Vorbereitung. Im Bewußtsein nämlich, daß man in gegenwärtiger Zeit an der Poesie einen gewissen träu¬ merischen Charakter liebe -- (er sandte bei diesen Worten dem Barden einen Blick zu, Kullur bemerkte ihn und lächelte leicht) -- und im Bewußtsein, daß sein Produkt dagegen durch einen gewissen deutlichen, mehr nur verständigen, weil dogmatisch klaren Charakter in seiner Wirkung verlieren könnte, habe er für gut erachtet, diesen Mangel durch eine größere Fülle musi¬ kalischen Schmuckes zu ersetzen; in der That, er lege fast mehr Werth auf diese Begleitung, als den Text, indem er -- hierin vielleicht fast unbescheiden -- sich schmeichle, durch seine Komposition möglicherweise eine neue Aera in der Musik hervorzurufen. Die Exeku¬ tion sei aber nicht leicht, fordere noch weitere Ein¬ übung, und es sei jedenfalls noch eine Generalprobe vorzunehmen.
Niemand widersprach und so blieb denn dieser Genuß vorbehalten. Angus stellte jetzt den älteren der zwei Ehrengäste, Feridun Kallar, den Versammel¬ ten vor und bat ihn, die Kanzel zu besteigen.
Ernst und doch freundlich ließ der Mann, wie er nun oben stand, die Augen auf der harrenden Ge¬ meinde verweilen, ein mildes Lächeln spielte um seine Mundwinkel, die hohe, von krausen grauen Locken umgebene Stirne verkündigte einen Mann des Sinnens und Forschens, die etwas gelbliche Gesichtsfarbe störte
Vorbereitung. Im Bewußtſein nämlich, daß man in gegenwärtiger Zeit an der Poeſie einen gewiſſen träu¬ meriſchen Charakter liebe — (er ſandte bei dieſen Worten dem Barden einen Blick zu, Kullur bemerkte ihn und lächelte leicht) — und im Bewußtſein, daß ſein Produkt dagegen durch einen gewiſſen deutlichen, mehr nur verſtändigen, weil dogmatiſch klaren Charakter in ſeiner Wirkung verlieren könnte, habe er für gut erachtet, dieſen Mangel durch eine größere Fülle muſi¬ kaliſchen Schmuckes zu erſetzen; in der That, er lege faſt mehr Werth auf dieſe Begleitung, als den Text, indem er — hierin vielleicht faſt unbeſcheiden — ſich ſchmeichle, durch ſeine Kompoſition möglicherweiſe eine neue Aera in der Muſik hervorzurufen. Die Exeku¬ tion ſei aber nicht leicht, fordere noch weitere Ein¬ übung, und es ſei jedenfalls noch eine Generalprobe vorzunehmen.
Niemand widerſprach und ſo blieb denn dieſer Genuß vorbehalten. Angus ſtellte jetzt den älteren der zwei Ehrengäſte, Feridun Kallar, den Verſammel¬ ten vor und bat ihn, die Kanzel zu beſteigen.
Ernſt und doch freundlich ließ der Mann, wie er nun oben ſtand, die Augen auf der harrenden Ge¬ meinde verweilen, ein mildes Lächeln ſpielte um ſeine Mundwinkel, die hohe, von krauſen grauen Locken umgebene Stirne verkündigte einen Mann des Sinnens und Forſchens, die etwas gelbliche Geſichtsfarbe ſtörte
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0272"n="259"/>
Vorbereitung. Im Bewußtſein nämlich, daß man in<lb/>
gegenwärtiger Zeit an der Poeſie einen gewiſſen träu¬<lb/>
meriſchen Charakter liebe — (er ſandte bei dieſen<lb/>
Worten dem Barden einen Blick zu, Kullur bemerkte<lb/>
ihn und lächelte leicht) — und im Bewußtſein, daß<lb/>ſein Produkt dagegen durch einen gewiſſen deutlichen,<lb/>
mehr nur verſtändigen, weil dogmatiſch klaren Charakter<lb/>
in ſeiner Wirkung verlieren könnte, habe er für gut<lb/>
erachtet, dieſen Mangel durch eine größere Fülle muſi¬<lb/>
kaliſchen Schmuckes zu erſetzen; in der That, er lege<lb/>
faſt mehr Werth auf dieſe Begleitung, als den Text,<lb/>
indem er — hierin vielleicht faſt unbeſcheiden —ſich<lb/>ſchmeichle, durch ſeine Kompoſition möglicherweiſe eine<lb/>
neue Aera in der Muſik hervorzurufen. Die Exeku¬<lb/>
tion ſei aber nicht leicht, fordere noch weitere Ein¬<lb/>
übung, und es ſei jedenfalls noch eine Generalprobe<lb/>
vorzunehmen.</p><lb/><p>Niemand widerſprach und ſo blieb denn dieſer<lb/>
Genuß vorbehalten. Angus ſtellte jetzt den älteren<lb/>
der zwei Ehrengäſte, Feridun Kallar, den Verſammel¬<lb/>
ten vor und bat ihn, die Kanzel zu beſteigen.</p><lb/><p>Ernſt und doch freundlich ließ der Mann, wie er<lb/>
nun oben ſtand, die Augen auf der harrenden Ge¬<lb/>
meinde verweilen, ein mildes Lächeln ſpielte um ſeine<lb/>
Mundwinkel, die hohe, von krauſen grauen Locken<lb/>
umgebene Stirne verkündigte einen Mann des Sinnens<lb/>
und Forſchens, die etwas gelbliche Geſichtsfarbe ſtörte<lb/></p></div></body></text></TEI>
[259/0272]
Vorbereitung. Im Bewußtſein nämlich, daß man in
gegenwärtiger Zeit an der Poeſie einen gewiſſen träu¬
meriſchen Charakter liebe — (er ſandte bei dieſen
Worten dem Barden einen Blick zu, Kullur bemerkte
ihn und lächelte leicht) — und im Bewußtſein, daß
ſein Produkt dagegen durch einen gewiſſen deutlichen,
mehr nur verſtändigen, weil dogmatiſch klaren Charakter
in ſeiner Wirkung verlieren könnte, habe er für gut
erachtet, dieſen Mangel durch eine größere Fülle muſi¬
kaliſchen Schmuckes zu erſetzen; in der That, er lege
faſt mehr Werth auf dieſe Begleitung, als den Text,
indem er — hierin vielleicht faſt unbeſcheiden — ſich
ſchmeichle, durch ſeine Kompoſition möglicherweiſe eine
neue Aera in der Muſik hervorzurufen. Die Exeku¬
tion ſei aber nicht leicht, fordere noch weitere Ein¬
übung, und es ſei jedenfalls noch eine Generalprobe
vorzunehmen.
Niemand widerſprach und ſo blieb denn dieſer
Genuß vorbehalten. Angus ſtellte jetzt den älteren
der zwei Ehrengäſte, Feridun Kallar, den Verſammel¬
ten vor und bat ihn, die Kanzel zu beſteigen.
Ernſt und doch freundlich ließ der Mann, wie er
nun oben ſtand, die Augen auf der harrenden Ge¬
meinde verweilen, ein mildes Lächeln ſpielte um ſeine
Mundwinkel, die hohe, von krauſen grauen Locken
umgebene Stirne verkündigte einen Mann des Sinnens
und Forſchens, die etwas gelbliche Geſichtsfarbe ſtörte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/272>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.