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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848.

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Menschengestalt nicht Ernst ist und da sie doch durch ihre concrete Natur
sich nicht auf ein tertium reduziren läßt, so wird das Attribut wichtiger,
als sie selbst, dieser Rest des Symbolischen am ächten Mythus wird
Hauptsache am gestorbenen; Jupiters Adler und Donnerkeil sagt mir,
daß er den Begriff des Luftraums vorstelle, da wären eigentlich diese
Attribute genug und nur ein Schelm stellt mir noch die Gestalt des Ju-
piter dazu.

Es versinken nun entweder wie die alten Symbole die Mythen in
Allegorien, wie es z. B. für uns Amor und Venus sind, oder es werden
neue Allegorien in mythischer Form ad libitum verfertigt. Virgils Göt-
ter sind eigentlich bereits allegorisch geworden, es handelt sich um den
Sinn, das Bild ist Conditor-Arbeit, Marzipan auf die Tafel, die saeva
Necessitas
des Horaz aber, die der Fortuna vorangeht, "große Balken-
nägel und Keile in der Hand tragend, auch fehlt die strenge Klammer
nicht und das flüssige Blei", ist ganz eigenes Gemächte.

Man sieht aus diesem abgeschmackten Bilde eines sonst geschmack-
vollen Dichters, daß das Interesse der Allegorie die Wahrheit und da-
her, ob sie schön sei oder nicht, zufällig ist. Frostig ist sie immer, oft
genug aber unschön und häßlich. Sie ist ferner dunkel, aber anders,
als das Symbol. Die eben angeführte Allegorie des Horaz freilich ist
gut verstehen, weil der Dichter den Namen sagt, aber der bildenden
Phantasie hingestellt könnte die Figur ebensogut den Begriff des Zimmer-
und Maurer-Handwerks oder der Pflicht u. s. w. ausdrücken; der Dich-
ter selbst darf nur die Auflösung verschweigen, so zerbricht man sich den
Kopf um die Bedeutung, denn jedes Bild hat viele Eigenschaften, deren
jede das tertium sein kann. Dieß Dunkel ist also kein ehrwürdiges, wie
das des Symbols, es ist widerwärtig, denn nicht Völkerglaube geht hier
im Dunkeln, sondern prätentiöse List des Einzelnen wirft uns in's Dunkle,
hat uns für Narren. Es ist Geheimnißthuerei, nicht Geheimniß. Ein
allegorisches Bild kann auch an sich zwar dunkel, durch Convenienz aber
deutlich sein, wie ein Weib mit dem Anker, mit der Wage, aber wenn
das Versteckensspiel dadurch wegfällt, für was noch der Umweg, die
Maskerade? Die Allegorie tritt da ein, wo eigentlich mit Entfernung
der zweiten die ursprüngliche Stoffwelt an der Zeit ist, dieß aber noch
nicht erkannt wird oder die Kraft des Einzelnen noch nicht oder nicht mehr,
wie im zweiten Theil Faust von Göthe, dazu reicht. Man sollte meinen, daß
man sich darüber in unserer Zeit nicht mehr verstreiten dürfe, aber es
gibt Leute, die einmal durchaus das Stroherne verehren müssen. Eine
besondere Frage ist, ob in den bildenden Künsten, welche auf große
Schwierigkeiten stoßen, wo die Götterwelt erstorben und ihnen so die un-
endliche Abbreviatur des Allgemeinen entzogen ist, nicht nebenher wenig-

Menſchengeſtalt nicht Ernſt iſt und da ſie doch durch ihre concrete Natur
ſich nicht auf ein tertium reduziren läßt, ſo wird das Attribut wichtiger,
als ſie ſelbſt, dieſer Reſt des Symboliſchen am ächten Mythus wird
Hauptſache am geſtorbenen; Jupiters Adler und Donnerkeil ſagt mir,
daß er den Begriff des Luftraums vorſtelle, da wären eigentlich dieſe
Attribute genug und nur ein Schelm ſtellt mir noch die Geſtalt des Ju-
piter dazu.

Es verſinken nun entweder wie die alten Symbole die Mythen in
Allegorien, wie es z. B. für uns Amor und Venus ſind, oder es werden
neue Allegorien in mythiſcher Form ad libitum verfertigt. Virgils Göt-
ter ſind eigentlich bereits allegoriſch geworden, es handelt ſich um den
Sinn, das Bild iſt Conditor-Arbeit, Marzipan auf die Tafel, die saeva
Necessitas
des Horaz aber, die der Fortuna vorangeht, „große Balken-
nägel und Keile in der Hand tragend, auch fehlt die ſtrenge Klammer
nicht und das flüſſige Blei“, iſt ganz eigenes Gemächte.

Man ſieht aus dieſem abgeſchmackten Bilde eines ſonſt geſchmack-
vollen Dichters, daß das Intereſſe der Allegorie die Wahrheit und da-
her, ob ſie ſchön ſei oder nicht, zufällig iſt. Froſtig iſt ſie immer, oft
genug aber unſchön und häßlich. Sie iſt ferner dunkel, aber anders,
als das Symbol. Die eben angeführte Allegorie des Horaz freilich iſt
gut verſtehen, weil der Dichter den Namen ſagt, aber der bildenden
Phantaſie hingeſtellt könnte die Figur ebenſogut den Begriff des Zimmer-
und Maurer-Handwerks oder der Pflicht u. ſ. w. ausdrücken; der Dich-
ter ſelbſt darf nur die Auflöſung verſchweigen, ſo zerbricht man ſich den
Kopf um die Bedeutung, denn jedes Bild hat viele Eigenſchaften, deren
jede das tertium ſein kann. Dieß Dunkel iſt alſo kein ehrwürdiges, wie
das des Symbols, es iſt widerwärtig, denn nicht Völkerglaube geht hier
im Dunkeln, ſondern prätentiöſe Liſt des Einzelnen wirft uns in’s Dunkle,
hat uns für Narren. Es iſt Geheimnißthuerei, nicht Geheimniß. Ein
allegoriſches Bild kann auch an ſich zwar dunkel, durch Convenienz aber
deutlich ſein, wie ein Weib mit dem Anker, mit der Wage, aber wenn
das Verſteckensſpiel dadurch wegfällt, für was noch der Umweg, die
Maskerade? Die Allegorie tritt da ein, wo eigentlich mit Entfernung
der zweiten die urſprüngliche Stoffwelt an der Zeit iſt, dieß aber noch
nicht erkannt wird oder die Kraft des Einzelnen noch nicht oder nicht mehr,
wie im zweiten Theil Fauſt von Göthe, dazu reicht. Man ſollte meinen, daß
man ſich darüber in unſerer Zeit nicht mehr verſtreiten dürfe, aber es
gibt Leute, die einmal durchaus das Stroherne verehren müſſen. Eine
beſondere Frage iſt, ob in den bildenden Künſten, welche auf große
Schwierigkeiten ſtoßen, wo die Götterwelt erſtorben und ihnen ſo die un-
endliche Abbreviatur des Allgemeinen entzogen iſt, nicht nebenher wenig-

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[470/0184] Menſchengeſtalt nicht Ernſt iſt und da ſie doch durch ihre concrete Natur ſich nicht auf ein tertium reduziren läßt, ſo wird das Attribut wichtiger, als ſie ſelbſt, dieſer Reſt des Symboliſchen am ächten Mythus wird Hauptſache am geſtorbenen; Jupiters Adler und Donnerkeil ſagt mir, daß er den Begriff des Luftraums vorſtelle, da wären eigentlich dieſe Attribute genug und nur ein Schelm ſtellt mir noch die Geſtalt des Ju- piter dazu. Es verſinken nun entweder wie die alten Symbole die Mythen in Allegorien, wie es z. B. für uns Amor und Venus ſind, oder es werden neue Allegorien in mythiſcher Form ad libitum verfertigt. Virgils Göt- ter ſind eigentlich bereits allegoriſch geworden, es handelt ſich um den Sinn, das Bild iſt Conditor-Arbeit, Marzipan auf die Tafel, die saeva Necessitas des Horaz aber, die der Fortuna vorangeht, „große Balken- nägel und Keile in der Hand tragend, auch fehlt die ſtrenge Klammer nicht und das flüſſige Blei“, iſt ganz eigenes Gemächte. Man ſieht aus dieſem abgeſchmackten Bilde eines ſonſt geſchmack- vollen Dichters, daß das Intereſſe der Allegorie die Wahrheit und da- her, ob ſie ſchön ſei oder nicht, zufällig iſt. Froſtig iſt ſie immer, oft genug aber unſchön und häßlich. Sie iſt ferner dunkel, aber anders, als das Symbol. Die eben angeführte Allegorie des Horaz freilich iſt gut verſtehen, weil der Dichter den Namen ſagt, aber der bildenden Phantaſie hingeſtellt könnte die Figur ebenſogut den Begriff des Zimmer- und Maurer-Handwerks oder der Pflicht u. ſ. w. ausdrücken; der Dich- ter ſelbſt darf nur die Auflöſung verſchweigen, ſo zerbricht man ſich den Kopf um die Bedeutung, denn jedes Bild hat viele Eigenſchaften, deren jede das tertium ſein kann. Dieß Dunkel iſt alſo kein ehrwürdiges, wie das des Symbols, es iſt widerwärtig, denn nicht Völkerglaube geht hier im Dunkeln, ſondern prätentiöſe Liſt des Einzelnen wirft uns in’s Dunkle, hat uns für Narren. Es iſt Geheimnißthuerei, nicht Geheimniß. Ein allegoriſches Bild kann auch an ſich zwar dunkel, durch Convenienz aber deutlich ſein, wie ein Weib mit dem Anker, mit der Wage, aber wenn das Verſteckensſpiel dadurch wegfällt, für was noch der Umweg, die Maskerade? Die Allegorie tritt da ein, wo eigentlich mit Entfernung der zweiten die urſprüngliche Stoffwelt an der Zeit iſt, dieß aber noch nicht erkannt wird oder die Kraft des Einzelnen noch nicht oder nicht mehr, wie im zweiten Theil Fauſt von Göthe, dazu reicht. Man ſollte meinen, daß man ſich darüber in unſerer Zeit nicht mehr verſtreiten dürfe, aber es gibt Leute, die einmal durchaus das Stroherne verehren müſſen. Eine beſondere Frage iſt, ob in den bildenden Künſten, welche auf große Schwierigkeiten ſtoßen, wo die Götterwelt erſtorben und ihnen ſo die un- endliche Abbreviatur des Allgemeinen entzogen iſt, nicht nebenher wenig-

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 2,2. Reutlingen u. a., 1848, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik0202_1848/184>, abgerufen am 09.11.2024.