Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.Oblongum gespannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede ist, der Oblongum geſpannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede iſt, der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <div n="8"> <p> <pb facs="#f0142" n="302"/> <hi rendition="#et">Oblongum geſpannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede iſt, der<lb/> Sophien-Kirche in Conſtantinopel, an die zwei andern Seiten ſich Räume<lb/> legen, die mit Kreuzgewölben überdeckt ſind (wie in jener polygoniſchen<lb/> Grundform der Umgang um das mittlere Rund mit einem Tonnengewölbe),<lb/> beweist nur das Unbeſtimmte des taſtenden Suchens, denn dieſe Räume,<lb/> die man entfernt mit Seitenſchiffen vergleichen kann, bilden kein Con-<lb/> tinuum und der Hauptraum hat dieſe tiefere Gliederung der Decke eben<lb/> nicht. Die Kuppel und die Halbkuppeln (an die größeren wieder kleinere<lb/> angelegt) treten hier im Aeußern hervor, während ſie in jenem Polygon-<lb/> bau noch überdacht ſind: dieß iſt wieder mehr Zugeſtändniß an den<lb/> Außenbau, während übrigens Vorhof und Vorhalle den reichen Innenbau<lb/> dort wie hier nach außen kundgeben; aber es tritt ein Aufgehäuftes, un-<lb/> klar Aufgeſchupptes in dieſen ſteigenden Anlagerungen vor das Auge, das<lb/> eben auch einen dunkel ſuchenden, thürmenden Geiſt ausſpricht. Anderswo<lb/> (auf den griechiſchen Inſeln) wird ein einfaches Oblongum kofferförmig<lb/> mit einem Tonnengewölbe bedeckt; es tritt aber auch eine reichere Form<lb/> auf: der Grundriß zeigt ein griechiſches Kreuz mit vier faſt oder ganz<lb/> gleichen Armen, die Kuppel in der Mitte, die Arme mit Tonnengewölbe<lb/> gedeckt, mit außen ſichtbarer oder (wie in Nazario e Celſo in Ravenna)<lb/> bedachter Kuppel, oder es tritt außer der Hauptkuppel auf jeden der vier Arme<lb/> eine kleine Kuppel (Apoſtelkirche in Conſtantinopel, häufig im ſpäteren<lb/> byzantiniſchen Reiche, in Italien noch in der Marcus-Kirche beibehalten);<lb/> ja der unbeſtimmte Drang, der doch die wahre Form in der Anwendung<lb/> des Kreuzgewölbes nicht finden kann, überſetzt alle Nebenräume mit kleinen<lb/> Kuppeln. Auch auf dem einfachen Quadrate bringt man mehrere Kuppeln<lb/> an und bildet durch dieſe ein Kreuz, indem man vier kleinere um eine<lb/> größere ſtellt. In Rußland bürgert ſich neben einer Form, wo vier<lb/> Kuppeln auf den Ecken eines Quadrats ſtehen, die Grundform eines<lb/> Kreuzes mit fünf Kuppeln ſtehend ein. — Alle dieſe verſchiedenen Bildungen<lb/> nun ſind ihrer Anlage nach concentriſch. Aber der Altar ſtand nicht im<lb/> Centrum (außer in der Apoſtelkirche in Conſtantinopel); er trat an die<lb/> öſtliche Seite dem Eingang gegenüber in die Apſis, die auch dieſen Bauten<lb/> nicht fehlte. Das war nun ein Widerſpruch, denn die Anlage des Ganzen<lb/> weist auf den Mittelpunct des Kreiſes, der geiſtige Mittelpunct aber be-<lb/> findet ſich an einer der Seiten. Die Symbolik der weltlichen überſpannen-<lb/> den Macht in der Kuppel will ſich noch nicht hergeben zum Uebergang in<lb/> eine Form, die ſich als jene „Bahn zum Tiſche des Herrn“ darſtellt;<lb/> gleichſam ein Bild der <hi rendition="#g">Cäſareopapie</hi>. Reicher Schmuck von Moſaik,<lb/> Goldgrund, Marmor, Malerei erhöht die Pracht dieſer Bauten, aber die<lb/> architektoniſche Ornamentik iſt auch hier nicht weiter entwickelt, ſondern<lb/> wiederholt nur die alten römiſch-griechiſchen Formen. Nur erſt ſchwach<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [302/0142]
Oblongum geſpannt; daß in dem Bau, von dem hier die Rede iſt, der
Sophien-Kirche in Conſtantinopel, an die zwei andern Seiten ſich Räume
legen, die mit Kreuzgewölben überdeckt ſind (wie in jener polygoniſchen
Grundform der Umgang um das mittlere Rund mit einem Tonnengewölbe),
beweist nur das Unbeſtimmte des taſtenden Suchens, denn dieſe Räume,
die man entfernt mit Seitenſchiffen vergleichen kann, bilden kein Con-
tinuum und der Hauptraum hat dieſe tiefere Gliederung der Decke eben
nicht. Die Kuppel und die Halbkuppeln (an die größeren wieder kleinere
angelegt) treten hier im Aeußern hervor, während ſie in jenem Polygon-
bau noch überdacht ſind: dieß iſt wieder mehr Zugeſtändniß an den
Außenbau, während übrigens Vorhof und Vorhalle den reichen Innenbau
dort wie hier nach außen kundgeben; aber es tritt ein Aufgehäuftes, un-
klar Aufgeſchupptes in dieſen ſteigenden Anlagerungen vor das Auge, das
eben auch einen dunkel ſuchenden, thürmenden Geiſt ausſpricht. Anderswo
(auf den griechiſchen Inſeln) wird ein einfaches Oblongum kofferförmig
mit einem Tonnengewölbe bedeckt; es tritt aber auch eine reichere Form
auf: der Grundriß zeigt ein griechiſches Kreuz mit vier faſt oder ganz
gleichen Armen, die Kuppel in der Mitte, die Arme mit Tonnengewölbe
gedeckt, mit außen ſichtbarer oder (wie in Nazario e Celſo in Ravenna)
bedachter Kuppel, oder es tritt außer der Hauptkuppel auf jeden der vier Arme
eine kleine Kuppel (Apoſtelkirche in Conſtantinopel, häufig im ſpäteren
byzantiniſchen Reiche, in Italien noch in der Marcus-Kirche beibehalten);
ja der unbeſtimmte Drang, der doch die wahre Form in der Anwendung
des Kreuzgewölbes nicht finden kann, überſetzt alle Nebenräume mit kleinen
Kuppeln. Auch auf dem einfachen Quadrate bringt man mehrere Kuppeln
an und bildet durch dieſe ein Kreuz, indem man vier kleinere um eine
größere ſtellt. In Rußland bürgert ſich neben einer Form, wo vier
Kuppeln auf den Ecken eines Quadrats ſtehen, die Grundform eines
Kreuzes mit fünf Kuppeln ſtehend ein. — Alle dieſe verſchiedenen Bildungen
nun ſind ihrer Anlage nach concentriſch. Aber der Altar ſtand nicht im
Centrum (außer in der Apoſtelkirche in Conſtantinopel); er trat an die
öſtliche Seite dem Eingang gegenüber in die Apſis, die auch dieſen Bauten
nicht fehlte. Das war nun ein Widerſpruch, denn die Anlage des Ganzen
weist auf den Mittelpunct des Kreiſes, der geiſtige Mittelpunct aber be-
findet ſich an einer der Seiten. Die Symbolik der weltlichen überſpannen-
den Macht in der Kuppel will ſich noch nicht hergeben zum Uebergang in
eine Form, die ſich als jene „Bahn zum Tiſche des Herrn“ darſtellt;
gleichſam ein Bild der Cäſareopapie. Reicher Schmuck von Moſaik,
Goldgrund, Marmor, Malerei erhöht die Pracht dieſer Bauten, aber die
architektoniſche Ornamentik iſt auch hier nicht weiter entwickelt, ſondern
wiederholt nur die alten römiſch-griechiſchen Formen. Nur erſt ſchwach
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