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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879.

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Nachwelt sagen wollen, als sie so in ihrem dunklen,
ahnenden Wesen diese ungeheuern Blöcke heranwälzten
und sie mit unendlichem Sinnen und Schweiß in
einen rund gehöhlten Sattel oder überdieß auf eine
Steinkugel in diesem Sattel so stellten, daß sie schwanken
und kreisen und nicht stürzen? Nun, ich denke, das
haben sie sagen wollen: die Welt schwanke, schwebe,
kreise und es bleibe doch sicher und unentrückt in sich
der Mittelpunkt, der sie trägt, das ewig Eine, das sie
zusammenhält. Gewiß hätten sie's gern besser gezeigt
und ein Gebild erfunden, das immer, jeden Augenblick
sich bewegt, um sich selbst kreist, denn das thut ja
die Welt, aber sie haben es eben gemacht, so gut sie
konnten. Und predigen wollten sie damit: merk' dir's,
o Mensch! Du bist ein Körnchen im Wagstein der
Welt, du bist nichts ohne den Mittelpunkt, halt an
ihm, denn er allein trägt dich, in ihm allein ist Ruhe,
Grund und Halt. Wolle nicht etwas sein ohne ihn,
lösest du dich ab, so verweht dich der Wind!

"Was folgt? Nun, es ist ja schon gesagt! Die
feinsten unter den Körnchen im Gestein des kreisenden
Felsblocks, im Gewichte, das am Zapfen schwebt, die
zartesten Kügelchen in der Blutwelle, die das Weltherz
treibt, die vorzüglichsten unter den Lebwesen, sie, die
eine Seele haben und ihrer selbst inne werden, sollte
denn nicht ihr Sinn dahin gehen, daß sie sich ver¬
senken in das, was zeitlos ist und sich selbst gleich und

Nachwelt ſagen wollen, als ſie ſo in ihrem dunklen,
ahnenden Weſen dieſe ungeheuern Blöcke heranwälzten
und ſie mit unendlichem Sinnen und Schweiß in
einen rund gehöhlten Sattel oder überdieß auf eine
Steinkugel in dieſem Sattel ſo ſtellten, daß ſie ſchwanken
und kreiſen und nicht ſtürzen? Nun, ich denke, das
haben ſie ſagen wollen: die Welt ſchwanke, ſchwebe,
kreiſe und es bleibe doch ſicher und unentrückt in ſich
der Mittelpunkt, der ſie trägt, das ewig Eine, das ſie
zuſammenhält. Gewiß hätten ſie's gern beſſer gezeigt
und ein Gebild erfunden, das immer, jeden Augenblick
ſich bewegt, um ſich ſelbſt kreiſt, denn das thut ja
die Welt, aber ſie haben es eben gemacht, ſo gut ſie
konnten. Und predigen wollten ſie damit: merk' dir's,
o Menſch! Du biſt ein Körnchen im Wagſtein der
Welt, du biſt nichts ohne den Mittelpunkt, halt an
ihm, denn er allein trägt dich, in ihm allein iſt Ruhe,
Grund und Halt. Wolle nicht etwas ſein ohne ihn,
löſeſt du dich ab, ſo verweht dich der Wind!

„Was folgt? Nun, es iſt ja ſchon geſagt! Die
feinſten unter den Körnchen im Geſtein des kreiſenden
Felsblocks, im Gewichte, das am Zapfen ſchwebt, die
zarteſten Kügelchen in der Blutwelle, die das Weltherz
treibt, die vorzüglichſten unter den Lebweſen, ſie, die
eine Seele haben und ihrer ſelbſt inne werden, ſollte
denn nicht ihr Sinn dahin gehen, daß ſie ſich ver¬
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[275/0288] Nachwelt ſagen wollen, als ſie ſo in ihrem dunklen, ahnenden Weſen dieſe ungeheuern Blöcke heranwälzten und ſie mit unendlichem Sinnen und Schweiß in einen rund gehöhlten Sattel oder überdieß auf eine Steinkugel in dieſem Sattel ſo ſtellten, daß ſie ſchwanken und kreiſen und nicht ſtürzen? Nun, ich denke, das haben ſie ſagen wollen: die Welt ſchwanke, ſchwebe, kreiſe und es bleibe doch ſicher und unentrückt in ſich der Mittelpunkt, der ſie trägt, das ewig Eine, das ſie zuſammenhält. Gewiß hätten ſie's gern beſſer gezeigt und ein Gebild erfunden, das immer, jeden Augenblick ſich bewegt, um ſich ſelbſt kreiſt, denn das thut ja die Welt, aber ſie haben es eben gemacht, ſo gut ſie konnten. Und predigen wollten ſie damit: merk' dir's, o Menſch! Du biſt ein Körnchen im Wagſtein der Welt, du biſt nichts ohne den Mittelpunkt, halt an ihm, denn er allein trägt dich, in ihm allein iſt Ruhe, Grund und Halt. Wolle nicht etwas ſein ohne ihn, löſeſt du dich ab, ſo verweht dich der Wind! „Was folgt? Nun, es iſt ja ſchon geſagt! Die feinſten unter den Körnchen im Geſtein des kreiſenden Felsblocks, im Gewichte, das am Zapfen ſchwebt, die zarteſten Kügelchen in der Blutwelle, die das Weltherz treibt, die vorzüglichſten unter den Lebweſen, ſie, die eine Seele haben und ihrer ſelbſt inne werden, ſollte denn nicht ihr Sinn dahin gehen, daß ſie ſich ver¬ ſenken in das, was zeitlos iſt und ſich ſelbſt gleich und

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Zitationshilfe: Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/288>, abgerufen am 23.12.2024.