ling, der ohne seinen Willen die beiden Herzen so düster entzweit hatte, zum andern Male zu retten! "Du bist gut, o, du bist gut," rief unter Thränen das entzückte Mädchen und legte, als er sich unter erneuten Klagen über die Rathlosigkeit der Lage auf den Sitz am Herde niederfallen ließ, vor ihn knieend das lockige Haupt in seinen Schooß. Schweigend ver¬ weilten sie manche Minute in dieser Stellung; auf einmal stand Sigune schnell auf, nahm die Berg¬ krystallschnur vom Herde, hielt sie Alpin vor Augen und sagte: "Wer das machen, die Krystalle schleifen, durchbohren konnte, der kann auch" -- Wir ziehen vor, nicht zu verrathen, was sie weiter sagte, noch was Alpin nach einigem Sinnen erwiderte; nur das Wort sei angeführt: "Ihr Weibsleute seid doch öfters gescheuter als wir." Er nahm das Schwert, der Abschied war so kurz als zärtlich, und dann eilte er nach Haus mit den Schritten eines Mannes, der keine Zeit zu verlieren hat.
Das Gewitter hatte sich verzogen, die Menge vom Festplatze sich verlaufen, Alles war zur Ruhe gegangen und der Mondschein lag still auf dem schimmernden See. In der kleinen Gemeinde -- wie viele und verschiedene heftige Bewegungen wühlten bei stiller Nacht in den Gemüthern der Schlaflosen und der träumenden Schläfer! Arthur war übel gebettet in seinem "Ungemach" (wie das Nibelungenlied den Kerker
ling, der ohne ſeinen Willen die beiden Herzen ſo düſter entzweit hatte, zum andern Male zu retten! „Du biſt gut, o, du biſt gut,“ rief unter Thränen das entzückte Mädchen und legte, als er ſich unter erneuten Klagen über die Rathloſigkeit der Lage auf den Sitz am Herde niederfallen ließ, vor ihn knieend das lockige Haupt in ſeinen Schooß. Schweigend ver¬ weilten ſie manche Minute in dieſer Stellung; auf einmal ſtand Sigune ſchnell auf, nahm die Berg¬ kryſtallſchnur vom Herde, hielt ſie Alpin vor Augen und ſagte: „Wer das machen, die Kryſtalle ſchleifen, durchbohren konnte, der kann auch“ — Wir ziehen vor, nicht zu verrathen, was ſie weiter ſagte, noch was Alpin nach einigem Sinnen erwiderte; nur das Wort ſei angeführt: „Ihr Weibsleute ſeid doch öfters geſcheuter als wir.“ Er nahm das Schwert, der Abſchied war ſo kurz als zärtlich, und dann eilte er nach Haus mit den Schritten eines Mannes, der keine Zeit zu verlieren hat.
Das Gewitter hatte ſich verzogen, die Menge vom Feſtplatze ſich verlaufen, Alles war zur Ruhe gegangen und der Mondſchein lag ſtill auf dem ſchimmernden See. In der kleinen Gemeinde — wie viele und verſchiedene heftige Bewegungen wühlten bei ſtiller Nacht in den Gemüthern der Schlafloſen und der träumenden Schläfer! Arthur war übel gebettet in ſeinem „Ungemach“ (wie das Nibelungenlied den Kerker
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0317"n="304"/>
ling, der ohne ſeinen Willen die beiden Herzen ſo<lb/>
düſter entzweit hatte, zum andern Male zu retten!<lb/>„Du biſt gut, o, du biſt gut,“ rief unter Thränen<lb/>
das entzückte Mädchen und legte, als er ſich unter<lb/>
erneuten Klagen über die Rathloſigkeit der Lage auf<lb/>
den Sitz am Herde niederfallen ließ, vor ihn knieend<lb/>
das lockige Haupt in ſeinen Schooß. Schweigend ver¬<lb/>
weilten ſie manche Minute in dieſer Stellung; auf<lb/>
einmal ſtand Sigune ſchnell auf, nahm die Berg¬<lb/>
kryſtallſchnur vom Herde, hielt ſie Alpin vor Augen<lb/>
und ſagte: „Wer das machen, die Kryſtalle ſchleifen,<lb/>
durchbohren konnte, der kann auch“— Wir ziehen<lb/>
vor, nicht zu verrathen, was ſie weiter ſagte, noch<lb/>
was Alpin nach einigem Sinnen erwiderte; nur das<lb/>
Wort ſei angeführt: „Ihr Weibsleute ſeid doch öfters<lb/>
geſcheuter als wir.“ Er nahm das Schwert, der<lb/>
Abſchied war ſo kurz als zärtlich, und dann eilte er<lb/>
nach Haus mit den Schritten eines Mannes, der keine<lb/>
Zeit zu verlieren hat.</p><lb/><p>Das Gewitter hatte ſich verzogen, die Menge vom<lb/>
Feſtplatze ſich verlaufen, Alles war zur Ruhe gegangen<lb/>
und der Mondſchein lag ſtill auf dem ſchimmernden<lb/>
See. In der kleinen Gemeinde — wie viele und<lb/>
verſchiedene heftige Bewegungen wühlten bei ſtiller<lb/>
Nacht in den Gemüthern der Schlafloſen und der<lb/>
träumenden Schläfer! Arthur war übel gebettet in<lb/>ſeinem „Ungemach“ (wie das Nibelungenlied den Kerker<lb/></p></div></body></text></TEI>
[304/0317]
ling, der ohne ſeinen Willen die beiden Herzen ſo
düſter entzweit hatte, zum andern Male zu retten!
„Du biſt gut, o, du biſt gut,“ rief unter Thränen
das entzückte Mädchen und legte, als er ſich unter
erneuten Klagen über die Rathloſigkeit der Lage auf
den Sitz am Herde niederfallen ließ, vor ihn knieend
das lockige Haupt in ſeinen Schooß. Schweigend ver¬
weilten ſie manche Minute in dieſer Stellung; auf
einmal ſtand Sigune ſchnell auf, nahm die Berg¬
kryſtallſchnur vom Herde, hielt ſie Alpin vor Augen
und ſagte: „Wer das machen, die Kryſtalle ſchleifen,
durchbohren konnte, der kann auch“ — Wir ziehen
vor, nicht zu verrathen, was ſie weiter ſagte, noch
was Alpin nach einigem Sinnen erwiderte; nur das
Wort ſei angeführt: „Ihr Weibsleute ſeid doch öfters
geſcheuter als wir.“ Er nahm das Schwert, der
Abſchied war ſo kurz als zärtlich, und dann eilte er
nach Haus mit den Schritten eines Mannes, der keine
Zeit zu verlieren hat.
Das Gewitter hatte ſich verzogen, die Menge vom
Feſtplatze ſich verlaufen, Alles war zur Ruhe gegangen
und der Mondſchein lag ſtill auf dem ſchimmernden
See. In der kleinen Gemeinde — wie viele und
verſchiedene heftige Bewegungen wühlten bei ſtiller
Nacht in den Gemüthern der Schlafloſen und der
träumenden Schläfer! Arthur war übel gebettet in
ſeinem „Ungemach“ (wie das Nibelungenlied den Kerker
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/317>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.