Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre Spindel stand still und sie sagte nur die zwei
Worte: "Wieder das?" "O was ist's denn weiter
auch?" erwiderte das Mädchen und wandte sich nun
zu den Kindern, die nach Abendbrod verlangten. Nicht
so zierlich wie Werther's Lotte theilte sie mit einem
Steinmeißel einen dunkeln Brodlaib, dessen Rinde in
der That ziemlich kohlich und dessen Substanz eben
nicht so weiß und porös aussah wie bei unserem
leichtverdaulichen Brod, in wenig regelmäßige Schnit¬
ten; der Leser begreift, daß Messerklingen von ge¬
nügender Länge aus Stein nicht herzustellen waren, so
mußte denn bei Körpern, die für ein Holzmesser zu
hart waren, der Meißel die Stelle versehen; man darf
übrigens zugeben, daß Sigune den Druck oder Stoß
von oben, womit er gehandhabt wird, mit so viel Grazie
ausübt, als irgend mit dieser gröberen Bewegung ver¬
einbar ist. Sie nimmt hierauf mit einem Holzlöffel
Butter aus einem thönernen Napf, dessen Hals einige
aufgemalte Zickzack-Linien einfach genug verzieren,
streicht sie mit dem spatelförmigen Stiele zierlich auf
die Brode und sagt dann: "Wartet, weil ihr ordent¬
lich brav gewesen, sollt ihr einen Vorschmack vom
Fest haben." Sie holt noch einen andern Topf vom
Borde und schöpft daraus einen braunen Stoff, bei
dessen Anblick die Kinder jubeln: es ist ein Mus
von verkochten Apfelschnitzen mit etwas Zusatz von
Honig. "Gsälz! Gsälz!" riefen die Kinder und konnten

ihre Spindel ſtand ſtill und ſie ſagte nur die zwei
Worte: „Wieder das?“ „O was iſt's denn weiter
auch?“ erwiderte das Mädchen und wandte ſich nun
zu den Kindern, die nach Abendbrod verlangten. Nicht
ſo zierlich wie Werther's Lotte theilte ſie mit einem
Steinmeißel einen dunkeln Brodlaib, deſſen Rinde in
der That ziemlich kohlich und deſſen Subſtanz eben
nicht ſo weiß und porös ausſah wie bei unſerem
leichtverdaulichen Brod, in wenig regelmäßige Schnit¬
ten; der Leſer begreift, daß Meſſerklingen von ge¬
nügender Länge aus Stein nicht herzuſtellen waren, ſo
mußte denn bei Körpern, die für ein Holzmeſſer zu
hart waren, der Meißel die Stelle verſehen; man darf
übrigens zugeben, daß Sigune den Druck oder Stoß
von oben, womit er gehandhabt wird, mit ſo viel Grazie
ausübt, als irgend mit dieſer gröberen Bewegung ver¬
einbar iſt. Sie nimmt hierauf mit einem Holzlöffel
Butter aus einem thönernen Napf, deſſen Hals einige
aufgemalte Zickzack-Linien einfach genug verzieren,
ſtreicht ſie mit dem ſpatelförmigen Stiele zierlich auf
die Brode und ſagt dann: „Wartet, weil ihr ordent¬
lich brav geweſen, ſollt ihr einen Vorſchmack vom
Feſt haben.“ Sie holt noch einen andern Topf vom
Borde und ſchöpft daraus einen braunen Stoff, bei
deſſen Anblick die Kinder jubeln: es iſt ein Mus
von verkochten Apfelſchnitzen mit etwas Zuſatz von
Honig. „Gſälz! Gſälz!“ riefen die Kinder und konnten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0145" n="132"/>
ihre Spindel &#x017F;tand &#x017F;till und &#x017F;ie &#x017F;agte nur die zwei<lb/>
Worte: &#x201E;Wieder das?&#x201C; &#x201E;O was i&#x017F;t's denn weiter<lb/>
auch?&#x201C; erwiderte das Mädchen und wandte &#x017F;ich nun<lb/>
zu den Kindern, die nach Abendbrod verlangten. Nicht<lb/>
&#x017F;o zierlich wie Werther's Lotte theilte &#x017F;ie mit einem<lb/>
Steinmeißel einen dunkeln Brodlaib, de&#x017F;&#x017F;en Rinde in<lb/>
der That ziemlich kohlich und de&#x017F;&#x017F;en Sub&#x017F;tanz eben<lb/>
nicht &#x017F;o weiß und porös aus&#x017F;ah wie bei un&#x017F;erem<lb/>
leichtverdaulichen Brod, in wenig regelmäßige Schnit¬<lb/>
ten; der Le&#x017F;er begreift, daß Me&#x017F;&#x017F;erklingen von ge¬<lb/>
nügender Länge aus Stein nicht herzu&#x017F;tellen waren, &#x017F;o<lb/>
mußte denn bei Körpern, die für ein Holzme&#x017F;&#x017F;er zu<lb/>
hart waren, der Meißel die Stelle ver&#x017F;ehen; man darf<lb/>
übrigens zugeben, daß Sigune den Druck oder Stoß<lb/>
von oben, womit er gehandhabt wird, mit &#x017F;o viel Grazie<lb/>
ausübt, als irgend mit die&#x017F;er gröberen Bewegung ver¬<lb/>
einbar i&#x017F;t. Sie nimmt hierauf mit einem Holzlöffel<lb/>
Butter aus einem thönernen Napf, de&#x017F;&#x017F;en Hals einige<lb/>
aufgemalte Zickzack-Linien einfach genug verzieren,<lb/>
&#x017F;treicht &#x017F;ie mit dem &#x017F;patelförmigen Stiele zierlich auf<lb/>
die Brode und &#x017F;agt dann: &#x201E;Wartet, weil ihr ordent¬<lb/>
lich brav gewe&#x017F;en, &#x017F;ollt ihr einen Vor&#x017F;chmack vom<lb/>
Fe&#x017F;t haben.&#x201C; Sie holt noch einen andern Topf vom<lb/>
Borde und &#x017F;chöpft daraus einen braunen Stoff, bei<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en Anblick die Kinder jubeln: es i&#x017F;t ein Mus<lb/>
von verkochten Apfel&#x017F;chnitzen mit etwas Zu&#x017F;atz von<lb/>
Honig. &#x201E;G&#x017F;älz! G&#x017F;älz!&#x201C; riefen die Kinder und konnten<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[132/0145] ihre Spindel ſtand ſtill und ſie ſagte nur die zwei Worte: „Wieder das?“ „O was iſt's denn weiter auch?“ erwiderte das Mädchen und wandte ſich nun zu den Kindern, die nach Abendbrod verlangten. Nicht ſo zierlich wie Werther's Lotte theilte ſie mit einem Steinmeißel einen dunkeln Brodlaib, deſſen Rinde in der That ziemlich kohlich und deſſen Subſtanz eben nicht ſo weiß und porös ausſah wie bei unſerem leichtverdaulichen Brod, in wenig regelmäßige Schnit¬ ten; der Leſer begreift, daß Meſſerklingen von ge¬ nügender Länge aus Stein nicht herzuſtellen waren, ſo mußte denn bei Körpern, die für ein Holzmeſſer zu hart waren, der Meißel die Stelle verſehen; man darf übrigens zugeben, daß Sigune den Druck oder Stoß von oben, womit er gehandhabt wird, mit ſo viel Grazie ausübt, als irgend mit dieſer gröberen Bewegung ver¬ einbar iſt. Sie nimmt hierauf mit einem Holzlöffel Butter aus einem thönernen Napf, deſſen Hals einige aufgemalte Zickzack-Linien einfach genug verzieren, ſtreicht ſie mit dem ſpatelförmigen Stiele zierlich auf die Brode und ſagt dann: „Wartet, weil ihr ordent¬ lich brav geweſen, ſollt ihr einen Vorſchmack vom Feſt haben.“ Sie holt noch einen andern Topf vom Borde und ſchöpft daraus einen braunen Stoff, bei deſſen Anblick die Kinder jubeln: es iſt ein Mus von verkochten Apfelſchnitzen mit etwas Zuſatz von Honig. „Gſälz! Gſälz!“ riefen die Kinder und konnten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/145
Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/145>, abgerufen am 22.12.2024.