Elemente des Schönen ist die Allegorie. Sie kann sowohl gegebene Sym- bole und Mythen in dieser veränderten Verbindung ihrer Bestandtheile aus Convenienz festhalten, als auch zu alten oder neuen Bedeutungen neue Bil- der finden.
Diese Auflösung des Symbols und Mythus in Allegorie spielt bei Lebzeiten der mythischen Phantasie nur leicht am Saume hin, bei den Römern freilich mehr, als bei den Griechen. Allgemeinheiten, die ursprüng- lich nicht vergöttert waren, wurden als Personen eingeführt: Arete, Ei- rene, Plutos, Eleutheria, Momos, Phobos u. s. w., Honor, Virtus, Concordia, Fides, Victoria, Pax u. s. w. (vergl. O. Müller Handb. d. Arch. d. Kunst §. 406). Man vergesse aber nicht, daß, wo der ganze Boden des Volksbewußtseins noch mythisch ist, auch solche nachträgliche Personificationen mit der größten Leichtigkeit vollzogen werden und rasch in eine geglaubte lebendige Anschauung übergehen. Ganz anders ist es, wenn dieser ganze Boden aufgelöst, wenn die Wurzel des mythischen Geistes getödtet wird, und diese Tödtung wird durch die Ansammlung desselben an Einem Orte darum herbeigeführt, weil die alten Religionen wesentlich local sind und die Versetzung in ganz andere Erde so wenig, als Pflanzen, ertragen können. Wo nämlich viele Götterdienste zusammen sind, da entsteht nothwendig eine Vergleichung. In der guten Zeit eig- neten sich die Völker wohl auch fremde Götter an, nahmen sie aber harmlos für dieselben mit ihren eigenen und bildeten organisch daran fort, bis sie national waren. Jetzt kann von diesem unbefangenen Thun nicht mehr die Rede sein; wo so viele und so ganz verschiedenartige, zugleich aber ganz reife Religionen an Einem Orte aufeinanderstoßen, da muß die Vergleichung zu einer Trennung des Inhalts und des Bildes führen, denn da findet man nothwendig, daß Ein Inhalt von ganz verschiedenen Völkern in die verschiedensten Bilder gefaßt ist, da wird also der feste Ver- band zwischen Inhalt und Form durch Schütteln beweglich, der Kern fällt aus der Schaale, an die er fest angewachsen war. So entsteht die Allegorie, und der Ort, diese aufzuführen, ist hier und nirgends anders. Sie ist keine der Unarten und Abarten in §. 406, die irgendwie jederzeit hervortreten können; sie ist eine geschichtliche Gestalt der Phantasie und zwar eine Desorganisation derselben, sie ist, wie das Symbol noch nicht, so nicht mehr schöne Phantasie. Zunächst nun scheint es, sie sei dasselbe, wie das Symbol, nur mit einem Unterschiede des Bewußtseins. Wie nämlich in diesem das Verhältniß zwischen Bild und Idee ein äußerliches, nur durch das tertium compuratirnis vermitteltes ist, so auch in der Allegorie; aber im Symbol ist die Idee als solche in ihrer Sonderung noch nicht zum Bewußtsein gekommen, ebensowenig daher das Bild als
Elemente des Schönen iſt die Allegorie. Sie kann ſowohl gegebene Sym- bole und Mythen in dieſer veränderten Verbindung ihrer Beſtandtheile aus Convenienz feſthalten, als auch zu alten oder neuen Bedeutungen neue Bil- der finden.
Dieſe Auflöſung des Symbols und Mythus in Allegorie ſpielt bei Lebzeiten der mythiſchen Phantaſie nur leicht am Saume hin, bei den Römern freilich mehr, als bei den Griechen. Allgemeinheiten, die urſprüng- lich nicht vergöttert waren, wurden als Perſonen eingeführt: Arete, Ei- rene, Plutos, Eleutheria, Momos, Phobos u. ſ. w., Honor, Virtus, Concordia, Fides, Victoria, Pax u. ſ. w. (vergl. O. Müller Handb. d. Arch. d. Kunſt §. 406). Man vergeſſe aber nicht, daß, wo der ganze Boden des Volksbewußtſeins noch mythiſch iſt, auch ſolche nachträgliche Perſonificationen mit der größten Leichtigkeit vollzogen werden und raſch in eine geglaubte lebendige Anſchauung übergehen. Ganz anders iſt es, wenn dieſer ganze Boden aufgelöst, wenn die Wurzel des mythiſchen Geiſtes getödtet wird, und dieſe Tödtung wird durch die Anſammlung deſſelben an Einem Orte darum herbeigeführt, weil die alten Religionen weſentlich local ſind und die Verſetzung in ganz andere Erde ſo wenig, als Pflanzen, ertragen können. Wo nämlich viele Götterdienſte zuſammen ſind, da entſteht nothwendig eine Vergleichung. In der guten Zeit eig- neten ſich die Völker wohl auch fremde Götter an, nahmen ſie aber harmlos für dieſelben mit ihren eigenen und bildeten organiſch daran fort, bis ſie national waren. Jetzt kann von dieſem unbefangenen Thun nicht mehr die Rede ſein; wo ſo viele und ſo ganz verſchiedenartige, zugleich aber ganz reife Religionen an Einem Orte aufeinanderſtoßen, da muß die Vergleichung zu einer Trennung des Inhalts und des Bildes führen, denn da findet man nothwendig, daß Ein Inhalt von ganz verſchiedenen Völkern in die verſchiedenſten Bilder gefaßt iſt, da wird alſo der feſte Ver- band zwiſchen Inhalt und Form durch Schütteln beweglich, der Kern fällt aus der Schaale, an die er feſt angewachſen war. So entſteht die Allegorie, und der Ort, dieſe aufzuführen, iſt hier und nirgends anders. Sie iſt keine der Unarten und Abarten in §. 406, die irgendwie jederzeit hervortreten können; ſie iſt eine geſchichtliche Geſtalt der Phantaſie und zwar eine Desorganiſation derſelben, ſie iſt, wie das Symbol noch nicht, ſo nicht mehr ſchöne Phantaſie. Zunächſt nun ſcheint es, ſie ſei daſſelbe, wie das Symbol, nur mit einem Unterſchiede des Bewußtſeins. Wie nämlich in dieſem das Verhältniß zwiſchen Bild und Idee ein äußerliches, nur durch das tertium compuratirnis vermitteltes iſt, ſo auch in der Allegorie; aber im Symbol iſt die Idee als ſolche in ihrer Sonderung noch nicht zum Bewußtſein gekommen, ebenſowenig daher das Bild als
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Elemente des Schönen iſt die Allegorie. Sie kann ſowohl gegebene Sym-
bole und Mythen in dieſer veränderten Verbindung ihrer Beſtandtheile aus
Convenienz feſthalten, als auch zu alten oder neuen Bedeutungen neue Bil-
der finden.
Dieſe Auflöſung des Symbols und Mythus in Allegorie ſpielt bei
Lebzeiten der mythiſchen Phantaſie nur leicht am Saume hin, bei den
Römern freilich mehr, als bei den Griechen. Allgemeinheiten, die urſprüng-
lich nicht vergöttert waren, wurden als Perſonen eingeführt: Arete, Ei-
rene, Plutos, Eleutheria, Momos, Phobos u. ſ. w., Honor, Virtus,
Concordia, Fides, Victoria, Pax u. ſ. w. (vergl. O. Müller Handb. d.
Arch. d. Kunſt §. 406). Man vergeſſe aber nicht, daß, wo der ganze
Boden des Volksbewußtſeins noch mythiſch iſt, auch ſolche nachträgliche
Perſonificationen mit der größten Leichtigkeit vollzogen werden und raſch
in eine geglaubte lebendige Anſchauung übergehen. Ganz anders iſt es,
wenn dieſer ganze Boden aufgelöst, wenn die Wurzel des mythiſchen
Geiſtes getödtet wird, und dieſe Tödtung wird durch die Anſammlung
deſſelben an Einem Orte darum herbeigeführt, weil die alten Religionen
weſentlich local ſind und die Verſetzung in ganz andere Erde ſo wenig,
als Pflanzen, ertragen können. Wo nämlich viele Götterdienſte zuſammen
ſind, da entſteht nothwendig eine Vergleichung. In der guten Zeit eig-
neten ſich die Völker wohl auch fremde Götter an, nahmen ſie aber
harmlos für dieſelben mit ihren eigenen und bildeten organiſch daran fort,
bis ſie national waren. Jetzt kann von dieſem unbefangenen Thun nicht
mehr die Rede ſein; wo ſo viele und ſo ganz verſchiedenartige, zugleich
aber ganz reife Religionen an Einem Orte aufeinanderſtoßen, da muß
die Vergleichung zu einer Trennung des Inhalts und des Bildes führen,
denn da findet man nothwendig, daß Ein Inhalt von ganz verſchiedenen
Völkern in die verſchiedenſten Bilder gefaßt iſt, da wird alſo der feſte Ver-
band zwiſchen Inhalt und Form durch Schütteln beweglich, der Kern
fällt aus der Schaale, an die er feſt angewachſen war. So entſteht die
Allegorie, und der Ort, dieſe aufzuführen, iſt hier und nirgends anders.
Sie iſt keine der Unarten und Abarten in §. 406, die irgendwie jederzeit
hervortreten können; ſie iſt eine geſchichtliche Geſtalt der Phantaſie und
zwar eine Desorganiſation derſelben, ſie iſt, wie das Symbol noch nicht,
ſo nicht mehr ſchöne Phantaſie. Zunächſt nun ſcheint es, ſie ſei daſſelbe,
wie das Symbol, nur mit einem Unterſchiede des Bewußtſeins. Wie
nämlich in dieſem das Verhältniß zwiſchen Bild und Idee ein äußerliches,
nur durch das tertium compuratirnis vermitteltes iſt, ſo auch in der
Allegorie; aber im Symbol iſt die Idee als ſolche in ihrer Sonderung
noch nicht zum Bewußtſein gekommen, ebenſowenig daher das Bild als
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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/182>, abgerufen am 16.02.2025.
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