hains, der sich hinter dem Dolmen ausdehnte, war in Kreisform ein Graben gezogen, der vom übrigen Ge¬ hölz einen dichteren Theil absonderte, einen Hain im Haine, worin die ältesten Eichen standen und ihre knorrigen Aeste zu einem so verschlungenen Dach in¬ einanderschoben, daß kein Strahl der Sonne das geisterhafte Dunkel durchdringen konnte. Der allge¬ meine Glaube war, hier wehe der Odem der Gottheit vernehmlicher, als draußen in der offenen Welt, und verrathe Urgeheimniß dem Ohre des Priesters; nur scheue Blicke wagte das Volk von Weitem in das ver¬ botene Heiligthum zu werfen und eine dunkle Rede gieng um, man könne die weiße Gestalt der Selinur und die gräuliche Unform des Grippo erkennen, wenn es einem Mondstrahl gelinge, sich in diese Schatten¬ welt zu schleichen. An Festen, wo Menschenopfer fielen, trat der Druide mit einem heiligen Eimer in dieß Dunkel und beschüttete die uralten Stämme mit dem Blute der Geschlachteten als dem edelsten, den Göttern besonders wohlgefälligen Safte. Es war lange her, daß die Gemeinde kein Fest gefeiert hatte, wo diese werthvollsten aller Opfer gebracht wurden; sie war im Grunde mehr frieden- und erwerb-, als kriegliebend; zwanzig Jahre waren verflossen, seit sie an einem Kampfe mit Nachbarstämmen theilgenommen und ihre wenigen Gefangenen dem Grippo dargebracht hatte. Angus war damals noch auf einem Anfangsdienste
hains, der ſich hinter dem Dolmen ausdehnte, war in Kreisform ein Graben gezogen, der vom übrigen Ge¬ hölz einen dichteren Theil abſonderte, einen Hain im Haine, worin die älteſten Eichen ſtanden und ihre knorrigen Aeſte zu einem ſo verſchlungenen Dach in¬ einanderſchoben, daß kein Strahl der Sonne das geiſterhafte Dunkel durchdringen konnte. Der allge¬ meine Glaube war, hier wehe der Odem der Gottheit vernehmlicher, als draußen in der offenen Welt, und verrathe Urgeheimniß dem Ohre des Prieſters; nur ſcheue Blicke wagte das Volk von Weitem in das ver¬ botene Heiligthum zu werfen und eine dunkle Rede gieng um, man könne die weiße Geſtalt der Selinur und die gräuliche Unform des Grippo erkennen, wenn es einem Mondſtrahl gelinge, ſich in dieſe Schatten¬ welt zu ſchleichen. An Feſten, wo Menſchenopfer fielen, trat der Druide mit einem heiligen Eimer in dieß Dunkel und beſchüttete die uralten Stämme mit dem Blute der Geſchlachteten als dem edelſten, den Göttern beſonders wohlgefälligen Safte. Es war lange her, daß die Gemeinde kein Feſt gefeiert hatte, wo dieſe werthvollſten aller Opfer gebracht wurden; ſie war im Grunde mehr frieden- und erwerb-, als kriegliebend; zwanzig Jahre waren verfloſſen, ſeit ſie an einem Kampfe mit Nachbarſtämmen theilgenommen und ihre wenigen Gefangenen dem Grippo dargebracht hatte. Angus war damals noch auf einem Anfangsdienſte
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hains, der ſich hinter dem Dolmen ausdehnte, war in
Kreisform ein Graben gezogen, der vom übrigen Ge¬
hölz einen dichteren Theil abſonderte, einen Hain im
Haine, worin die älteſten Eichen ſtanden und ihre
knorrigen Aeſte zu einem ſo verſchlungenen Dach in¬
einanderſchoben, daß kein Strahl der Sonne das
geiſterhafte Dunkel durchdringen konnte. Der allge¬
meine Glaube war, hier wehe der Odem der Gottheit
vernehmlicher, als draußen in der offenen Welt, und
verrathe Urgeheimniß dem Ohre des Prieſters; nur
ſcheue Blicke wagte das Volk von Weitem in das ver¬
botene Heiligthum zu werfen und eine dunkle Rede
gieng um, man könne die weiße Geſtalt der Selinur
und die gräuliche Unform des Grippo erkennen, wenn
es einem Mondſtrahl gelinge, ſich in dieſe Schatten¬
welt zu ſchleichen. An Feſten, wo Menſchenopfer fielen,
trat der Druide mit einem heiligen Eimer in dieß
Dunkel und beſchüttete die uralten Stämme mit dem
Blute der Geſchlachteten als dem edelſten, den Göttern
beſonders wohlgefälligen Safte. Es war lange her,
daß die Gemeinde kein Feſt gefeiert hatte, wo dieſe
werthvollſten aller Opfer gebracht wurden; ſie war im
Grunde mehr frieden- und erwerb-, als kriegliebend;
zwanzig Jahre waren verfloſſen, ſeit ſie an einem
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wenigen Gefangenen dem Grippo dargebracht hatte.
Angus war damals noch auf einem Anfangsdienſte
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Vischer, Friedrich Theodor von: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/vischer_auch01_1879/325>, abgerufen am 23.12.2024.
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