Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
der Gott sind im Glauben der Völker vielfach ineinander übergegangen;
der Gott ſind im Glauben der Völker vielfach ineinander übergegangen; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0026" n="186"/> der Gott ſind im Glauben der Völker vielfach ineinander übergegangen;<lb/> die Idee der Rückkehr in das Allgemeine und das Aufbewahrtſein im<lb/> Weltengeiſte wurde mythiſch zu einem Schwanken zwiſchen der Vorſtellung<lb/> von einem Todten und einem Gott. Die Geſchichte der Baukunſt wird<lb/> die merkwürdigſten Belege für dieſen Uebergang zwiſchen Grabmal und<lb/> Tempel geben; übrigens erinnere man ſich zunächſt an die wirkliche Ver-<lb/> ehrung hingeſchiedener Menſchen im Heroon, in der Heiligenkapelle. Im<lb/> Tempel nun aber iſt der Bauzweck erſt wirklich und ganz zum abſoluten<lb/> geworden, die Architektur hat die Aufgabe erhalten, das abſolute Haus<lb/> herzuſtellen. Der Gott wohnt, aber ohne Bedürfniſſe; ob es der Gott<lb/> des Polytheiſmus iſt, dem die Sculptur ſeine Geſtalt gibt, oder der Gott<lb/> des Monotheiſmus, der nur in der Andacht der in ſeinem Hauſe ver-<lb/> ſammelten Gemeinde gegenwärtig iſt, macht hier vorerſt keinen Unterſchied,<lb/> denn die vermehrten Cultus-Bedürfniſſe des Innenbau’s für den Gemeinde-<lb/> cultus ſind auch nur einzelne Beziehungen in einem Abſoluten, das der<lb/> Sphäre des Zwecks enthoben iſt. Die Aufgabe nun, jenes Höhere im<lb/> Palaſt, im Gebäude für öffentliche Zwecke, im Todtenmal und dieſes<lb/> Höchſte im Hauſe der Gottheit auszudrücken, befreit die Architektur zwar<lb/> nicht von der Theilung, die ihr Weſen ausmacht, ruft ſie aber auf zum<lb/><hi rendition="#g">freien</hi> Dienſte und entzündet die Phantaſie im vollen Sinne des Worts,<lb/> denn dieſe iſt ja nichts Anderes, als das Organ, durch welches die reine<lb/> Form als abſolut entſprechende Erſcheinung der Idee ſich verwirklicht.<lb/> Von einer Umſchließung im bloßen Sinne der Zweckmäßigkeit kann es<lb/> ſich jetzt nicht mehr handeln; die Säulenhallen des griechiſchen Tempels,<lb/> die hohen Gewölbe der Kirche des Mittelalters ſind (von dem Ornamente<lb/> noch ganz zu ſchweigen) gegenüber jenem nächſten Zwecke ein reiner Ueber-<lb/> fluß. An dieſem Punct angekommen können wir nun die Begriffs-<lb/> Schwierigkeiten, welche die getheilte Natur der Baukunſt mit ſich bringt,<lb/> klar erkennen und löſen. Der Eine ſagt, die ſchöne Baukunſt beginne,<lb/> wo die Beziehung der Zweckmäßigkeit aufhöre, der Andere ſetzt das Schöne<lb/> an ihr gerade in die erfüllte Zweckmäßigkeit und in der Durchführung<lb/> ihres Werks ſtellt er die Oekonomie als das höchſte, das äſthetiſche Geſetz<lb/> auf. Beide haben Recht, wenn man richtig unterſcheidet. Zweckmäßigkeit<lb/> bedeutet nämlich: erſtens die Beziehung auf einen Zweck der Nothdurft<lb/> und der bloßen Bequemlichkeit; dieſe Beziehung haben wir hinter uns<lb/> und das Wort in dieſer Bedeutung genommen hat der Erſte Recht;<lb/> zweitens die Beziehung zu einer von auswärts geſtellten Aufgabe<lb/> überhaupt, mag ſie auch an ſich eine ideale ſein, wie wir denn<lb/> jetzt eine ſolche in der Aufgabe der Verherrlichung des höchſten Geiſtes<lb/> als des die Räume erfüllenden Inhalts vor uns haben. Faßt man nun<lb/> auch bei der idealen Aufgabe das in’s Auge, daß der Dienſt hier zwar<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0026]
der Gott ſind im Glauben der Völker vielfach ineinander übergegangen;
die Idee der Rückkehr in das Allgemeine und das Aufbewahrtſein im
Weltengeiſte wurde mythiſch zu einem Schwanken zwiſchen der Vorſtellung
von einem Todten und einem Gott. Die Geſchichte der Baukunſt wird
die merkwürdigſten Belege für dieſen Uebergang zwiſchen Grabmal und
Tempel geben; übrigens erinnere man ſich zunächſt an die wirkliche Ver-
ehrung hingeſchiedener Menſchen im Heroon, in der Heiligenkapelle. Im
Tempel nun aber iſt der Bauzweck erſt wirklich und ganz zum abſoluten
geworden, die Architektur hat die Aufgabe erhalten, das abſolute Haus
herzuſtellen. Der Gott wohnt, aber ohne Bedürfniſſe; ob es der Gott
des Polytheiſmus iſt, dem die Sculptur ſeine Geſtalt gibt, oder der Gott
des Monotheiſmus, der nur in der Andacht der in ſeinem Hauſe ver-
ſammelten Gemeinde gegenwärtig iſt, macht hier vorerſt keinen Unterſchied,
denn die vermehrten Cultus-Bedürfniſſe des Innenbau’s für den Gemeinde-
cultus ſind auch nur einzelne Beziehungen in einem Abſoluten, das der
Sphäre des Zwecks enthoben iſt. Die Aufgabe nun, jenes Höhere im
Palaſt, im Gebäude für öffentliche Zwecke, im Todtenmal und dieſes
Höchſte im Hauſe der Gottheit auszudrücken, befreit die Architektur zwar
nicht von der Theilung, die ihr Weſen ausmacht, ruft ſie aber auf zum
freien Dienſte und entzündet die Phantaſie im vollen Sinne des Worts,
denn dieſe iſt ja nichts Anderes, als das Organ, durch welches die reine
Form als abſolut entſprechende Erſcheinung der Idee ſich verwirklicht.
Von einer Umſchließung im bloßen Sinne der Zweckmäßigkeit kann es
ſich jetzt nicht mehr handeln; die Säulenhallen des griechiſchen Tempels,
die hohen Gewölbe der Kirche des Mittelalters ſind (von dem Ornamente
noch ganz zu ſchweigen) gegenüber jenem nächſten Zwecke ein reiner Ueber-
fluß. An dieſem Punct angekommen können wir nun die Begriffs-
Schwierigkeiten, welche die getheilte Natur der Baukunſt mit ſich bringt,
klar erkennen und löſen. Der Eine ſagt, die ſchöne Baukunſt beginne,
wo die Beziehung der Zweckmäßigkeit aufhöre, der Andere ſetzt das Schöne
an ihr gerade in die erfüllte Zweckmäßigkeit und in der Durchführung
ihres Werks ſtellt er die Oekonomie als das höchſte, das äſthetiſche Geſetz
auf. Beide haben Recht, wenn man richtig unterſcheidet. Zweckmäßigkeit
bedeutet nämlich: erſtens die Beziehung auf einen Zweck der Nothdurft
und der bloßen Bequemlichkeit; dieſe Beziehung haben wir hinter uns
und das Wort in dieſer Bedeutung genommen hat der Erſte Recht;
zweitens die Beziehung zu einer von auswärts geſtellten Aufgabe
überhaupt, mag ſie auch an ſich eine ideale ſein, wie wir denn
jetzt eine ſolche in der Aufgabe der Verherrlichung des höchſten Geiſtes
als des die Räume erfüllenden Inhalts vor uns haben. Faßt man nun
auch bei der idealen Aufgabe das in’s Auge, daß der Dienſt hier zwar
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