Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
aber doch wird auch aus den weniger in's Einzelne durchgeführten Zügen §. 683. Die Malerei hat aber auch in diesen Gebieten ihre Grenze. Sie soll Die Verirrungen, welche der Malerei nahe liegen, sind zu §. 658
aber doch wird auch aus den weniger in’s Einzelne durchgeführten Zügen §. 683. Die Malerei hat aber auch in dieſen Gebieten ihre Grenze. Sie ſoll Die Verirrungen, welche der Malerei nahe liegen, ſind zu §. 658 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0105" n="597"/> aber doch wird auch aus den weniger in’s Einzelne durchgeführten Zügen<lb/> ein inneres Unglück, eine Empörung der Tiefe blitzen, die der Meiſel<lb/> nicht kennt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 683.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Die Malerei hat aber auch in dieſen Gebieten ihre Grenze. Sie ſoll<lb/> heftige ſinnliche Bewegung nicht mit Abſichtlichkeit aufſuchen, die Leidenſchaft<lb/> nicht zu Formen des Ausbruchs ſteigern, welche nur durch Mitwirken des<lb/> furchtbaren Tones und der wirklichen Bewegung erträglich ſind. Sie kann<lb/> durch die Mittel des Ausdrucks überhaupt keine Seelenthätigkeit darſtellen,<lb/> die nur durch Worte verſtändlich iſt, ſonſt verirrt ſie ſich in die Dichtung oder<lb/> ſogar über das Aeſthetiſche hinaus in das Gebiet des Wahren. Auch Empfin-<lb/> dungsmomente, welche ſich in die Innerlichkeit des Tons und Worts zurück-<lb/> ziehen, kann ſie nicht feſſeln, ohne ſich in den Bereich der empfindenden Phan-<lb/> taſie zu verlieren.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">Die Verirrungen, welche der Malerei nahe liegen, ſind zu §. 658<lb/> im Allgemeinen angedeutet; nach einer Seite haben wir dieſelben im<lb/> weiteren Verlaufe näher kennen gelernt: der Rückgriff in die Plaſtik hat<lb/> ſeine Erläuterung gefunden und, ſofern er in der Ueberſteigerung des<lb/> Colorits liegt, der Vorgriff in das Muſikaliſche. Der wichtigſte Theil<lb/> der Fehltritte liegt nun aber auf dem Gebiete der Bewegung und des<lb/> Ausdruckes. Die Reihe derſelben beginnt mit der zu großen Vorliebe<lb/> für heftige oder überhaupt durch Verwicklung, Verkürzungen ſchwierige<lb/> Bewegung und Stellung. Man kann zunächſt nicht ſagen, daß eine<lb/> ſolche Neigung in eine beſtimmte andere Kunſt übergreife, ſie erſcheint<lb/> einfach als einer der Puncte, wo eine an ſich berechtigte Auffaſſung und<lb/> ſtarkes Selbſtgefühl des künſtleriſchen Könnens ſich unvermerkt in Prahlerei<lb/> und Manier verrennt, wie bei M. Angelo, deſſen ſpäteres Uebermaaß<lb/> im Aufſuchen ſolcher Zeichnungs-Schwierigkeiten von der urſprünglich<lb/> wahrhaft erhabenen Gewaltigkeit und furchtbaren Bewegtheit ſeiner inner-<lb/> ſten Anſchauung ausging. Doch macht ſich in dieſer Behandlungsweiſe<lb/> allerdings auch ein Auflockern der Grenzen der ganzen Kunſtform nach<lb/> verſchiedenen Seiten hin ſichtbar. In gewiſſem Sinne nach der Seite der<lb/> Bildnerkunſt, denn obwohl derſelben Ruhe mehr entſpricht, als heftige Be-<lb/> wegung, ſo liegt doch in ſolcher Bravour, da es ſich hauptſächlich um ein<lb/> Formen-Aufzeigen handelt, etwas Plaſtiſches, ein Uebermaaß plaſtiſcher<lb/> Auffaſſungsweiſe; mehr muſikaliſch gemahnt durch die Weichheit der For-<lb/> men, die Art der Gegenſtände, des Ausdrucks, das Spiel der Verkürzun-<lb/> gen bei einem Correggio und das Meiden beſtimmter, feſter Stellungen<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [597/0105]
aber doch wird auch aus den weniger in’s Einzelne durchgeführten Zügen
ein inneres Unglück, eine Empörung der Tiefe blitzen, die der Meiſel
nicht kennt.
§. 683.
Die Malerei hat aber auch in dieſen Gebieten ihre Grenze. Sie ſoll
heftige ſinnliche Bewegung nicht mit Abſichtlichkeit aufſuchen, die Leidenſchaft
nicht zu Formen des Ausbruchs ſteigern, welche nur durch Mitwirken des
furchtbaren Tones und der wirklichen Bewegung erträglich ſind. Sie kann
durch die Mittel des Ausdrucks überhaupt keine Seelenthätigkeit darſtellen,
die nur durch Worte verſtändlich iſt, ſonſt verirrt ſie ſich in die Dichtung oder
ſogar über das Aeſthetiſche hinaus in das Gebiet des Wahren. Auch Empfin-
dungsmomente, welche ſich in die Innerlichkeit des Tons und Worts zurück-
ziehen, kann ſie nicht feſſeln, ohne ſich in den Bereich der empfindenden Phan-
taſie zu verlieren.
Die Verirrungen, welche der Malerei nahe liegen, ſind zu §. 658
im Allgemeinen angedeutet; nach einer Seite haben wir dieſelben im
weiteren Verlaufe näher kennen gelernt: der Rückgriff in die Plaſtik hat
ſeine Erläuterung gefunden und, ſofern er in der Ueberſteigerung des
Colorits liegt, der Vorgriff in das Muſikaliſche. Der wichtigſte Theil
der Fehltritte liegt nun aber auf dem Gebiete der Bewegung und des
Ausdruckes. Die Reihe derſelben beginnt mit der zu großen Vorliebe
für heftige oder überhaupt durch Verwicklung, Verkürzungen ſchwierige
Bewegung und Stellung. Man kann zunächſt nicht ſagen, daß eine
ſolche Neigung in eine beſtimmte andere Kunſt übergreife, ſie erſcheint
einfach als einer der Puncte, wo eine an ſich berechtigte Auffaſſung und
ſtarkes Selbſtgefühl des künſtleriſchen Könnens ſich unvermerkt in Prahlerei
und Manier verrennt, wie bei M. Angelo, deſſen ſpäteres Uebermaaß
im Aufſuchen ſolcher Zeichnungs-Schwierigkeiten von der urſprünglich
wahrhaft erhabenen Gewaltigkeit und furchtbaren Bewegtheit ſeiner inner-
ſten Anſchauung ausging. Doch macht ſich in dieſer Behandlungsweiſe
allerdings auch ein Auflockern der Grenzen der ganzen Kunſtform nach
verſchiedenen Seiten hin ſichtbar. In gewiſſem Sinne nach der Seite der
Bildnerkunſt, denn obwohl derſelben Ruhe mehr entſpricht, als heftige Be-
wegung, ſo liegt doch in ſolcher Bravour, da es ſich hauptſächlich um ein
Formen-Aufzeigen handelt, etwas Plaſtiſches, ein Uebermaaß plaſtiſcher
Auffaſſungsweiſe; mehr muſikaliſch gemahnt durch die Weichheit der For-
men, die Art der Gegenſtände, des Ausdrucks, das Spiel der Verkürzun-
gen bei einem Correggio und das Meiden beſtimmter, feſter Stellungen
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