Menschen. Es paßt und paßt auch nicht. Die Wesen der Welt, die da leben und empfinden, sind doch keine bloße Schnur mit Gewicht, keine bloße Blutwelle, darum paßt das Gleichniß nicht. Aber sie hängen ab wie die Schnur vom Zapfen und die Blutwelle vom Herzen, darum paßt es. Sie hängen ab, weil sie sich das Leben ja nicht selbst geben und dem Tod nicht entrinnen, sie hängen ab von etwas, das mitten in der Bewegung, also in der Zeit fest bleibt, das zeitlos ist. Ihr seht, ich mühe mich ab, ein Bild zu finden. Unsere Urahnen haben sich auch drum abge¬ müht. Da schaut hinüber! (Er wandte sich und zeigte nach dem Menhir.) Da steht der Wagstein, ihr habt gestern wieder gesehen, wie er schwankt und sich dreht! Und so oft ein Sturm geht, seht ihr ihn schwanken, und kommt ein Wirbelwind, so bewegt er sich im Kreise. Und nie fällt er, immer kehrt er in seine sichere Ruhe zurück. Ihr wißt, in Turik stehen deren zwölf, und Männer, die weither gekommen vom fernen Lande, haben erzählt, sie haben die Menhir stehen sehen zu Hunderten und Aberhunderten in langen, mehrfachen Reihen. Was muß das eine Arbeit gewesen sein, auch nur Einen herzuschleppen und aufzustellen, als die Werkzeuge noch so arm waren, wie die Fünde im Seegrund erweisen! Und warum, wofür hat man sich so viel Mühe gegeben? Was haben denn jene Alten in grauer Vorzeit sich selbst und der Mitwelt und der
Menſchen. Es paßt und paßt auch nicht. Die Weſen der Welt, die da leben und empfinden, ſind doch keine bloße Schnur mit Gewicht, keine bloße Blutwelle, darum paßt das Gleichniß nicht. Aber ſie hängen ab wie die Schnur vom Zapfen und die Blutwelle vom Herzen, darum paßt es. Sie hängen ab, weil ſie ſich das Leben ja nicht ſelbſt geben und dem Tod nicht entrinnen, ſie hängen ab von etwas, das mitten in der Bewegung, alſo in der Zeit feſt bleibt, das zeitlos iſt. Ihr ſeht, ich mühe mich ab, ein Bild zu finden. Unſere Urahnen haben ſich auch drum abge¬ müht. Da ſchaut hinüber! (Er wandte ſich und zeigte nach dem Menhir.) Da ſteht der Wagſtein, ihr habt geſtern wieder geſehen, wie er ſchwankt und ſich dreht! Und ſo oft ein Sturm geht, ſeht ihr ihn ſchwanken, und kommt ein Wirbelwind, ſo bewegt er ſich im Kreiſe. Und nie fällt er, immer kehrt er in ſeine ſichere Ruhe zurück. Ihr wißt, in Turik ſtehen deren zwölf, und Männer, die weither gekommen vom fernen Lande, haben erzählt, ſie haben die Menhir ſtehen ſehen zu Hunderten und Aberhunderten in langen, mehrfachen Reihen. Was muß das eine Arbeit geweſen ſein, auch nur Einen herzuſchleppen und aufzuſtellen, als die Werkzeuge noch ſo arm waren, wie die Fünde im Seegrund erweiſen! Und warum, wofür hat man ſich ſo viel Mühe gegeben? Was haben denn jene Alten in grauer Vorzeit ſich ſelbſt und der Mitwelt und der
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Menſchen. Es paßt und paßt auch nicht. Die Weſen
der Welt, die da leben und empfinden, ſind doch keine
bloße Schnur mit Gewicht, keine bloße Blutwelle,
darum paßt das Gleichniß nicht. Aber ſie hängen
ab wie die Schnur vom Zapfen und die Blutwelle
vom Herzen, darum paßt es. Sie hängen ab, weil
ſie ſich das Leben ja nicht ſelbſt geben und dem Tod
nicht entrinnen, ſie hängen ab von etwas, das mitten
in der Bewegung, alſo in der Zeit feſt bleibt, das
zeitlos iſt. Ihr ſeht, ich mühe mich ab, ein Bild zu
finden. Unſere Urahnen haben ſich auch drum abge¬
müht. Da ſchaut hinüber! (Er wandte ſich und zeigte
nach dem Menhir.) Da ſteht der Wagſtein, ihr habt
geſtern wieder geſehen, wie er ſchwankt und ſich dreht!
Und ſo oft ein Sturm geht, ſeht ihr ihn ſchwanken,
und kommt ein Wirbelwind, ſo bewegt er ſich im Kreiſe.
Und nie fällt er, immer kehrt er in ſeine ſichere Ruhe
zurück. Ihr wißt, in Turik ſtehen deren zwölf, und
Männer, die weither gekommen vom fernen Lande,
haben erzählt, ſie haben die Menhir ſtehen ſehen zu
Hunderten und Aberhunderten in langen, mehrfachen
Reihen. Was muß das eine Arbeit geweſen ſein,
auch nur Einen herzuſchleppen und aufzuſtellen, als
die Werkzeuge noch ſo arm waren, wie die Fünde im
Seegrund erweiſen! Und warum, wofür hat man ſich
ſo viel Mühe gegeben? Was haben denn jene Alten
in grauer Vorzeit ſich ſelbſt und der Mitwelt und der
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/287>, abgerufen am 23.12.2024.
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