"Das kann schon sein, das ist schon möglich, daß die Sachen da herum um uns, Licht, Luft, Erde, Bäume, Thiere und Menschen ein Weib geschaffen hat. Es sieht schon darnach aus, denn da ist schön und häßlich, gut und grausam, sanft und wild, ordent¬ lich und wieder so unordentlich durcheinander, wie in Weibes Leben und Weibes Seele, die launisch ist und sich nicht gleich bleiben kann. Aber nachher ist ein Manngott drüber gekommen und hat's zu ordnen an¬ gefangen. Nur etwas verspätet hat er sich, weil Männer langsamer sind, und so hat er nicht mehr ganz fertig werden, hat's nichts mehr ganz richten können. Ein Manngott, ein herrlicher, ein strahlender. Wo ist er? Hauset er in der Sonne, von deren Majestät euer blasser Mondsdienst nichts weiß, nichts wissen will? Mannheit und Macht ist er, er brauset im Sturm, er ist der große Athem der Welt, auf der Donnerwolke fährt er daher. Das ist der unbekannte Gott, den eure Priester nennen und von dem sie doch nichts hören wollen!"
Ein Gewitter zog inzwischen am nächtlichen Himmel auf, schwarze Wolkenberge thürmten sich im Westen. Man hörte eben bei den letzten Worten das erste ferne Grollen des wirklichen Donners. Die Männer er¬ bleichten, der Redner erschien ihnen verschworen mit der geheimnißvollen Naturmacht und die Scheue, die sich ihrer bemächtigte, schützte ihn vor den Leidenschaften,
„Das kann ſchon ſein, das iſt ſchon möglich, daß die Sachen da herum um uns, Licht, Luft, Erde, Bäume, Thiere und Menſchen ein Weib geſchaffen hat. Es ſieht ſchon darnach aus, denn da iſt ſchön und häßlich, gut und grauſam, ſanft und wild, ordent¬ lich und wieder ſo unordentlich durcheinander, wie in Weibes Leben und Weibes Seele, die launiſch iſt und ſich nicht gleich bleiben kann. Aber nachher iſt ein Manngott drüber gekommen und hat's zu ordnen an¬ gefangen. Nur etwas verſpätet hat er ſich, weil Männer langſamer ſind, und ſo hat er nicht mehr ganz fertig werden, hat's nichts mehr ganz richten können. Ein Manngott, ein herrlicher, ein ſtrahlender. Wo iſt er? Hauſet er in der Sonne, von deren Majeſtät euer blaſſer Mondsdienſt nichts weiß, nichts wiſſen will? Mannheit und Macht iſt er, er brauſet im Sturm, er iſt der große Athem der Welt, auf der Donnerwolke fährt er daher. Das iſt der unbekannte Gott, den eure Prieſter nennen und von dem ſie doch nichts hören wollen!“
Ein Gewitter zog inzwiſchen am nächtlichen Himmel auf, ſchwarze Wolkenberge thürmten ſich im Weſten. Man hörte eben bei den letzten Worten das erſte ferne Grollen des wirklichen Donners. Die Männer er¬ bleichten, der Redner erſchien ihnen verſchworen mit der geheimnißvollen Naturmacht und die Scheue, die ſich ihrer bemächtigte, ſchützte ihn vor den Leidenſchaften,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0301"n="288"/><p>„Das kann ſchon ſein, das iſt ſchon möglich, daß<lb/>
die Sachen da herum um uns, Licht, Luft, Erde,<lb/>
Bäume, Thiere und Menſchen ein Weib geſchaffen<lb/>
hat. Es ſieht ſchon darnach aus, denn da iſt ſchön<lb/>
und häßlich, gut und grauſam, ſanft und wild, ordent¬<lb/>
lich und wieder ſo unordentlich durcheinander, wie in<lb/>
Weibes Leben und Weibes Seele, die launiſch iſt und<lb/>ſich nicht gleich bleiben kann. Aber nachher iſt ein<lb/>
Manngott drüber gekommen und hat's zu ordnen an¬<lb/>
gefangen. Nur etwas verſpätet hat er ſich, weil<lb/>
Männer langſamer ſind, und ſo hat er nicht mehr ganz<lb/>
fertig werden, hat's nichts mehr ganz richten können.<lb/>
Ein Manngott, ein herrlicher, ein ſtrahlender. Wo<lb/>
iſt er? Hauſet er in der Sonne, von deren Majeſtät<lb/>
euer blaſſer Mondsdienſt nichts weiß, nichts wiſſen<lb/>
will? Mannheit und Macht iſt er, er brauſet im<lb/>
Sturm, er iſt der große Athem der Welt, auf der<lb/>
Donnerwolke fährt er daher. Das iſt der unbekannte<lb/>
Gott, den eure Prieſter nennen und von dem ſie doch<lb/>
nichts hören wollen!“</p><lb/><p>Ein Gewitter zog inzwiſchen am nächtlichen Himmel<lb/>
auf, ſchwarze Wolkenberge thürmten ſich im Weſten.<lb/>
Man hörte eben bei den letzten Worten das erſte ferne<lb/>
Grollen des wirklichen Donners. Die Männer er¬<lb/>
bleichten, der Redner erſchien ihnen verſchworen mit<lb/>
der geheimnißvollen Naturmacht und die Scheue, die<lb/>ſich ihrer bemächtigte, ſchützte ihn vor den Leidenſchaften,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[288/0301]
„Das kann ſchon ſein, das iſt ſchon möglich, daß
die Sachen da herum um uns, Licht, Luft, Erde,
Bäume, Thiere und Menſchen ein Weib geſchaffen
hat. Es ſieht ſchon darnach aus, denn da iſt ſchön
und häßlich, gut und grauſam, ſanft und wild, ordent¬
lich und wieder ſo unordentlich durcheinander, wie in
Weibes Leben und Weibes Seele, die launiſch iſt und
ſich nicht gleich bleiben kann. Aber nachher iſt ein
Manngott drüber gekommen und hat's zu ordnen an¬
gefangen. Nur etwas verſpätet hat er ſich, weil
Männer langſamer ſind, und ſo hat er nicht mehr ganz
fertig werden, hat's nichts mehr ganz richten können.
Ein Manngott, ein herrlicher, ein ſtrahlender. Wo
iſt er? Hauſet er in der Sonne, von deren Majeſtät
euer blaſſer Mondsdienſt nichts weiß, nichts wiſſen
will? Mannheit und Macht iſt er, er brauſet im
Sturm, er iſt der große Athem der Welt, auf der
Donnerwolke fährt er daher. Das iſt der unbekannte
Gott, den eure Prieſter nennen und von dem ſie doch
nichts hören wollen!“
Ein Gewitter zog inzwiſchen am nächtlichen Himmel
auf, ſchwarze Wolkenberge thürmten ſich im Weſten.
Man hörte eben bei den letzten Worten das erſte ferne
Grollen des wirklichen Donners. Die Männer er¬
bleichten, der Redner erſchien ihnen verſchworen mit
der geheimnißvollen Naturmacht und die Scheue, die
ſich ihrer bemächtigte, ſchützte ihn vor den Leidenſchaften,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/301>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.