in der offenen, luftdurchzognen Halle verweilte, habe ich mir einen meiner bösesten Schnupfen geholt. Wo soll man die Stimmung herbringen, ein solches Gemälde froh zu betrachten, zu bewundern? -- Was wir dagegen aus dem klassischen Baustyl allerdings entlehnen, wie das Entlehnte echt symbolisch weiterbilden sollen, dar¬ über nachher, wenn ich in meiner Auseinandersetzung zum wahren Ideal- oder Segensstyl gelange. Um nun zum gemischt katarrhalischen oder Katarrh- und Frost¬ beulenstyl überzugehen -- er ist für Nordländer ge¬ schaffen in einer Zeit der Rohheit, da man nicht wußte, daß das Geschlossene noch nicht genügt, so --"
Er hatte schon bei den letzten Sätzen begonnen, langsamer, unterbrochener, zerstreuter zu reden, die Stimme sank, die Züge verfinsterten sich und es fiel mir seltsam auf, daß er stark einwärts schielend auf seine Nasenspitze hernieder sah. Bei den letztgenannten Worten hielt er plötzlich inne und sagte in gedehntem, tiefem, dumpfem, eigentlich tragischem Tone vor sich hin, als wisse er nicht mehr, daß er im Gespräch mit einem Andern begriffen sei: "Sie glänzt."
Er lief plötzlich weg, ließ mich ohne alle Ent¬ schuldigung stehen und wandte sich dem fast leeren Platz zweiter Klasse zu. Hier sah ich ihn heftig auf und ab gehen, dunkle Worte vor sich hinmurmelnd, von denen ich, behutsam mich nähernd, doch einmal deutlich den Satz heraushörte: "Den haben mir die Ungeheuer, die
in der offenen, luftdurchzognen Halle verweilte, habe ich mir einen meiner böſeſten Schnupfen geholt. Wo ſoll man die Stimmung herbringen, ein ſolches Gemälde froh zu betrachten, zu bewundern? — Was wir dagegen aus dem klaſſiſchen Bauſtyl allerdings entlehnen, wie das Entlehnte echt ſymboliſch weiterbilden ſollen, dar¬ über nachher, wenn ich in meiner Auseinanderſetzung zum wahren Ideal- oder Segensſtyl gelange. Um nun zum gemiſcht katarrhaliſchen oder Katarrh- und Froſt¬ beulenſtyl überzugehen — er iſt für Nordländer ge¬ ſchaffen in einer Zeit der Rohheit, da man nicht wußte, daß das Geſchloſſene noch nicht genügt, ſo —“
Er hatte ſchon bei den letzten Sätzen begonnen, langſamer, unterbrochener, zerſtreuter zu reden, die Stimme ſank, die Züge verfinſterten ſich und es fiel mir ſeltſam auf, daß er ſtark einwärts ſchielend auf ſeine Naſenſpitze hernieder ſah. Bei den letztgenannten Worten hielt er plötzlich inne und ſagte in gedehntem, tiefem, dumpfem, eigentlich tragiſchem Tone vor ſich hin, als wiſſe er nicht mehr, daß er im Geſpräch mit einem Andern begriffen ſei: „Sie glänzt.“
Er lief plötzlich weg, ließ mich ohne alle Ent¬ ſchuldigung ſtehen und wandte ſich dem faſt leeren Platz zweiter Klaſſe zu. Hier ſah ich ihn heftig auf und ab gehen, dunkle Worte vor ſich hinmurmelnd, von denen ich, behutſam mich nähernd, doch einmal deutlich den Satz heraushörte: „Den haben mir die Ungeheuer, die
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0025"n="12"/>
in der offenen, luftdurchzognen Halle verweilte, habe ich<lb/>
mir einen meiner böſeſten Schnupfen geholt. Wo ſoll<lb/>
man die Stimmung herbringen, ein ſolches Gemälde froh<lb/>
zu betrachten, zu bewundern? — Was wir dagegen<lb/>
aus dem klaſſiſchen Bauſtyl allerdings entlehnen, wie<lb/>
das Entlehnte echt ſymboliſch weiterbilden ſollen, dar¬<lb/>
über nachher, wenn ich in meiner Auseinanderſetzung<lb/>
zum wahren Ideal- oder Segensſtyl gelange. Um nun<lb/>
zum gemiſcht katarrhaliſchen oder Katarrh- und Froſt¬<lb/>
beulenſtyl überzugehen — er iſt für Nordländer ge¬<lb/>ſchaffen in einer Zeit der Rohheit, da man nicht wußte,<lb/>
daß das Geſchloſſene noch nicht genügt, ſo —“</p><lb/><p>Er hatte ſchon bei den letzten Sätzen begonnen,<lb/>
langſamer, unterbrochener, zerſtreuter zu reden, die<lb/>
Stimme ſank, die Züge verfinſterten ſich und es fiel<lb/>
mir ſeltſam auf, daß er ſtark einwärts ſchielend auf<lb/>ſeine Naſenſpitze hernieder ſah. Bei den letztgenannten<lb/>
Worten hielt er plötzlich inne und ſagte in gedehntem,<lb/>
tiefem, dumpfem, eigentlich tragiſchem Tone vor ſich<lb/>
hin, als wiſſe er nicht mehr, daß er im Geſpräch mit<lb/>
einem Andern begriffen ſei: „Sie glänzt.“</p><lb/><p>Er lief plötzlich weg, ließ mich ohne alle Ent¬<lb/>ſchuldigung ſtehen und wandte ſich dem faſt leeren Platz<lb/>
zweiter Klaſſe zu. Hier ſah ich ihn heftig auf und<lb/>
ab gehen, dunkle Worte vor ſich hinmurmelnd, von denen<lb/>
ich, behutſam mich nähernd, doch einmal deutlich den<lb/>
Satz heraushörte: „Den haben mir die Ungeheuer, die<lb/></p></div></body></text></TEI>
[12/0025]
in der offenen, luftdurchzognen Halle verweilte, habe ich
mir einen meiner böſeſten Schnupfen geholt. Wo ſoll
man die Stimmung herbringen, ein ſolches Gemälde froh
zu betrachten, zu bewundern? — Was wir dagegen
aus dem klaſſiſchen Bauſtyl allerdings entlehnen, wie
das Entlehnte echt ſymboliſch weiterbilden ſollen, dar¬
über nachher, wenn ich in meiner Auseinanderſetzung
zum wahren Ideal- oder Segensſtyl gelange. Um nun
zum gemiſcht katarrhaliſchen oder Katarrh- und Froſt¬
beulenſtyl überzugehen — er iſt für Nordländer ge¬
ſchaffen in einer Zeit der Rohheit, da man nicht wußte,
daß das Geſchloſſene noch nicht genügt, ſo —“
Er hatte ſchon bei den letzten Sätzen begonnen,
langſamer, unterbrochener, zerſtreuter zu reden, die
Stimme ſank, die Züge verfinſterten ſich und es fiel
mir ſeltſam auf, daß er ſtark einwärts ſchielend auf
ſeine Naſenſpitze hernieder ſah. Bei den letztgenannten
Worten hielt er plötzlich inne und ſagte in gedehntem,
tiefem, dumpfem, eigentlich tragiſchem Tone vor ſich
hin, als wiſſe er nicht mehr, daß er im Geſpräch mit
einem Andern begriffen ſei: „Sie glänzt.“
Er lief plötzlich weg, ließ mich ohne alle Ent¬
ſchuldigung ſtehen und wandte ſich dem faſt leeren Platz
zweiter Klaſſe zu. Hier ſah ich ihn heftig auf und
ab gehen, dunkle Worte vor ſich hinmurmelnd, von denen
ich, behutſam mich nähernd, doch einmal deutlich den
Satz heraushörte: „Den haben mir die Ungeheuer, die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/25>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.