Vischer, Friedrich Theodor von: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen. Bd. 3,2,3. Stuttgart, 1854.
sprechende Form der sanften Grazie; nach dieser Seite hat er in Mailand So sehen wir denn in diesem großen Lehrmeister der Blüthezeit vor 47*
ſprechende Form der ſanften Grazie; nach dieſer Seite hat er in Mailand So ſehen wir denn in dieſem großen Lehrmeiſter der Blüthezeit vor 47*
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ſprechende Form der ſanften Grazie; nach dieſer Seite hat er in Mailand
ein dem umbriſchen verwandtes, nur weniger myſtiſches Element des Aus-
drucks rührend milder, durch ein unſagbares Lächeln bezaubernder Schönheit
der Seele vorgefunden, das in ſeiner reichen Bruſt den einſtimmenden
Klang traf und verſtärkte; was die Farbe betrifft, ſo iſt er freilich kälter,
als die Umbrier, aber fein, ſorgfältig und gründlicher Forſcher des Hell-
dunkels. Weiblich ſanft in dieſem Gebiete der Anmuth iſt er zugleich
ganz Mann. Die große Charaktergruppe, die Handlung als ein ent-
brannter Kampf kriegeriſcher Kräfte, die tief tragiſche Situation iſt ebenſoſehr
ſein Element, als die ſtille Gruppe aus dem Liebeleben der h. Familie,
und zwiſchen den energiſchen Männergeſtalten des h. Abendmahls ſehen
wir das Ideal der Milde und Seelenſchönheit in Chriſtus und Johannes.
Hier der Maler des intenſiv geſchloſſenen Gemüthskerns iſt er dort der
Meiſter der reichſten Expanſion. Er iſt es nun aber vorzüglich, der jene
Charakterſchärfe in Zügen des Affects und der Individualität, welche ſchon
ſeine Vorgänger in die reine Linie der Zeichnung einzuführen begannen,
zu dem vollen Maaße forbildet, das der plaſtiſch maleriſche Styl erträgt.
Seine Caricaturen ſind Zeugen davon, wie er das Charakteriſtiſche durch
Ueberladung ſich klar macht, um der flachen Allgemeinheit zu entgehen;
das Porträt, das nun immer ſtärker in die Bedeutung einrückt, die wir
ihm zugeſchrieben, unterſtützt ihn in dieſer Richtung auf das Beſtimmte
und Individuelle. So erzeugt er eine Fülle von Charaktergeſtalten, die
er, darin wieder ganz Florentiner, durch wunderbare Weisheit rhythmiſcher
Compoſition zuſammenhält. Seine Nachwirkungen in Mailand äußern
ſich darin, daß jener Zug ſüßen, weiblichen Seelenzaubers nun durch die
Klarheit der reifen Zeichnung es vermag, die liebliche Dämmerung des
Gemüths in den hellen Tag der Gegenwart zu ſtellen; wir nennen unter
den Meiſtern dieſes Styls nur den herrlichen Bernardino Luini.
So ſehen wir denn in dieſem großen Lehrmeiſter der Blüthezeit vor
Allem die Kraft ausgeſprochen, Gegenſätze zu verſchmelzen. Und dieſe
Macht der Concretion, die ein Hauptmerkmal des Genius iſt, ſoll in noch
höherer Potenz auftreten. Aber ehe dieß geſchieht, wirft der Geiſt der
Geſchichte noch einmal eine einſeitige Kraft wie einen mächtigen, gewal-
tigen Aſt aus ſeinem Stamme und dieſe Erſcheinung bewirkt, daß die
Krone des Baums, die folgende höchſte Einheit, ſelbſt wieder auf die
eine Seite eines Gegenſatzes zu fallen ſcheint, ja in gewiſſem Sinne
wirklich fällt. Dieß iſt das Schwierige, was die Vergleichung des M.
Angelo und Raphael leicht verwirrt. In welchem Sinne M. Angelo
plaſtiſcher Maler iſt, haben wir zu §. 681 bereits zur Sprache gebracht.
Er iſt trotz der Zurückſtellung des Farben-Elements, das er zwar für
ſeinen Zweck tiefer durchbildet, als es ſcheint, maleriſch durch ſeine
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