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Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.

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die Kunst auch fixiren. Wir haben nun folgende Stufenleiter vor uns:
ruhiges, einfaches Sein und Weben des Gemüths bei harmloser Beschäf-
tigung: Fischen, auf dem Anstand Stehen, Pflügen, Aerndten, Spitzenklöp-
peln, sich Kleiden, Lesen Schreiben u. s. f., oder im reinen, träumerischen
Nichtsthun, Hinausblicken in's Weite u. s. w.; subjectiv bewegterer Zu-
stand, und zwar entweder mehr naiv, nach Außen geöffnet in geselliger
Freude, Schmauß, Tanz, Festvergnügen u. dgl., oder innerlich concentrirt
und gespannt, wie in einem liebenden, harrenden, träumenden Mädchen
oder in Familienscenen, die etwas bedenklich aussehen, wie der Verweis
des Vaters von Terburg; zum Drohenden gespannt, wo Gefahr bereitet
oder ihr entgegengesehen wird, wo der Räuber lauert, der falsche Spieler
betrügt, der Verführer lockt, wilde Thiere, Wasser und Feuer Zerstörung
drohen; endlich der Ausbruch der Leidenschaften in Schlägerei, Mord,
verderblichem Kampfe mit den Naturkräften, blutiger Jagd, Schlacht,
Leiden durch Armuth, Pfändung, Scenen der Justiz, Krankheit, Tod in
allen Formen; doch es ist nicht blos von Zorn und Leiden die Rede,
auch Freude und Aufregung, die zwischen Freude und Leid schwankt oder
sich nach verschiedenen Seiten in sie theilt, wie bei Testaments-Oeffnungen,
Liebes-Werbung neben Rivalen, und unendliche andere Formen des reich
gemischten menschlichen Schicksals gehören hieher. Neben dieser Reihe
von Unterschieden läuft nun in den verschiedensten Durchkreuzungen die
andere hin, die der §. nennt, wobei zugleich die Wechselbeziehung mit dem
Unterschiede der in §. 704 aufgestellten Sphären wichtig ist. Die dem
Naturleben enger verbundene, patriarchalische Form nämlich wird natur-
gemäß meist, wiewohl nicht immer, in massenhaften Gruppen vor uns
auftreten, denn das Instinctleben ist ein Leben in großer Gemeinschaft;
die feinere Schichte dagegen wird, wiewohl ebenfalls keineswegs noth-
wendig und immer, in vereinzelten Figuren und kleineren Gruppen sich
darstellen, denn das mehr innerliche Leben zieht sich gern in die Einsam-
keit oder die Gesellschaft Weniger, den gemüthlichen Kreis der Freunde,
der Familie zurück. Scenen der Aufregung bedingen in beiderlei Formen
des Sittenbilds Vielheit der Figuren, größere Composition. Der §. nennt
aus dieser Sphäre das Schlachtbild ausdrücklich, weil es das einzige
ist, das mit stehendem Namen sich hervorhebt. Wir werden ihm noch
einmal begegnen, im geschichtlichen Gebiete; hier handelt es sich um Bil-
der des Kriegs, wo es auf den Ausdruck der Leidenschaft, Bewaffnung,
Kampfesweise überhaupt, nicht auf eine bestimmte geschichtliche Entschei-
dung ankommt.

2. Alles Sittenbild ist episch, aber auf dem epischen Boden wieder-
holen sich noch einmal die Unterschiede des Epischen, Lyrischen, Dramati-
schen. Das Epische im Epischen tritt da zu Tage, wo vorzüglich das

die Kunſt auch fixiren. Wir haben nun folgende Stufenleiter vor uns:
ruhiges, einfaches Sein und Weben des Gemüths bei harmloſer Beſchäf-
tigung: Fiſchen, auf dem Anſtand Stehen, Pflügen, Aerndten, Spitzenklöp-
peln, ſich Kleiden, Leſen Schreiben u. ſ. f., oder im reinen, träumeriſchen
Nichtsthun, Hinausblicken in’s Weite u. ſ. w.; ſubjectiv bewegterer Zu-
ſtand, und zwar entweder mehr naiv, nach Außen geöffnet in geſelliger
Freude, Schmauß, Tanz, Feſtvergnügen u. dgl., oder innerlich concentrirt
und geſpannt, wie in einem liebenden, harrenden, träumenden Mädchen
oder in Familienſcenen, die etwas bedenklich ausſehen, wie der Verweis
des Vaters von Terburg; zum Drohenden geſpannt, wo Gefahr bereitet
oder ihr entgegengeſehen wird, wo der Räuber lauert, der falſche Spieler
betrügt, der Verführer lockt, wilde Thiere, Waſſer und Feuer Zerſtörung
drohen; endlich der Ausbruch der Leidenſchaften in Schlägerei, Mord,
verderblichem Kampfe mit den Naturkräften, blutiger Jagd, Schlacht,
Leiden durch Armuth, Pfändung, Scenen der Juſtiz, Krankheit, Tod in
allen Formen; doch es iſt nicht blos von Zorn und Leiden die Rede,
auch Freude und Aufregung, die zwiſchen Freude und Leid ſchwankt oder
ſich nach verſchiedenen Seiten in ſie theilt, wie bei Teſtaments-Oeffnungen,
Liebes-Werbung neben Rivalen, und unendliche andere Formen des reich
gemiſchten menſchlichen Schickſals gehören hieher. Neben dieſer Reihe
von Unterſchieden läuft nun in den verſchiedenſten Durchkreuzungen die
andere hin, die der §. nennt, wobei zugleich die Wechſelbeziehung mit dem
Unterſchiede der in §. 704 aufgeſtellten Sphären wichtig iſt. Die dem
Naturleben enger verbundene, patriarchaliſche Form nämlich wird natur-
gemäß meiſt, wiewohl nicht immer, in maſſenhaften Gruppen vor uns
auftreten, denn das Inſtinctleben iſt ein Leben in großer Gemeinſchaft;
die feinere Schichte dagegen wird, wiewohl ebenfalls keineswegs noth-
wendig und immer, in vereinzelten Figuren und kleineren Gruppen ſich
darſtellen, denn das mehr innerliche Leben zieht ſich gern in die Einſam-
keit oder die Geſellſchaft Weniger, den gemüthlichen Kreis der Freunde,
der Familie zurück. Scenen der Aufregung bedingen in beiderlei Formen
des Sittenbilds Vielheit der Figuren, größere Compoſition. Der §. nennt
aus dieſer Sphäre das Schlachtbild ausdrücklich, weil es das einzige
iſt, das mit ſtehendem Namen ſich hervorhebt. Wir werden ihm noch
einmal begegnen, im geſchichtlichen Gebiete; hier handelt es ſich um Bil-
der des Kriegs, wo es auf den Ausdruck der Leidenſchaft, Bewaffnung,
Kampfesweiſe überhaupt, nicht auf eine beſtimmte geſchichtliche Entſchei-
dung ankommt.

2. Alles Sittenbild iſt epiſch, aber auf dem epiſchen Boden wieder-
holen ſich noch einmal die Unterſchiede des Epiſchen, Lyriſchen, Dramati-
ſchen. Das Epiſche im Epiſchen tritt da zu Tage, wo vorzüglich das

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[670/0178] die Kunſt auch fixiren. Wir haben nun folgende Stufenleiter vor uns: ruhiges, einfaches Sein und Weben des Gemüths bei harmloſer Beſchäf- tigung: Fiſchen, auf dem Anſtand Stehen, Pflügen, Aerndten, Spitzenklöp- peln, ſich Kleiden, Leſen Schreiben u. ſ. f., oder im reinen, träumeriſchen Nichtsthun, Hinausblicken in’s Weite u. ſ. w.; ſubjectiv bewegterer Zu- ſtand, und zwar entweder mehr naiv, nach Außen geöffnet in geſelliger Freude, Schmauß, Tanz, Feſtvergnügen u. dgl., oder innerlich concentrirt und geſpannt, wie in einem liebenden, harrenden, träumenden Mädchen oder in Familienſcenen, die etwas bedenklich ausſehen, wie der Verweis des Vaters von Terburg; zum Drohenden geſpannt, wo Gefahr bereitet oder ihr entgegengeſehen wird, wo der Räuber lauert, der falſche Spieler betrügt, der Verführer lockt, wilde Thiere, Waſſer und Feuer Zerſtörung drohen; endlich der Ausbruch der Leidenſchaften in Schlägerei, Mord, verderblichem Kampfe mit den Naturkräften, blutiger Jagd, Schlacht, Leiden durch Armuth, Pfändung, Scenen der Juſtiz, Krankheit, Tod in allen Formen; doch es iſt nicht blos von Zorn und Leiden die Rede, auch Freude und Aufregung, die zwiſchen Freude und Leid ſchwankt oder ſich nach verſchiedenen Seiten in ſie theilt, wie bei Teſtaments-Oeffnungen, Liebes-Werbung neben Rivalen, und unendliche andere Formen des reich gemiſchten menſchlichen Schickſals gehören hieher. Neben dieſer Reihe von Unterſchieden läuft nun in den verſchiedenſten Durchkreuzungen die andere hin, die der §. nennt, wobei zugleich die Wechſelbeziehung mit dem Unterſchiede der in §. 704 aufgeſtellten Sphären wichtig iſt. Die dem Naturleben enger verbundene, patriarchaliſche Form nämlich wird natur- gemäß meiſt, wiewohl nicht immer, in maſſenhaften Gruppen vor uns auftreten, denn das Inſtinctleben iſt ein Leben in großer Gemeinſchaft; die feinere Schichte dagegen wird, wiewohl ebenfalls keineswegs noth- wendig und immer, in vereinzelten Figuren und kleineren Gruppen ſich darſtellen, denn das mehr innerliche Leben zieht ſich gern in die Einſam- keit oder die Geſellſchaft Weniger, den gemüthlichen Kreis der Freunde, der Familie zurück. Scenen der Aufregung bedingen in beiderlei Formen des Sittenbilds Vielheit der Figuren, größere Compoſition. Der §. nennt aus dieſer Sphäre das Schlachtbild ausdrücklich, weil es das einzige iſt, das mit ſtehendem Namen ſich hervorhebt. Wir werden ihm noch einmal begegnen, im geſchichtlichen Gebiete; hier handelt es ſich um Bil- der des Kriegs, wo es auf den Ausdruck der Leidenſchaft, Bewaffnung, Kampfesweiſe überhaupt, nicht auf eine beſtimmte geſchichtliche Entſchei- dung ankommt. 2. Alles Sittenbild iſt epiſch, aber auf dem epiſchen Boden wieder- holen ſich noch einmal die Unterſchiede des Epiſchen, Lyriſchen, Dramati- ſchen. Das Epiſche im Epiſchen tritt da zu Tage, wo vorzüglich das

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854, S. 670. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_aesthetik030203_1854/178>, abgerufen am 18.12.2024.