einſamkeit mochte Anlaß
ſein, ein anderes Weſen, einen Waldgeiſt, eine Göttin des Waldes und
Wilds mit ihr zu vereinigen; in der griechiſchen Phantaſie wird nun ſo
das Schlüpfende der Mondbeleuchtung, das Säuſeln, Raſcheln, Hallen
und Wiederhallen im Wald zum Bilde der ſchlanken, leichtfüßigen Jägerinn,
die mit ihren Nymphen und ihrer Meute durch die Wälder ſtreift. Athene
iſt zunächſt das Licht, nicht als Sonne, ſondern das Leben des Lichts
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/162>, abgerufen am 16.02.2025.
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