Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
lich der Luft und der Erde, unterschieden haben, so wird nun in der §. 705. Hiemit eröffnet sich denn auch in ihrem ganzen Gewichte die Unterschei-1. 1. Nun erst belebt sich vor unsern Augen das Psychologische, wie es,
lich der Luft und der Erde, unterſchieden haben, ſo wird nun in der §. 705. Hiemit eröffnet ſich denn auch in ihrem ganzen Gewichte die Unterſchei-1. 1. Nun erſt belebt ſich vor unſern Augen das Pſychologiſche, wie es, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0177" n="669"/> lich der Luft und der Erde, unterſchieden haben, ſo wird nun in der<lb/> zweiten Gruppe das Seelenleben, das Innere, in der erſten das Außere,<lb/> die Culturform zum Hauptgegenſtande der Darſtellung: dort die geiſtige<lb/> Luft, hier die Erde der äußern Bedingungen. Der Gegenſatz iſt natürlich<lb/> nicht abſtract zu nehmen: es fehlt weder dort das Intereſſe für die äußern<lb/> Formen, noch hier für das Seelenleben, aber jene Formen erſcheinen<lb/> ſelbſt reflectirter, verfeinerter, geiſtig durchdrungener und dieß Seelenleben<lb/> iſt das einfache, gediegene, naturbefriedigte, inſtinctmäßige des Sohnes<lb/> der Natur. Es leuchtet ferner ein, daß bei der erſten Gruppe die Schön-<lb/> heit der Geſtalt an ſich, die anthropologiſchen Unterſchiede des Geſchlechts,<lb/> Alters, die unmittelbar ſinnlichen Zuſtände (§. 317—321) eine größere<lb/> Rolle ſpielen, das Kunſt-Intereſſe mehr für ſich, auch ohne ſpeziellere<lb/> Beziehung in Anſpruch nehmen. In der zweiten iſt es gerade die feinere<lb/> Gründlichkeit der pſychologiſchen Beobachtung, welche zugleich alles An-<lb/> hängende, worin ſolche Sitte, ſolches Seelenleben der gebildeten Stände<lb/> ſich erzeugt, mit beſonderer Aufmerkſamkeit erfaßt.</hi> </p> </div><lb/> <div n="4"> <head>§. 705.</head><lb/> <p> <hi rendition="#fr">Hiemit eröffnet ſich denn auch in ihrem ganzen Gewichte die Unterſchei-<note place="right">1.</note><lb/> dung des <hi rendition="#g">Moments</hi> und des damit verbundenen <hi rendition="#g">Grads des Umfangs</hi>. Der<lb/> Fortgang von der ruhigen zu der innerlich bewegten, leidenſchaftlich geſpannten,<lb/> ſtürmiſch ausgebrochenen Situation verbindet ſich in mannigfaltiger Weiſe mit dem<lb/> von der einzelnen Figur zu der kleineren, der größeren Gruppe und der Maſſen-<lb/> darſtellung. Das <hi rendition="#g">Schlachtbild</hi> vereinigt maſſenhafte Compoſition und ſtürmi-<lb/> ſchen Ausbruch. Dieſer Unterſchied ſteht in der innigſten Beziehung mit dem<note place="right">2.</note><lb/> des <hi rendition="#g">Lyriſchen, Epiſchen, Dramatiſchen</hi>, wie er innerhalb des epiſchen<lb/> Standpuncts ſich geltend macht. Ferner tritt in klarer Scheidung nun auch das<note place="right">3.</note><lb/><hi rendition="#g">einfach Schöne, Erhabene</hi> und <hi rendition="#g">Komiſche</hi> auseinander.</hi> </p><lb/> <p> <hi rendition="#et">1. Nun erſt belebt ſich vor unſern Augen das Pſychologiſche, wie es,<lb/> obwohl mit verſchiedenem Accent, in beiden Gruppen zur Darſtellung<lb/> kommt, indem der Grundzug aller Sittenmalerei, die Erhaſchung des<lb/> Moments und damit die Unterſchiede der Situation zur Betrachtung kom-<lb/> men. Wie der Blitz eine dunkle Landſchaft beleuchtet, wie wir im Fluge<lb/> der Eiſenbahn einen Blick in eine Dachkammer werfen und das mit Win-<lb/> deseile aufgegriffene Bild im Innern bewahren, erfaßt der Sittenmaler<lb/> im Nu das menſchliche Leben in ſeiner Naivetät, in der es ſich unbelauſcht<lb/> gehen läßt. Was Einer für ein Geſicht macht, wenn er eine Feder ſchnei-<lb/> det, den Puls greift, eine Priſe nimmt, als Pfannenflicker eine Pfanne<lb/> ſtudirt u. ſ. w.: Alles das wollen wir auch einmal ſehen, ſoll und muß<lb/></hi> </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [669/0177]
lich der Luft und der Erde, unterſchieden haben, ſo wird nun in der
zweiten Gruppe das Seelenleben, das Innere, in der erſten das Außere,
die Culturform zum Hauptgegenſtande der Darſtellung: dort die geiſtige
Luft, hier die Erde der äußern Bedingungen. Der Gegenſatz iſt natürlich
nicht abſtract zu nehmen: es fehlt weder dort das Intereſſe für die äußern
Formen, noch hier für das Seelenleben, aber jene Formen erſcheinen
ſelbſt reflectirter, verfeinerter, geiſtig durchdrungener und dieß Seelenleben
iſt das einfache, gediegene, naturbefriedigte, inſtinctmäßige des Sohnes
der Natur. Es leuchtet ferner ein, daß bei der erſten Gruppe die Schön-
heit der Geſtalt an ſich, die anthropologiſchen Unterſchiede des Geſchlechts,
Alters, die unmittelbar ſinnlichen Zuſtände (§. 317—321) eine größere
Rolle ſpielen, das Kunſt-Intereſſe mehr für ſich, auch ohne ſpeziellere
Beziehung in Anſpruch nehmen. In der zweiten iſt es gerade die feinere
Gründlichkeit der pſychologiſchen Beobachtung, welche zugleich alles An-
hängende, worin ſolche Sitte, ſolches Seelenleben der gebildeten Stände
ſich erzeugt, mit beſonderer Aufmerkſamkeit erfaßt.
§. 705.
Hiemit eröffnet ſich denn auch in ihrem ganzen Gewichte die Unterſchei-
dung des Moments und des damit verbundenen Grads des Umfangs. Der
Fortgang von der ruhigen zu der innerlich bewegten, leidenſchaftlich geſpannten,
ſtürmiſch ausgebrochenen Situation verbindet ſich in mannigfaltiger Weiſe mit dem
von der einzelnen Figur zu der kleineren, der größeren Gruppe und der Maſſen-
darſtellung. Das Schlachtbild vereinigt maſſenhafte Compoſition und ſtürmi-
ſchen Ausbruch. Dieſer Unterſchied ſteht in der innigſten Beziehung mit dem
des Lyriſchen, Epiſchen, Dramatiſchen, wie er innerhalb des epiſchen
Standpuncts ſich geltend macht. Ferner tritt in klarer Scheidung nun auch das
einfach Schöne, Erhabene und Komiſche auseinander.
1. Nun erſt belebt ſich vor unſern Augen das Pſychologiſche, wie es,
obwohl mit verſchiedenem Accent, in beiden Gruppen zur Darſtellung
kommt, indem der Grundzug aller Sittenmalerei, die Erhaſchung des
Moments und damit die Unterſchiede der Situation zur Betrachtung kom-
men. Wie der Blitz eine dunkle Landſchaft beleuchtet, wie wir im Fluge
der Eiſenbahn einen Blick in eine Dachkammer werfen und das mit Win-
deseile aufgegriffene Bild im Innern bewahren, erfaßt der Sittenmaler
im Nu das menſchliche Leben in ſeiner Naivetät, in der es ſich unbelauſcht
gehen läßt. Was Einer für ein Geſicht macht, wenn er eine Feder ſchnei-
det, den Puls greift, eine Priſe nimmt, als Pfannenflicker eine Pfanne
ſtudirt u. ſ. w.: Alles das wollen wir auch einmal ſehen, ſoll und muß
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