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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.

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Organ der Schöpfung der rein entsprechenden Form für die Idee tritt in
Thätigkeit und erfindet ein Werk, in welchem das vom Zwecke der bloßen
Umschließung Bedingte zum idealen Ueberflusse des Schönen sich erweitert.

Wir haben eine Stufenleiter vor uns, die im Abschnitte von den
Zweigen der Baukunst ausführlicher vorzunehmen ist: Palast (für den
einzelnen Reichen), politischer Bau (namentlich Versammlungs-Gebäude für
politische Körper), Grabmonument, Tempel. Die Diremtion ist auf der letzten,
höchsten Stufe noch da, der Bauzweck ist gegeben, allein er selbst ist ideal, ist
absolut, ist Selbstzweck; für ein absolutes Inneres stellt die Architektur eine
Hülle her, die seiner würdig sein soll. Die Stufenleiter der Hebung des
persönlichen Wesens, dem die Baukunst seine Wohnung bereiten soll, ist
in logischer, nicht historischer Folge gegeben. Die höhere Baukunst beginnt
geschichtlich mit Grabmal und Tempel, stellt dann dem Gemeinwesen
würdige Stätten des Rathes und anderweitiger Vereinigung her und erst
zuletzt geht die öffentliche Pracht zurück zu dem Leben des Einzelnen, um
ihm seinen Wohnsitz zu schmücken. Wenn wir nach der Stufenfolge
innerer Begriffs-Erweiterung den Palast voranstellen, so haben wir den
edeln Luxus im Auge, der in den Formen der Wohnung es ausdrückt,
daß hier eine Persönlichkeit weilt, welche der Nothdurft des Lebens ent-
rückt im reinen Aether der Bildung dem Genuße des Schönen lebt. Man
muß dabei vergessen, zu welcher Ironie sich dieß vielfach in der Wirklich-
keit verkehrt, und nur die wahre Bestimmung im Auge behalten, nach
welcher hier das Nöthige des gemeinen Bauens sich in das Angenehme,
von da in das Edle und Würdige steigert. Die Bauten für die ver-
sammelte politische Gemeinde, das Gericht, die höhere Schule u. s. w.
stehen aber um so viel höher, als die wahre Persönlichkeit nicht die
einzelne, sondern die Gesammtperson ist (§. 20). Wirklich fallen hier
manche Einrichtungen gemeiner Nützlichkeit, welche der Palast des
Einzelnen noch nicht entbehren kann, bereits weg, wiewohl neben
den Haupträumen, wo die höchste Würde sich concentriren muß,
untergeordnete Localitäten (Archive u. s. w.) mehr äußerlichen Zwecken
dienen. Der Uebergang zu der Todtenbehausung begründet sich einfach
darauf, daß die großen Male den abgeschiedenen Geistern hervorragen-
der Menschen gehören, die im Leben bedeutend gewesen sind für das
Gemeinwesen. Ihr geistiges, dem Gemeinen entrücktes Fortleben
verstanden die alten Völker als ein empirisches, ihre Todtenmale waren
Wohnungen; aber sie erhoben sich zugleich über dieß Mißverständniß,
indem sie über dem kleinen Todtengemach jene gewaltigen Erhebun-
gen aufführten, welche weithin in die Lande den Ruhm, die geistige
Unsterblichkeit des Abgeschiedenen verkündigten. Der große Todte und

Organ der Schöpfung der rein entſprechenden Form für die Idee tritt in
Thätigkeit und erfindet ein Werk, in welchem das vom Zwecke der bloßen
Umſchließung Bedingte zum idealen Ueberfluſſe des Schönen ſich erweitert.

Wir haben eine Stufenleiter vor uns, die im Abſchnitte von den
Zweigen der Baukunſt ausführlicher vorzunehmen iſt: Palaſt (für den
einzelnen Reichen), politiſcher Bau (namentlich Verſammlungs-Gebäude für
politiſche Körper), Grabmonument, Tempel. Die Diremtion iſt auf der letzten,
höchſten Stufe noch da, der Bauzweck iſt gegeben, allein er ſelbſt iſt ideal, iſt
abſolut, iſt Selbſtzweck; für ein abſolutes Inneres ſtellt die Architektur eine
Hülle her, die ſeiner würdig ſein ſoll. Die Stufenleiter der Hebung des
perſönlichen Weſens, dem die Baukunſt ſeine Wohnung bereiten ſoll, iſt
in logiſcher, nicht hiſtoriſcher Folge gegeben. Die höhere Baukunſt beginnt
geſchichtlich mit Grabmal und Tempel, ſtellt dann dem Gemeinweſen
würdige Stätten des Rathes und anderweitiger Vereinigung her und erſt
zuletzt geht die öffentliche Pracht zurück zu dem Leben des Einzelnen, um
ihm ſeinen Wohnſitz zu ſchmücken. Wenn wir nach der Stufenfolge
innerer Begriffs-Erweiterung den Palaſt voranſtellen, ſo haben wir den
edeln Luxus im Auge, der in den Formen der Wohnung es ausdrückt,
daß hier eine Perſönlichkeit weilt, welche der Nothdurft des Lebens ent-
rückt im reinen Aether der Bildung dem Genuße des Schönen lebt. Man
muß dabei vergeſſen, zu welcher Ironie ſich dieß vielfach in der Wirklich-
keit verkehrt, und nur die wahre Beſtimmung im Auge behalten, nach
welcher hier das Nöthige des gemeinen Bauens ſich in das Angenehme,
von da in das Edle und Würdige ſteigert. Die Bauten für die ver-
ſammelte politiſche Gemeinde, das Gericht, die höhere Schule u. ſ. w.
ſtehen aber um ſo viel höher, als die wahre Perſönlichkeit nicht die
einzelne, ſondern die Geſammtperſon iſt (§. 20). Wirklich fallen hier
manche Einrichtungen gemeiner Nützlichkeit, welche der Palaſt des
Einzelnen noch nicht entbehren kann, bereits weg, wiewohl neben
den Haupträumen, wo die höchſte Würde ſich concentriren muß,
untergeordnete Localitäten (Archive u. ſ. w.) mehr äußerlichen Zwecken
dienen. Der Uebergang zu der Todtenbehauſung begründet ſich einfach
darauf, daß die großen Male den abgeſchiedenen Geiſtern hervorragen-
der Menſchen gehören, die im Leben bedeutend geweſen ſind für das
Gemeinweſen. Ihr geiſtiges, dem Gemeinen entrücktes Fortleben
verſtanden die alten Völker als ein empiriſches, ihre Todtenmale waren
Wohnungen; aber ſie erhoben ſich zugleich über dieß Mißverſtändniß,
indem ſie über dem kleinen Todtengemach jene gewaltigen Erhebun-
gen aufführten, welche weithin in die Lande den Ruhm, die geiſtige
Unſterblichkeit des Abgeſchiedenen verkündigten. Der große Todte und

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[185/0025] Organ der Schöpfung der rein entſprechenden Form für die Idee tritt in Thätigkeit und erfindet ein Werk, in welchem das vom Zwecke der bloßen Umſchließung Bedingte zum idealen Ueberfluſſe des Schönen ſich erweitert. Wir haben eine Stufenleiter vor uns, die im Abſchnitte von den Zweigen der Baukunſt ausführlicher vorzunehmen iſt: Palaſt (für den einzelnen Reichen), politiſcher Bau (namentlich Verſammlungs-Gebäude für politiſche Körper), Grabmonument, Tempel. Die Diremtion iſt auf der letzten, höchſten Stufe noch da, der Bauzweck iſt gegeben, allein er ſelbſt iſt ideal, iſt abſolut, iſt Selbſtzweck; für ein abſolutes Inneres ſtellt die Architektur eine Hülle her, die ſeiner würdig ſein ſoll. Die Stufenleiter der Hebung des perſönlichen Weſens, dem die Baukunſt ſeine Wohnung bereiten ſoll, iſt in logiſcher, nicht hiſtoriſcher Folge gegeben. Die höhere Baukunſt beginnt geſchichtlich mit Grabmal und Tempel, ſtellt dann dem Gemeinweſen würdige Stätten des Rathes und anderweitiger Vereinigung her und erſt zuletzt geht die öffentliche Pracht zurück zu dem Leben des Einzelnen, um ihm ſeinen Wohnſitz zu ſchmücken. Wenn wir nach der Stufenfolge innerer Begriffs-Erweiterung den Palaſt voranſtellen, ſo haben wir den edeln Luxus im Auge, der in den Formen der Wohnung es ausdrückt, daß hier eine Perſönlichkeit weilt, welche der Nothdurft des Lebens ent- rückt im reinen Aether der Bildung dem Genuße des Schönen lebt. Man muß dabei vergeſſen, zu welcher Ironie ſich dieß vielfach in der Wirklich- keit verkehrt, und nur die wahre Beſtimmung im Auge behalten, nach welcher hier das Nöthige des gemeinen Bauens ſich in das Angenehme, von da in das Edle und Würdige ſteigert. Die Bauten für die ver- ſammelte politiſche Gemeinde, das Gericht, die höhere Schule u. ſ. w. ſtehen aber um ſo viel höher, als die wahre Perſönlichkeit nicht die einzelne, ſondern die Geſammtperſon iſt (§. 20). Wirklich fallen hier manche Einrichtungen gemeiner Nützlichkeit, welche der Palaſt des Einzelnen noch nicht entbehren kann, bereits weg, wiewohl neben den Haupträumen, wo die höchſte Würde ſich concentriren muß, untergeordnete Localitäten (Archive u. ſ. w.) mehr äußerlichen Zwecken dienen. Der Uebergang zu der Todtenbehauſung begründet ſich einfach darauf, daß die großen Male den abgeſchiedenen Geiſtern hervorragen- der Menſchen gehören, die im Leben bedeutend geweſen ſind für das Gemeinweſen. Ihr geiſtiges, dem Gemeinen entrücktes Fortleben verſtanden die alten Völker als ein empiriſches, ihre Todtenmale waren Wohnungen; aber ſie erhoben ſich zugleich über dieß Mißverſtändniß, indem ſie über dem kleinen Todtengemach jene gewaltigen Erhebun- gen aufführten, welche weithin in die Lande den Ruhm, die geiſtige Unſterblichkeit des Abgeſchiedenen verkündigten. Der große Todte und

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030201_1852/25>, abgerufen am 24.11.2024.