nennt), sein Lager war ein Haufen alten Strohs, sterbensmüde streckte er sich nieder; Wasser und ein Brodlaib war ihm verabreicht; er aß einen Brocken, nahm einen Schluck, legte sich wieder zurück, starrte eine Zeitlang zur Strohdecke des Raums hinauf, sprach dann vor sich hin: "Nicht klagen, Schicksal ist Schick¬ sal, bleib' fest, Herz!" Dann seufzte er noch: "Armer! Armer!" Das galt aber nicht ihm selbst, sondern seinem Hunde Tyras, den er im Getümmel verloren hatte. Die einförmige Musik der Schritte der Wächter, die draußen polternd auf und nieder giengen, und die grenzenlose Ermattung halfen zusammen, die verstörten Nerven zu beschwichtigen und er sank in tiefen, festen Schlaf.
Der Morgen des feierlichen Tages brach an. Auf den Vormittag war der erste Theil des Festes, das Pieisschießen, angesetzt. Alpin durfte um so weniger fehlen, da auf ihn als den großen Jagdhelden des vorigen Tages Aller Augen warteten. Ihm zu Ehren, zum Ruhme der Gemeinde, die einen solchen Jäger hervorgebracht, und zum Sporn für Alle, ihm nach¬ zustreben, hatte der kunstfertige Bürger Bappabuk die߬ mal eine Festscheibe von ungewöhnlicher Pracht her¬ gestellt. Auf eine große Fläche, die mühsam genug aus einigen rauh gehauenen Holztafeln gefügt war, hatte er das Bild eines Wisent gemalt. Das Braun des Fells war freilich dunkler gerathen, als die Natur¬ wahrheit erlaubte; er hatte einfach ein Schwarz ver¬
Vischer, Auch Einer. I. 20
nennt), ſein Lager war ein Haufen alten Strohs, ſterbensmüde ſtreckte er ſich nieder; Waſſer und ein Brodlaib war ihm verabreicht; er aß einen Brocken, nahm einen Schluck, legte ſich wieder zurück, ſtarrte eine Zeitlang zur Strohdecke des Raums hinauf, ſprach dann vor ſich hin: „Nicht klagen, Schickſal iſt Schick¬ ſal, bleib' feſt, Herz!“ Dann ſeufzte er noch: „Armer! Armer!“ Das galt aber nicht ihm ſelbſt, ſondern ſeinem Hunde Tyras, den er im Getümmel verloren hatte. Die einförmige Muſik der Schritte der Wächter, die draußen polternd auf und nieder giengen, und die grenzenloſe Ermattung halfen zuſammen, die verſtörten Nerven zu beſchwichtigen und er ſank in tiefen, feſten Schlaf.
Der Morgen des feierlichen Tages brach an. Auf den Vormittag war der erſte Theil des Feſtes, das Pieisſchießen, angeſetzt. Alpin durfte um ſo weniger fehlen, da auf ihn als den großen Jagdhelden des vorigen Tages Aller Augen warteten. Ihm zu Ehren, zum Ruhme der Gemeinde, die einen ſolchen Jäger hervorgebracht, und zum Sporn für Alle, ihm nach¬ zuſtreben, hatte der kunſtfertige Bürger Bappabuk die߬ mal eine Feſtſcheibe von ungewöhnlicher Pracht her¬ geſtellt. Auf eine große Fläche, die mühſam genug aus einigen rauh gehauenen Holztafeln gefügt war, hatte er das Bild eines Wiſent gemalt. Das Braun des Fells war freilich dunkler gerathen, als die Natur¬ wahrheit erlaubte; er hatte einfach ein Schwarz ver¬
Viſcher, Auch Einer. I. 20
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nennt), ſein Lager war ein Haufen alten Strohs,
ſterbensmüde ſtreckte er ſich nieder; Waſſer und ein
Brodlaib war ihm verabreicht; er aß einen Brocken,
nahm einen Schluck, legte ſich wieder zurück, ſtarrte
eine Zeitlang zur Strohdecke des Raums hinauf, ſprach
dann vor ſich hin: „Nicht klagen, Schickſal iſt Schick¬
ſal, bleib' feſt, Herz!“ Dann ſeufzte er noch: „Armer!
Armer!“ Das galt aber nicht ihm ſelbſt, ſondern ſeinem
Hunde Tyras, den er im Getümmel verloren hatte. Die
einförmige Muſik der Schritte der Wächter, die draußen
polternd auf und nieder giengen, und die grenzenloſe
Ermattung halfen zuſammen, die verſtörten Nerven zu
beſchwichtigen und er ſank in tiefen, feſten Schlaf.
Der Morgen des feierlichen Tages brach an. Auf
den Vormittag war der erſte Theil des Feſtes, das
Pieisſchießen, angeſetzt. Alpin durfte um ſo weniger
fehlen, da auf ihn als den großen Jagdhelden des
vorigen Tages Aller Augen warteten. Ihm zu Ehren,
zum Ruhme der Gemeinde, die einen ſolchen Jäger
hervorgebracht, und zum Sporn für Alle, ihm nach¬
zuſtreben, hatte der kunſtfertige Bürger Bappabuk die߬
mal eine Feſtſcheibe von ungewöhnlicher Pracht her¬
geſtellt. Auf eine große Fläche, die mühſam genug
aus einigen rauh gehauenen Holztafeln gefügt war,
hatte er das Bild eines Wiſent gemalt. Das Braun
des Fells war freilich dunkler gerathen, als die Natur¬
wahrheit erlaubte; er hatte einfach ein Schwarz ver¬
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/318>, abgerufen am 23.12.2024.
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