Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,1. Stuttgart, 1852.
Gemeinschaftliche für beide Extreme ist also der schon in §. 553 aufge- §. 559. Als ein beziehungsweise unbewußter erscheint aber der Geist der Baukunst Es ist gewiß keine gesuchte Deutung, wenn man, ganz abgesehen
Gemeinſchaftliche für beide Extreme iſt alſo der ſchon in §. 553 aufge- §. 559. Als ein beziehungsweiſe unbewußter erſcheint aber der Geiſt der Baukunſt Es iſt gewiß keine geſuchte Deutung, wenn man, ganz abgeſehen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <div n="7"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0037" n="197"/> Gemeinſchaftliche für beide Extreme iſt alſo der ſchon in §. 553 aufge-<lb/> ſtellte Begriff der Allgemeinheit.</hi> </p> </div><lb/> <div n="7"> <head>§. 559.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Als ein beziehungsweiſe unbewußter erſcheint aber der Geiſt der Baukunſt<lb/> auch in dem Sinne, daß hier die Phantaſie des Einzelnen, wie ſie in ihrer<lb/> Beziehung zur Natur näher von der örtlichen Landſchaft dunkel beſtimmt wird,<lb/> ſo auch unmittelbarer und unwillkührlicher, als dieß nach der Auseinander-<lb/> ſetzung dieſes Verhältniſſes zu §. 379, in §. 384 und §. 416 ff. in anderen<lb/> Künſten der Fall ſein wird, von der allgemeinen Phantaſie durchdrungen iſt,<lb/> daher dieſe Kunſtform als ein beſonders mächtiger Ausdruck des geſammten<lb/> äußern und innern Lebens der Nationen erſcheint, alſo Styl vorzüglich in der<lb/> Bedeutung von §. 529 und 530 entwickelt.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Es iſt gewiß keine geſuchte Deutung, wenn man, ganz abgeſehen<lb/> von jenem allgemeinen Vorſchweben der unorganiſchen Natur, ſo wie von<lb/> dem beſtimmten Nachbilden einheimiſcher Pflanzen im Ornament, eine<lb/> dunkle Einwirkung der örtlichen landſchaftlichen Formen auf die architek-<lb/> toniſche Phantaſie findet. Den Orientalen ſchwebten in ihrem Drang nach<lb/> der Höhe ſichtbar die kühnen Felſen vor, die aus der Mitte ihrer Gebirgs-<lb/> züge nadelförmig emporſteigen, in ihren unterirdiſchen Bauen die großen<lb/> Höhlen ihrer Felsgebirge, dem Aegyptier in ſeinem ſtumpf dachloſen Bau<lb/> die kahlen Plateau-Bildungen ſeines Gebirges, allem orientaliſchen Bau<lb/> der in §. 278 geſchilderte Pflanzentypus, den Griechen und Römern die<lb/> ruhig groß hingeſteckten, ſanft geſchwungenen Formationen ihres Landes,<lb/> der Pflanzentypus §. 279, den Letzteren im Kuppelbau ſpezieller ihre<lb/> Pinien, den nördlichen Völkern in der gothiſchen Architektur ihre zackigeren<lb/> Gebirge, der Pflanzentypus §. 280, ihre pyramidalen Tannen und Fichten,<lb/> im Ornament die eckige Verzweigung und Nadeltheilung dieſer Holzarten,<lb/> in den reichgerippten Wölbungen die Veräſtung ihres Laubholzes, das<lb/> Laubdach ihrer Wälder; man darf nur nie an ein abſichtliches Nach-<lb/> ahmen denken und vollends nicht reden, als ob ſie ſo eben aus den<lb/> Wäldern als Halbwilde hervorgekrochen jene Spitzbogengewölbe ausgeführt<lb/> hätten. In der localen Natur nun bildet ſich auch der beſtimmte Volks-<lb/> geiſt aus. In der Phantaſie des beſonders begabten Einzelnen iſt immer<lb/> die Frucht der Geſammtkünſte eines Volks und Zeitalters zuſammengefaßt<lb/> (§. 423), aber die ganze Lehre von der Phantaſie hat gezeigt, daß der<lb/> einzelne Genius das inſtinctmäßige Geſammtproduct der Phantaſie erſt<lb/> zur klaren Geſtalt herausarbeitet. In der Baukunſt jedoch iſt die Selb-<lb/> ſtändigkeit dieſes Acts geringer, als in jeder andern Kunſt; der Styl im<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [197/0037]
Gemeinſchaftliche für beide Extreme iſt alſo der ſchon in §. 553 aufge-
ſtellte Begriff der Allgemeinheit.
§. 559.
Als ein beziehungsweiſe unbewußter erſcheint aber der Geiſt der Baukunſt
auch in dem Sinne, daß hier die Phantaſie des Einzelnen, wie ſie in ihrer
Beziehung zur Natur näher von der örtlichen Landſchaft dunkel beſtimmt wird,
ſo auch unmittelbarer und unwillkührlicher, als dieß nach der Auseinander-
ſetzung dieſes Verhältniſſes zu §. 379, in §. 384 und §. 416 ff. in anderen
Künſten der Fall ſein wird, von der allgemeinen Phantaſie durchdrungen iſt,
daher dieſe Kunſtform als ein beſonders mächtiger Ausdruck des geſammten
äußern und innern Lebens der Nationen erſcheint, alſo Styl vorzüglich in der
Bedeutung von §. 529 und 530 entwickelt.
Es iſt gewiß keine geſuchte Deutung, wenn man, ganz abgeſehen
von jenem allgemeinen Vorſchweben der unorganiſchen Natur, ſo wie von
dem beſtimmten Nachbilden einheimiſcher Pflanzen im Ornament, eine
dunkle Einwirkung der örtlichen landſchaftlichen Formen auf die architek-
toniſche Phantaſie findet. Den Orientalen ſchwebten in ihrem Drang nach
der Höhe ſichtbar die kühnen Felſen vor, die aus der Mitte ihrer Gebirgs-
züge nadelförmig emporſteigen, in ihren unterirdiſchen Bauen die großen
Höhlen ihrer Felsgebirge, dem Aegyptier in ſeinem ſtumpf dachloſen Bau
die kahlen Plateau-Bildungen ſeines Gebirges, allem orientaliſchen Bau
der in §. 278 geſchilderte Pflanzentypus, den Griechen und Römern die
ruhig groß hingeſteckten, ſanft geſchwungenen Formationen ihres Landes,
der Pflanzentypus §. 279, den Letzteren im Kuppelbau ſpezieller ihre
Pinien, den nördlichen Völkern in der gothiſchen Architektur ihre zackigeren
Gebirge, der Pflanzentypus §. 280, ihre pyramidalen Tannen und Fichten,
im Ornament die eckige Verzweigung und Nadeltheilung dieſer Holzarten,
in den reichgerippten Wölbungen die Veräſtung ihres Laubholzes, das
Laubdach ihrer Wälder; man darf nur nie an ein abſichtliches Nach-
ahmen denken und vollends nicht reden, als ob ſie ſo eben aus den
Wäldern als Halbwilde hervorgekrochen jene Spitzbogengewölbe ausgeführt
hätten. In der localen Natur nun bildet ſich auch der beſtimmte Volks-
geiſt aus. In der Phantaſie des beſonders begabten Einzelnen iſt immer
die Frucht der Geſammtkünſte eines Volks und Zeitalters zuſammengefaßt
(§. 423), aber die ganze Lehre von der Phantaſie hat gezeigt, daß der
einzelne Genius das inſtinctmäßige Geſammtproduct der Phantaſie erſt
zur klaren Geſtalt herausarbeitet. In der Baukunſt jedoch iſt die Selb-
ſtändigkeit dieſes Acts geringer, als in jeder andern Kunſt; der Styl im
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